Startseite Politik Keine Zurückweisungen an deutscher Grenze: War das überhaupt möglich?

Keine Zurückweisungen an deutscher Grenze: War das überhaupt möglich?

von Max

In der deutschen Migrationsdebatte überschlagen sich die Ereignisse. Am Montag kündigte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen für sechs Monate an, beginnend ab dem 16. September.

Am Dienstag berieten Vertreter der Ampel-Regierung mit der CDU/CSU sowie deren Landesregierungen erneut über weitere Verschärfungen in der Asylpolitik. Doch das Treffen ging daneben: Die Unionsparteien brachen die Gespräche am Abend ab.

Der Grund: Die Union forderte vehement, dass alle Asylsuchenden, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland kommen, zurückgewiesen werden. Die Vorschläge der Ampel-Regierung zu „europarechtskonformen“ Zurückweisungen seien nicht weitgehend genug gewesen, sagte Unionsverhandlungsführer Thorsten Frei.

Aber wären solche grundsätzlichen Zurückweisungen, wie sie die CDU/CSU fordert, überhaupt erlaubt? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum will die Ampel-Regierung plötzlich entlang der deutschen Grenze Kontrollen durchführen?

Weil die Asyl- und Migrationsdebatte spätestens seit dem Messeranschlag von Solingen (23. August) das bestimmende politische Thema im Land ist. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen gewannen auch deshalb die CDU und AfD, während SPD, Grüne und FDP Stimmen verloren.

Unmittelbar nach der Attacke in Solingen hatte Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) noch angeboten, mit den Ampel-Parteien zusammenzuarbeiten, um Verschärfungen der Asylpolitik im Bundestag zu beschließen. Am vorigen Dienstag, dem 3. September, kam es zum ersten Treffen. 

Im Anschluss erklärte Merz, seine Partei werde die Gespräche nur fortsetzen, wenn die Ampel innerhalb von einer Woche Zurückweisungen an der deutschen Grenze ermögliche. Diese von Merz gesetzte Frist wurde bei den heutigen Gesprächen um 15 Uhr fällig.

Sind Grenzkontrollen und Zurückweisungen an der Grenze rechtlich überhaupt möglich?

Es gibt große Zweifel daran, ob die Zurückweisung aller Asylsuchenden, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland kommen, rechtlich möglich wäre. 

Der Rat der Migration, eine Vereinigung von mehr als 200 deutschen Migrationsforscherinnen und -forschern, meinte am Dienstag: „Aus der geltenden Gesetzeslage ergibt sich unzweifelhaft, dass eine Zurückweisung von Schutz suchenden Personen rechtswidrig ist“.

Die Union behauptete aber, ein rechtliches Schlupfloch gefunden zu haben: Deutschland könnte sich auf eine Notfallklausel (Artikel 72) des EU-Vertrags berufen. Laut dieser könnten Teile des Schengen-Abkommens ausgesetzt werden, wenn andernfalls die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit gefährdet sei.

Das müsste die deutsche Regierung aber erst belegen – die jüngsten Anschläge in Solingen und München könnten ein Argument dafür sein. Der Rat der Migration bescheinigte jedoch auch diesem Manöver keine Erfolgsaussichten: „Alle bisherigen Versuche, auf diesem Weg EU-Recht zu umgehen, sind vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zurückgewiesen worden.“

Werden derzeit schon Menschen an der deutschen Grenze zurückgewiesen?

Ja, und zwar vor allem jene, die nicht explizit um Asyl ansuchen. Laut der deutschen Bundespolizei wurde im ersten Halbjahr 2024 sogar mehr als die Hälfte aller illegal eingereisten Menschen an der deutschen Grenze zurückgewiesen. Konkret seien 42.307 Menschen unerlaubt eingereist und davon 21.661 in die Nachbarländer zurückgewiesen worden (51 Prozent).

Das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr: 2023 waren insgesamt 127.549 illegal eingereiste Personen registriert worden, 35.618 davon wurden zurückgewiesen, also etwas mehr als 28 Prozent.

