Von Susanne Lintl
Ein unscheinbarer Typ mit umgehängter Gitarre steigt 1961 in New York aus einem Bus und besucht sein großes Idol, Folklegende Woody Guthrie, im Krankenhaus. Auch Musikmanager Pete Seeger ist gerade zu Besuch bei dem an der Nervenkrankheit Chorea Huntington erkrankten Woody. Bob, der complete unknown, spielt ihnen einen seiner Songs auf der Gitarre vor, und er gefällt. „Song to Woody“ ist der Beginn der großen Karriere von Robert Zimmerman alias Bob Dylan.
Es ist nichts weniger als die Genese einer Musiklegende, an der uns Regisseur James Mangold in seinem oscarreifen Film zweieinhalb Stunden teilhaben lässt. Die Entwicklung eines armen jungen Mannes aus Minnesota zu einem der größten Musiker und Songtexter, ja: Literaten unserer Zeit mit all seinen Zweifeln, Visionen und Amouren. Den rasanten Aufstieg Bob Dylans vom Folksänger in kleinen Clubs über seine Auftritte in Konzertsälen bis an die Spitze der Musikcharts. Auch seine Frauengeschichten werden behandelt: seine Beziehung zu Joan Baez ebenso wie die zu seiner Lebensliebe Suze Rotolo, die hier Sylvie Russo heißt.
Filmische Gestalt verleiht Bob Dylan Timothée Chalamet, der hier die beste Performance seiner bisherigen Schauspielkarriere abliefert.
Monica Barbaro als Joan Baez in „A Complete Unknown“
Fünf Jahre lang bereitete sich der 29-Jährige, selbst glühender Dylan-Fan, auf die Rolle vor, lernte singen und Gitarre spielen. Selbst die raue Dylan-Stimme eignete er sich mit viel Üben an, ebenso wie das lässige Mundharmonika-Spiel Dylans während seiner Auftritte.
Elektro-Schock
Der Aufwand hat sich gelohnt: Chalamet ist Bob Dylan: Er sieht aus wie er, er bewegt sich wie er, er singt fast wie er. Angeblich soll der 83-jährige Meister, der völlig zurückgezogen lebt, per Tweet sein Wohlwollen über Chalamets Darstellung seiner selbst kundgetan haben. Die höchste Weihe für Chalamet, sozusagen. Eine der Schlüsselszenen des Films ist jene, als Dylan nicht mehr bereit ist, auf dem Newport Folkfestival brav seine folkig-bluesigen Songs herunterzuleiern und das Publikum mit rauen Rock’n Roll-Riffs auf der E-Gitarre schockte. Da war klar: Dylan geht seinen eigenen Weg, er lässt sich von niemandem etwas befehlen (der KURIER berichtete).
INFO: USA, 2024. 141 Min. Von James Mangold. Mit Timthée Chalamet, Elle Fanning.