Lisa möchte Model werden. Posen kann sie, sie sieht gut aus; Spaß haben und dabei noch Geld verdienen – das ist ihr Traum. Doch er droht zu zerplatzen: Immer mehr KI-Models verdrängen die echten in der Branche.
Crop-Top oder nicht? Jeans oder das kleine Schwarze? Lisa packt hektisch ihre Outfits zusammen – heute findet ein Fotoshooting in einer Tiefgarage statt. Dort trifft sie die Chefin der Agentur und die Fotografin. Sie sieht sich schon auf großen Plakaten, Insta-Ads oder sogar auf dem Laufsteg. Oft genug haben sie und ihre Freundinnen Selfies geschossen – posen kann sie. Attraktiv aussehen, Spaß haben und dabei noch Geld verdienen? Ein Traum, den viele haben.
Die österreichische Model-Agentur, die Lisa auf der Straße angesprochen hat, bietet ihr Aufnahmen an – zu einem fairen Preis. Das heutige Shooting soll der 17-Jährigen helfen, Aufträge zu bekommen. Doch so sehr der Markt schon früher umkämpft war, so viel mehr wird er es in Zukunft sein, sagt die Agentur-Chefin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Denn immer mehr Models sind keine echten Menschen mehr: Sie sind KI-generiert.
Nur noch die Kleider sind echt
Mango machte im Sommer 2024 den Anfang im Bereich Online-Mode. Die internationale Modekette mit Sitz in Spanien erstellte die Models und Hintergründe für die Kampagne für seine neue Teenager-Kollektion mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI). Nur noch die Kleider waren fotografiert. Was ein echtes Model ist und was ein KI-Model, ist auf den Bildern nicht mehr erkennbar. Einzig in der Capture auf Social Media steht geschrieben, dass dieses Model KI-generiert ist.
„Ich hoffe, dass sich das Geschäft noch bis zu meiner Pension ausgeht. Die derzeitige Entwicklung ist schwer abschätzbar und könnte meine Existenz gefährden“, sagt die 55-jährige Model-Agentur-Chefin, mit der Lisa das Fotoshooting gemacht hat. Doreen Leifheit, Inhaberin der internationalen Modelagentur Most Wanted Models mit Sitz in München und Hamburg, schmälert diese Hoffnung: „Wir gehen davon aus, dass in drei bis fünf Jahren ein sehr großer Anteil an Models im Onlinehandel KI-generiert sein wird“, sagt sie zur WZ. Dieser Markt, für den man Models benötigt, die nicht der Top-Klasse angehören, breche somit weg – und es sei ein großer Markt.
Beyond Studio setze bei seinen Fotoproduktionen bereits stark auf KI, sagt auch Sebastian Zell, der gemeinsam mit Michael Berger Geschäftsführer ist. Beyond Studio mit Sitz in Düsseldorf ist ein Studio für Foto- und Filmproduktionen sowie eine Konzeptionsagentur für Kampagnen und Contentproduktion. Seit etwa eineinhalb Jahren seien KI-Models zunehmend begehrt, sagt Zell. Geht es um Models für Beauty-Produkte wie Makeup, Lidschatten oder Lippenstifte, „funktioniert KI unfassbar gut“. Große Kosmetik-Marken hätten schon umgesattelt. Das KI-Model muss weder geschminkt und frisiert noch von einer Agentur vermarktet werden. Das ist um einiges günstiger – und damit sind auch weitere Bereiche in der Modebranche betroffen. „Man merkt schon eine gewisse Nervosität in der Branche“, sagt Zell. KI sei die Antwort auf den zunehmenden Preisdruck am Markt und damit die Zukunft, meint er.