Wie reagieren die Nachbarstaaten Deutschlands?

Polens Regierungschef Donald Tusk reagierte bereits scharf: „Dieses Vorgehen ist inakzeptabel“, so Tusk, das Schengen-Abkommen werde damit praktisch ausgesetzt. Er werde deshalb gemeinsam mit anderen Ländern, die von den deutschen Vorhaben betroffen sind, beraten, wie man dagegen vorgehen könne. 

Auch Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kündigte bereits an, von Deutschland zurückgewiesene Asylwerber nicht aufnehmen zu wollen. 

Wie die Nachbarstaaten in der Frage reagieren, ist entscheidend, sie könnten sich im Ernstfall ebenfalls auf die Notfall-Klausel des EU-Vertrags berufen, wie der Europarechtsexperte Walter Obwexer im Gespräch mit der APA sagte.

Wie ist die Situation in Österreich?

Anfang 2021 bis Mitte 2022 hat Österreich laut einer parlamentarischen Anfrage rund 12.500 Fremde übernommen, die an der deutschen Grenze zurückgewiesen wurden. Dann aber änderte sich die Rechtslage. Offiziell gab es heuer nur noch 430 Personen, die zurückgenommen wurden, weil sie mit einem Einreise- oder Aufenthaltsverbot belegt waren. 

Inoffiziell dürften es weit mehr sein, wie es aus informierten Kreisen heißt. Diese würden dann eben ein anderes Mal wieder versuchen, über die Grenze zu kommen. Österreich hat innerhalb des rechtlichen Rahmens rund 700 Personen an den Grenzen in Nachbarländer zurückgewiesen.

Und wie geht man mit der deutschen Debatte um?

Innenminister Karner pocht auf die geltende Rechtslage. Die betroffenen Landespolizeidirektionen seien „nochmals angewiesen“ worden, wie es in einem schriftlichen Statement heißt, „unionsrechtswidrige Einreiseverweigerungen seitens der deutschen Behörden nicht zu akzeptieren und über Wahrnehmungen unverzüglich Bericht zu erstatten“.

Österreich kann versuchen, Menschen über die Dublin-Regelung in jenes Land rückzuführen, das für das Asylverfahren zuständig wäre. Das geht aber nur mit Zustimmung des jeweiligen Landes. 

Wie heikel ist die Lage überhaupt?

Scholz betonte zuletzt in Interviews, die Zahl der Asylanträge in Deutschland sei im Vergleich zum Vorjahr gesunken – und das stimmt auch: Bis Ende August 2024 verzeichnete das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) insgesamt 174.369 Asylanträge, das sind um 22 Prozent weniger als noch 2023 im selben Zeitraum (220.116).

Asylexperte Lukas Gahleitner-Gertz hält die Debatte dort eher für ein „innenpolitisches Spektakel“ ohne viel Substanz. Und um Österreich würden Schlepper seit einigen Monaten ohnehin einen Bogen machen.

Grund seien die massiven Grenzkontrollen und die gestiegenen Preise, die Schlepper angesichts dieses Risikos verlangten. Das bestätigt auch das Innenministerium. Zuletzt an Bedeutung gewonnen habe die Route, die von der Balkanküste nach Italien und über die Schweiz nach Deutschland führt. 

Von Fremden, die in Österreich aufgegriffen wurden, gab es mit Stand Juli erst 5.000 sogenannte „originäre Asylanträge“. 2023 waren es noch rund 44.000, im Jahr 2022 mehr als 100.000.

Gefährden Deutschlands Pläne den mühsam errungenen Asyl- und Migrationspakt auf europäischer Ebene?

Nein, meint Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei, der mit Abstand stärksten Fraktion im EU-Parlament, gegenüber dem KURIER: „Die Entwicklungen in Deutschland bremsen den EU-Asyl- Migrationspakt sicher nicht. Sie unterstreichen vielmehr, wie dringend notwendig er ist.“ 

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