Zusammenfassung
- Spannungen im Kongo führen zu gewalttätigen Ausschreitungen und Vertreibungen durch die M23-Miliz.
- Autor JJ Bola betont die wachsende Aufmerksamkeit für den Kongo und die Rolle von Literatur im Kampf gegen Rassismus.
- Bola plant ein Buch über Ota Benga, um historische Rassismusverbrechen zu beleuchten.
Die Lage im Kongo droht zu eskalieren: Die seit Wochen andauernden Spannungen haben zu gewalttätigen Ausschreitungen geführt, Rebellengruppen haben im Osten des Landes mehrere Flüchtlingslager aufgelöst.
Auslöser der Unruhen war der Vormarsch der M23-Miliz, die die rund zwei Millionen Einwohner zählende Stadt Goma eingenommen hat. Goma liegt an der Grenze zu Ruanda, die gesamte Region gilt als rohstoffreich. Die Rebellen stellen den Vertriebenen nun ein Ultimatum, die Lager in Goma zu verlassen. Nach UN-Angaben sind seit Ende Jänner 2.900 Menschen gestorben und mehr als 500.000 vertrieben (Stand: 12.2.2025).
Die aktuelle Situation im Kongo beschäftigt auch den Autor und Aktivisten JJ Bola. Der heute 38-Jährige wurde in der Hauptstadt Kinshasa geboren, mit sechs Jahren flüchtete er mit seiner Familie nach London. Nach seinem Uniabschluss arbeitete er einige Jahre als Sozialarbeiter mit Jugendlichen mit psychischen Problemen. In seinen Gedichten und Büchern behandelt er Themen wie Rassismus, Migrationserfahrungen sowie die Frage nach Männlichkeit.
KURIER: Sie sind zwischen zwei Kulturen aufgewachsen. Welche Verbindung haben sie zu ihren Wurzeln, insbesondere wegen der aktuellen Lage im Kongo?
JJ Bola: Als meine Familie und ich Anfang der 90er nach London kamen, gab es dort keine kongolesische Community und auch keine Repräsentation. Kaum jemand hat etwas über die Geschichte des Landes gewusst. Das hat sich über die Jahre verändert. Heute wissen die Menschen mehr über die historischen Ereignisse des Landes Bescheid, und die Community hat sich entwickelt – viele Kongolesen vernetzen und unterstützen sich gegenseitig. Die aktuelle Lage ist tragisch, vor wenigen Wochen hat der Konflikt erneut begonnen, aber mit dem Unterschied, dass heute mehr Menschen darüber sprechen – wahrscheinlich mehr als jemals zuvor. Es gibt auch viel Aktivismus auf Social Media.
Der Konflikt im Kongo war vor 10 oder 20 Jahren kein Thema, über das gesprochen wurde. Niemand wusste, was dort wirklich passiert. Die Leute sahen ihn als einen einfachen Stammeskonflikt. Heute sind sie besser informiert und verstehen, dass es sich hauptsächlich um Ausbeutung handelt – angetrieben von internationalen Unternehmen und einer korrupten Regierung.
Spüren Sie eine persönliche Verantwortung, auf das Leid im Kongo aufmerksam zu machen?
Viele Menschen, darunter auch Kinder, werden im Kongo gezwungen, in Minen für gerade einmal zwei Euro täglich zu arbeiten, nur damit wir in den reicheren Ländern die neueste Entwicklung bei Mobiltelefonen nutzen können. Ich selbst hatte einfach Glück – es war purer Zufall, dass meine Eltern nach London kamen und ich stattdessen Autor geworden bin. Dieses Bewusstsein gibt mir eine besondere Verantwortung, öffentlich über das zu sprechen, was im Kongo passiert.
Es ist wichtig, das Leid der Menschen im Krieg greifbar zu machen. Wenn ich den Leuten erzähle, dass in den letzten 20 Jahren sechs Millionen Menschen im Krieg im Kongo gestorben sind – was ein Fakt ist – bleiben diese Zahlen oft abstrakt. Sie haben kein Gesicht, keinen Namen, keine Geschichten. Aber wenn ich sage: ‚Eines dieser Kinder hätte ein Autor werden können, so wie ich‘, dann wird das greifbarer.
