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Männernorm: Warum Frauen in medizinischen Studien oft fehlen

von Max

Alexandra Kautzky-Willer, erste Professorin für Gendermedizin in Österreich, erklärt im Interview mit der WZ, warum Männer und Frauen anders krank werden. Und warum das in der Therapie noch nicht ausreichend berücksichtigt werden kann.

WZ | Jasmin Bürger

Da stellt sich gleich die Frage zur Gendergerechtigkeit in der Medizin: Sind Frauen und Männer in Ihrem Beruf heutzutage überhaupt gleichberechtigt?

Alexandra Kautzky-Willer

Die Medizin ist immer noch sehr patriarchisch strukturiert, man sieht diese sogenannte „leaky pipeline“ nach wie vor. Obwohl mehr Frauen das Medizinstudium abschließen, dünnt sich ihr Anteil, je höher hinauf es geht, aus. Und ich erlebe immer wieder, dass Frauen es schwerer haben, sich durchzusetzen. Sich darauf zu verlassen, dass die eigene Leistung anerkannt wird, reicht nicht, man muss laut sein. Ich habe gerade in höheren Gremien schon auch den Eindruck, dass Männer manchmal lieber noch unter sich wären. Wenn da zehn Männer und zwei Frauen sind, hat man das Gefühl, dass Männer eher einem anderen Mann zuhören und bei Frauen dazu neigen, darüber hinwegzugehen oder es nicht so ernst zu nehmen. Wenn dagegen ein Mann den größten Blödsinn sagt, bekommt er trotzdem Bestätigung, sie halten mehr zusammen. Das gilt national wie international.

WZ | Jasmin Bürger

Was kann man dagegen tun?

Alexandra Kautzky-Willer

Hier an der Meduni Wien gibt es viele Frauenförderprogramme. Es braucht aber immer noch Zeit und noch mehr Frauen, die sich auch für höhere Positionen bewerben. Denn oft hat man für Spitzenposten zehn Bewerber, davon eine Frau und dann ist die halt manchmal wirklich nicht die Bestqualifizierte. Die kann man dann auch nicht nehmen, nur weil sie eine Frau ist.

WZ | Jasmin Bürger

Sie sind über Ihre Forschung zum Schwangerschaftsdiabetes zur Gendermedizin gekommen. Gibt es abseits der geschlechtsspezifischen Erkrankungen typische Frauen- und Männerkrankheiten? Oder sind es vor allem Unterschiede in der Ausprägung von Krankheiten, die in der Gendermedizin bisher entdeckt wurden?

Alexandra Kautzky-Willer

Beides. Einerseits gibt es natürlich die geschlechtsspezifischen Erkrankungen etwa der Geschlechtsorgane, also bei Frauen etwa Endometriose oder Menstruationsbeschwerden, beim Mann erektile Dysfunktion oder Prostatakrebs. Dann gibt es Krankheiten, die beide betreffen, aber ein Geschlecht überproportional – da ist das jeweils andere Geschlecht benachteiligt, weil man es später und seltener erkennt.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei beiden Geschlechtern die Haupttodesursache

Alexandra Kautzky-Willer

WZ | Jasmin Bürger

Welche Krankheiten sind das zum Beispiel?

Alexandra Kautzky-Willer

Das ist etwa Brustkrebs, den auch Männer bekommen können. Oder Depressionen, die bei Frauen öfter diagnostiziert werden, während Männer sich öfter suizidieren, weil sie andere Symptome haben und die Erkrankung daher oft nicht erkannt wird. Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei beiden Geschlechtern die Haupttodesursache, Männer haben aber öfter im mittleren Alter Herzinfarkte und Schlaganfälle, Frauen sind viel später betroffen. Autoimmunerkrankungen haben primär Frauen. Parkinson, ADHS und Autismus andererseits haben mehr Männer, ebenso wie Suchtkrankheiten. Bei schmerzassoziierten Krankheiten ist die Gicht die einzige, die eindeutig mehr Männer haben, von allen anderen sind Frauen stärker betroffen und sie haben auch ein höheres Schmerzempfinden.

WZ | Jasmin Bürger

Wie lassen sich diese Unterschiede medizinisch erklären?

