Wz-Politikexperte Georg Renner erklärt den österreichischen Katastrophenfonds und dessen gesetzliche Grundlage.
Ausnahmsweise muss ich heute über ein Thema schreiben, das mich selbst betrifft. Journalistisch ist das in aller Regel schlechter Stil, aber ich kann für mich einerseits in Anspruch nehmen, dass die Entscheidungen zum Thema eh zwei Staatsebenen entfernt davon stattfinden, wo ich am Ende etwas herausbekommen sollte. Andererseits bin ich nicht allein betroffen, es geht mir wie zehn-, wenn nicht hunderttausenden anderen, die das Hochwasser in Niederösterreich in den vergangenen Tagen erwischt hat.
Sag uns bitte, wer du bist:
Die Rede ist vom Katastrophenfonds der Republik – aus dem in den nächsten Wochen und Monaten vermutlich Millionen fließen werden, die den Flutopfern zugutekommen sollen. In diesen Tagen während und nach einer Krise hört man immer wieder, „die Regierung stellt den Katastrophenfonds zur Verfügung“ oder dass ebendieser noch einmal aufgestockt werden soll.
Der Fonds hat eine sehr österreichische Geschichte – aber dazu später mehr. Falls ihr selbst vom Hochwasser betroffen seid, werdet ihr vermutlich zuerst wissen wollen, wie ihr an Katastrophenhilfe kommt. Das ist grundsätzlich Ländersache – die Bundesverfassung kennt keine Katastrophen, und alles, was die Verfassung nicht explizit erwähnt, ist Zuständigkeit der Bundesländer.
In Niederösterreich bekommen Private in der Regel ein Fünftel der anerkannten Schäden ersetzt. Die Anerkennung muss man formlos bei der Gemeinde beantragen, die dann eine Schadenskommission zusammenstellt – in der Regel sind das Bürgermeister:in, ein:e Vertreter:in der zweitstärksten Fraktion im Gemeinderat und ein:e Sachverständige –, die alle betroffenen Häuser abklappert und den Antrag an das Land weitergibt. Alle Details für Niederösterreich findet ihr hier.
Zurück zu unserem Fonds. Dessen Geschichte hat nicht mit Regen und Hochwasser begonnen, sondern mit Schnee. Nach dem berüchtigten Lawinenwinter von 1950/51 mit mehr als 130 Toten und hunderten Sachschäden. Die westlichen Bundesländer waren damals mit den nötigen Hilfsmaßnahmen überfordert, der Bund sprang ein – damit war ein Präzedenzfall geschaffen, dass die Republik bei groben Schadensereignissen den Ländern finanziell unter die Arme greift.
Nach mehreren Hochwasserkatastrophen 1965 und 1966 hat der Nationalrat die Einrichtung eines Katastrophenfonds beschlossen – der sollte zunächst über vier Jahre aus etwas finanziert werden, was wir heute Lohnnebenkosten nennen würden: Natürliche Personen (bzw. deren Arbeitgeber:innen) sollten drei Prozent der Einkommensteuer an den Fonds abführen, juristische Personen drei Prozent der Körperschaftsteuer. Mit diesem Geld sollte der Fonds einerseits die finanzielle Katastrophenhilfe der Bundesländer, andererseits die Vorsorge in Form von Hochwasserschutz und Lawinenverbauung unterstützen.
Fast forward bis heute: Der Fonds bzw. seine gesetzliche Grundlage hat etliche Reformen durchgemacht – er wird jetzt nicht mehr durch Direktabgaben gespeist, sondern zum allergrößten Teil, indem der Bund von seinem Anteil an Einkommen- und Körperschaftsteuer 1,1 Prozent in den Katastrophenfonds legt. Wobei der Name „Katastrophenfonds“ etwas irreführend ist – denn erstens wird darin kein Geld angespart und veranlagt, und zweitens gehen seine Aufgaben über die bloße Katastrophenhilfe im engeren Sinn inzwischen weit hinaus.
Er ist jetzt nicht mehr nur für die Förderung von Katastrophenhilfe und Wasserbau da, sondern unter anderem auch für den Ankauf von Feuerwehrausrüstung, für Reparaturen an Bundesstraßen, für die Anschaffung von Alarm- und Warnsystemen, für den Zukauf von Raufutter und Raufutterersatzprodukten, die Versicherung von Feldern gegen Unwetter und für die Bestimmung der Wassergüte in ganz Österreich. Das Ganze ist recht detailreich reguliert, ihr findet die einzelnen Aufgaben bis zu Regeln für einzelne Gemeinden in §3 Katastrophenfondsgesetz.
Schauen wir uns zum Beispiel im aktuellen Katastrophenfonds-Jahresbericht die Abrechnung der vergangenen Jahre an:
Im Vorjahr hat der Fonds also knapp 440 Millionen Euro ausgegeben. Jetzt wisst ihr natürlich alle, dass allein die 1,1 Prozent an den Bundesanteilen von ESt und KöSt weit mehr als das ausmachen, nämlich über 600 Millionen Euro. Aber was ist mit der Differenz passiert?
Kollege Johannes Huber vom Polit-Blog diesubstanz.at hat sich schon vorgestern dem schmutzigen Geheimnis des Katastrophenfonds gewidmet: Ein gar nicht insignifikanter Teil aus dem Fonds fließt unter dem Titel „Abfuhr an allgemeinen Haushalt“ wieder ins allgemeine Bundesbudget zurück – im Vorjahr stattliche 185,3 Millionen Euro.
Das ist der Grund, warum ich „Fonds“ nur noch unter Anführungszeichen schreibe: Tatsächlich ist der Katastrophenfonds ein einfachgesetzlich reservierter Durchlaufposten. Der/die Finanzminister:in muss einen bestimmten Anteil seiner/ihrer Steuereinnahmen für die genannten Zwecke zugunsten der Länder einsetzen – wenn dafür aber nicht so viel gebraucht wird, etwa weil in einem bestimmten Jahr keine großen Katastrophen ausbrechen, streift er einen guten Teil davon wieder ein und kann ihn ohne Zweckbindung für alles andere verwenden.
Von Jahr zu Jahr dürfen im Topf nicht mehr als 30 Millionen Euro an Rücklagen bleiben – insgesamt, nicht kumulativ. Und der Betrag ist nicht einmal inflationsgeschützt – während die Einzahlungen in den Fonds durch die Teuerung Jahr für Jahr steigen, bleibt die Rücklage nominal gleich; und damit steigt langfristig die „frei verfügbare“ Summe, die aus dem Fonds zurück ins Budget fließt.
Nun gibt es allerdings Jahre, die weit über die Möglichkeiten des Fonds hinausgehen. Wifo-Ökonom Franz Sinabell hat die Ausgaben des Katastrophenfonds zusammengefasst:
Wir sehen: Die Flutjahre 2002 und 2005 waren enorme Ausreißer; in beiden Jahren hat der Nationalrat per Sondergesetz 500 bzw. 251 Millionen Euro aus seinem Budget in den Katastrophenfonds zugeschossen, um den Ländern ihre Katastrophenhilfe zu ermöglichen – allein aus den „automatisch“ reservierten Mitteln wäre sich das nicht ausgegangen.
Dasselbe steht uns wohl auch heuer bevor – um welche Summen es am Ende geht, werden in den nächsten Tagen und Wochen die Schadenskommissionen feststellen.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.