Günstiger und nachhaltiger shooten
Noch etwas komplizierter sei der Einsatz von KI für Mode-Kampagnen, wie es Mango vorgemacht hat. „Was schon jetzt perfekt funktioniert, ist, dass wir jede beliebige Location für die Shootings in der Post-Produktion generieren und das Model, das im Studio geshootet worden ist, einbauen“, sagt Zell. „Aufgrund unserer eigens dafür entwickelten Technik nennen wir diesen Prozess des Einbauens auch ,beyonden’.“ Ob Miami-Beach, die Dünen Dubais oder ein Gletscher in den Alpen: Model und Team müssen dort nicht mehr hinreisen. Damit fallen nicht nur die Reisekosten weg, sondern es ist auch schneller, verlässlicher, nachhaltiger, und: „Die Shootings in der Modebranche sind antizyklisch: Die Sommermode wird im Winter geshootet und umgekehrt. Durch die KI-generierte Illusion wird man von den Jahreszeiten unabhängig.“
Weniger effizient sei es derzeit aber noch, konkrete Kleidungsstücke – zum Beispiel für die Kampagne für eine Kollektion – auf das KI-Model zu bringen, sagt Zell. Denn die KI halluziniere. „Ich kann einen Pulli fotografieren und der KI sagen, dass sie ihn auf das Model setzen soll – der Pulli hat dann aber vielleicht zwei statt drei Knöpfe. Und das geht für die Modehersteller gar nicht.“ Das deutsche Modeunternehmen Marc Cain hat daher für seine aktuelle Herbst/Winter-Kollektion einen Mittelweg gewählt, der allerdings aufwendig klingt: Die KI generierte laut Zell ein Blumenfeld als Hintergrund und die KI-Models darin, während echte Models im Studio die Kleidungsstücke anzogen und genauso wie die KI-Models posierten. Diese wurden fotografiert, die Kleidungsstücke danach am Computer ausgeschnitten und auf die KI-Models gesetzt.
Shoppen mit Avatar
Dass bald Kund:innen, die online zum Beispiel einen Pulli kaufen wollen, nur ihren Body-Mass-Index eingeben und die KI einen Avatar mit diesen Maßen in dem Pulli generiert, ist aber dennoch keine Zukunftsmusik mehr. „In fünf bis zehn Jahren ist es spätestens soweit“, meint Leifheit, die bereits eine KI-Produktionsfirma mit diesem Ziel aufgebaut hat. „Die Retourenquote im Onlinehandel – derzeit bei 40 bis 50 Prozent – wird dadurch extrem sinken.“
Selbst KI-Models sind mit ihren Maßen und ihrem Aussehen nicht mehr alle austauschbar, sondern mitunter einzigartig: 2024 fand die erste Miss-Wahl für KI-Models statt. Kenza Layli, ein KI-generiertes Model mit marokkanischen Wurzeln, gewann. Neben menschlichen Juror:innen saß mit Influencerin Emily Pellegrini auch ein KI-Model in der Jury. Sie ist eine mediale Kunstfigur mit Instagram-Account, die der Chatbot ChatGPT und somit KI im Vorjahr geschaffen hat.
Hologramme auf dem Laufsteg?
Diese Miss-Wahl fand online statt. Zumindest KI-generierte Models, die als Hologramm über den Laufsteg spazieren, wird es wohl so bald nicht geben. „Einige Bereiche der Branche funktionieren nur mit echten Menschen. Top-Models zum Beispiel werden immer gebraucht werden: Sie werden aufgrund ihrer Persönlichkeit gebucht“, sagt Leifheit. Persönlichkeit, das ist etwas, was KI nicht bieten kann, sagt auch Roberta Manganelli, Gründerin, CEO und Director der Model-Agentur Stella Models mit Sitz in Wien. „KI ist zu perfekt, zu ästhetisch, und kann den imperfekten Menschen nicht zur Gänze ersetzen“, meint sie. Herzhaft lachen, etwa in einem Werbefilm, das kann ebenfalls nur der Mensch. „Da macht ein KI-generiertes Bild wenig Sinn.“
Die 17-jährige Lisa will sich jedenfalls dem Wettbewerb stellen und bleibt selbstbewusst. Was sie von einem KI-Model unterscheidet? „Die Ausstrahlung“, sagt auch sie spontan, „und meine Persönlichkeit, die echt ist, und die keine KI jemals imitieren kann.“ Egal ob in Jeans oder dem kleinen Schwarzen.
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Infos und Quellen
Genese
Den WZ-Redakteurinnen Petra Tempfer und Ina Weber wurde im Bekanntenkreis die Geschichte der 17-jährigen Lisa erzählt, die gern Model werden würde, woraufhin diese mit ihr Kontakt aufgenommen und weiter recherchiert haben.