JJ Bola: „Literatur schafft Empathie“
Migration und Identität spielen in Ihren Romanen und Gedichten eine zentrale Rolle. Wie beeinflussen Ihre eigenen Fluchterfahrungen Ihr literarisches Werk?
Seit meiner Jugend war ich mit Realitäten konfrontiert, denen Gleichaltrige oft erst viel später begegnen. Für mich ist Migration eine zutiefst menschliche Frage. Als Menschen bewegen wir uns von einem Ort zum anderen. Diese Fragen sind es, denen ich in meiner literarischen Arbeit nachgehe. Hätte ich diese Erfahrung nicht gemacht, wäre ich wahrscheinlich kein Schriftsteller geworden. Schreiben ist für mich ein Weg, Antworten auf drängende Fragen zu finden.
Als Aktivist setzen Sie sich für die Bekämpfung von Rassismus und die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter ein. Kann Literatur ein Instrument dafür sein?
Sie kann ein mächtiges Werkzeug sein, insbesondere in der Form von Fiktion. Literatur ermutigt zur Empathie und hilft Menschen, das Leben aus der Perspektive anderer zu verstehen. Wenn du ein fiktionales Buch liest, schlüpfst du in die Rolle der Hauptfigur – jemand, der vielleicht einen anderen Hintergrund, ein anderes Geschlecht, eine andere Ethnie oder Religion hat. Dadurch siehst du die Welt durch ihre Augen, auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist. So wird deutlich, dass das eigene Leben reiner Zufall ist: Niemand wählt, wo, wann oder in welche Familie er geboren wird.
Durch die Hauptfiguren erleben wir ihre Erfahrungen und ganze Welten – und beginnen zu begreifen. Dinge, die wir für selbstverständlich halten, sind für andere Menschen völlig anders. Dieses Verständnis hilft, Rücksicht und Empathie zu entwickeln. Und genau das ist entscheidend: Mitgefühl zu zeigen.
Das Gefühl, nicht dazuzugehören
Was sind heute die größten Herausforderungen für Menschen mit Migrationshintergrund?
Die gesellschaftliche Akzeptanz – sei es in den Medien, in der Politik oder in der Repräsentation allgemein. Es gibt nach wie vor viel Unmut gegenüber Migranten, begleitet von anti-migrantischer Rhetorik und einer Fülle negativer Stereotype. Eine der größten Herausforderungen ist die rechtsextreme Erzählung, die Migranten als gewalttätig, aggressiv oder als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt darstellt. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Das eigentliche Problem für Migranten und Geflüchtete ist, dass sie ein normales Leben führen möchten, aber immer wieder daran erinnert werden, dass sie Außenseiter sind. Dieses Gefühl, nicht dazuzugehören, kann eine immense Herausforderung darstellen und macht die Navigation durch den Alltag oft schwer.
Welches Thema behandeln Sie in ihrem nächsten Buch?
Es wird ein historischer Roman über die Geschichte von Ota Benga, der aus dem Kongo entführt und 1904 in die Vereinigten Staaten gebracht wurde, wo er in einem ‚Menschenzoo‘ ausgestellt wurde. Die Gesellschaft hat noch immer dieses Stereotyp der Schwarzen als „Wilde“. Was viele Menschen nicht verstehen, ist, dass diese Wahrnehmung kein Zufall war – sie wurde gezielt konstruiert.
Es gab Zoos, in denen Menschen wie Ota Benga zur Unterhaltung ausgestellt wurden. Das geschah im Vereinigten Königreich und in Ländern wie Frankreich und Belgien. Viele dieser Ideen, insbesondere rassistische, hatten konkrete Ursprünge. Wenn es um Rassismus, Sexismus oder Homophobie geht, nehmen manche an, das sei einfach die natürliche Art des menschlichen Verhaltens. Doch sie übersehen, dass wir über Jahrhunderte hinweg konditioniert wurden, die Welt in einer bestimmten Weise zu betrachten.