Gesprächspartner:innen
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Die 17-jährige Gymnasiastin Lisa lebt in Wien und möchte Model werden.
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Die 55-jährige Chefin der Model-Agentur, bei der Lisa ein Fotoshooting gemacht hat, möchte anonym bleiben.
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Doreen Leifheit ist Inhaberin der internationalen Modelagentur Most Wanted Models mit Sitz in München und Hamburg. „Krisen bergen immer auch viele Chancen in sich. Wir erkennen diese, und um unser Netzwerk und unsere Expertisen weiterhin umfangreich zu nutzen, haben wir eine KI-Produktionsfirma aufgebaut, die den Kunden und Kundinnen die vollständige Umsetzung ihrer Ideen inklusive der passenden Avatare ermöglicht: ,The Bridge’ setzt genau da an, wo die Kunden und Kundinnen weiterhin Unmengen an Content zur Bewerbung ihrer Produkte benötigen und bietet alle Werkzeuge, aus einer Idee ein fertiges Shooting inklusive Videodarstellungen rein digital zu erstellen“, sagt Leifheit.
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Roberta Manganelli ist Gründerin, CEO und Director der Model-Agentur Stella Models mit Sitz in Wien, die es seit 1993 gibt.
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Sebastian Zell ist gemeinsam mit Michael Berger Geschäftsführer der Beyond Creative und des Beyond Studio, das bei seinen Fotoproduktionen stark auf KI setzt. Dieses ist ein Studio für Foto- und Filmproduktionen sowie eine Konzeptionsagentur für Kampagnen und Contentproduktion. „Es ist aufgrund der vielen neuen und für die meisten unserer Kunden und Kundinnen noch unbekannten Veränderungen notwendig, dass wir schon vor der Konzeption von Kampagnen als eine beratende Instanz verstanden werden. Mit unserer Expertise können wir genau beurteilen, wieviel KI für eine Kampagne gut ist beziehungsweise sinnvoll eingesetzt werden kann. Es geht momentan um den sinnvollen Einsatz von KI. KI kann helfen, Kampagnen auf ein ganz neues Level zu heben – wenn die KI-Tools an den richtigen Stellen eingesetzt werden“, sagt Zell.
Daten und Fakten
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Kenza Layli, ein KI-generiertes Model mit marokkanischen Wurzeln, gewann im Jahr 2024 die erste Miss-Wahl für KI-Models. ChatGPT schreibt: „Kenza Layli fiel durch ihre einzigartige Darstellung auf, da sie als KI-Model mit Hijab die traditionellen Schönheitsstandards herausforderte und Diversität repräsentierte. Dies könnte ein entscheidender Faktor gewesen sein, der auch von KI-Juroren wie Emily Pellegrini positiv bewertet wurde. Pellegrinis Algorithmus könnte auf diese Art von Unterscheidungsmerkmalen und dem Innovationsfaktor positiv reagiert haben.“
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Emily Pellegrini ist eine mediale Kunstfigur und Influencerin, die der Chatbot ChatGPT und somit KI im Jahr 2023 geschaffen hat. Sie betreibt ein Instagram-Profil.
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Rechtliches: „In Österreich und der EU gibt es eine gesetzliche Bestimmung (§ 42h UrhG), welche die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten als Text- und Data-Mining (TDM) gestattet. Es sprechen gute Gründe dafür, dass auch das Training einer generativen KI als TDM zu qualifizieren ist und daher grundsätzlich keine Zustimmung der Urheber:innen erfordert. Wenn Urheber:innen nicht möchten, dass ihre Inhalte zum Training einer kommerziellen KI-Anwendung verwendet werden, können sie dies durch das Aussprechen eines (maschinenlesbaren) Vorbehalts verhindern. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob durch KI-Anwendungen erzeugte Texte oder Bilder selbst einen urheberrechtlichen Schutz genießen. Obwohl dies nicht explizit im Urheberrechtsgesetz geregelt ist, ergibt sich aus einer Gesamtschau, dass zum derzeitigen Stand nur menschliche Schöpfungen urheberrechtlichen Schutz genießen.“ (Philipp Homar, Universitätsprofessor und Vorstand der Abteilung für Informationsrecht und Immaterialgüterrecht an der WU).