Alexandra Kautzky-Willer

In der Gendermedizin erforschen wir die biologischen Unterschiede, wir beschäftigen uns mit dem Einfluss der Sexualhormone auf Gesundheit und Krankheit, auch Geschlechtschromosomen spielen eine Rolle. Ein weiterer wichtiger Faktor sind die psychosozialen Verhältnisse – Alkohol, Rauchen, Bewegung, Ernährung –, da zeigen sich ganz wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Überall, wo Sexualhormone eine große Rolle spielen, gibt es Unterschiede. Überall, wo der Lebensstil eine große Rolle spielt, auch – wobei Frauen hier im negativen Sinn sehr aufholen. Denn beim Rauchen und Alkoholkonsum haben sie schon bei niedrigerem Konsum höhere Schäden, weshalb sich das bei der Entstehung von Krankheiten mittlerweile fast ausgeglichen hat.

WZ | Jasmin Bürger

Wie gut sind Unterschiede zwischen Mann und Frau mittlerweile erforscht?

Alexandra Kautzky-Willer

Es gibt in allen Fachbereichen der Medizin das Bewusstsein, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, und Forschungsgruppen, die sich damit beschäftigen. Aber selbst in der Kardiologie, wo das Thema seinen Ursprung genommen hat, wissen wir nach wie vor nicht, etwa warum Frauen andere Formen von Herzinfarkten haben als Männer. Auch bei Bluthochdruck scheint sich abzuzeichnen, dass für Frauen eigentlich niedrigere Werte angesetzt werden müssen. Es ist ganz viel nicht klar, vor allem die Ursachen nicht. Und solang man die Ursachen nicht kennt, kann man auch nicht gezielt behandeln.

WZ | Jasmin Bürger

Das heißt, in der Therapie werden geschlechtsspezifische Unterschiede, obwohl erkannt, nicht berücksichtigt? Gibt es denn schon unterschiedliche Dosierungsempfehlungen bei Medikamenten?

Alexandra Kautzky-Willer

Die Therapiemöglichkeiten sind bei den meisten Krankheiten für beide Geschlechter im Großen noch völlig gleich, bei Diagnoseerstellung werden geschlechtsspezifische Risikofaktoren teilweise aber schon besser berücksichtigt. Was Medikamente betrifft, weiß man zwar, dass Frauen mehr Nebenwirkungen oder sogar spezifische Nebenwirkungen haben, aber es gibt keine konkreten Empfehlungen zur Dosierung.

Es gibt ein einziges Medikament in den USA für Frauen in der halben Dosis

Alexandra Kautzky-Willer

WZ | Jasmin Bürger

Bei keinem einzigen Medikament?

Alexandra Kautzky-Willer

Es gibt ein einziges Medikament, das in den USA für Frauen in der halben Dosis am Markt ist, ein Schlafmittel. In Europa wurde das nicht so übernommen, weil die europäische Arzneimittelagentur gemeint hat, das könne jeder Arzt individuell anpassen. Derzeit kann man bei der Dosierung jeglicher Medikamente also nur nach Alter, Körperstatur, Gewicht und je nachdem, ob ein Medikament fett- oder wasserlöslich ist, von Fett- und Muskelmasse ausgehen.

WZ | Jasmin Bürger

Aber woran liegt das, warum gibt es keine geschlechtsspezifischen Empfehlungen?

Alexandra Kautzky-Willer

Arzneimittelstudien waren ganz lang reine Männerstudien– also auch für Medikamente, die für Frauen und Männer auf den Markt kamen, weil es für die Forschung zu mühsam war, Frauen, die durch Zyklus und mögliche Schwangerschaft ganz andere Voraussetzungen haben, zu inkludieren. Aspirin etwa war ursprünglich auch nur an Männern getestet. Mittlerweile gibt es Richtlinien, dass Frauen in Arzneimittelstudien eingeschlossen werden müssen, der Frauenanteil ist aber immer noch gering, auch bei wichtigen Herz-Kreislauf-Medikamenten liegt er oft nur bei 25 Prozent. Einzig bei Adipositas-Medikamenten liegt ihr Anteil schon bei 45 Prozent, weil hier Frauen großes Interesse haben. Ansonsten sind sie bei Arzneimittelstudien aber auch weit risikoaverser als Männer. Daher zeichnen sich bei der medikamentösen Therapie nur langsam Verbesserungen ab, eben weil fundiertes Wissen fehlt.


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Infos und Quellen

Genese

Das Interview mit Alexandra Kautzky-Willer kam rund um Recherchen zum Internationalen Frauentag und dazu passenden Personen und Themenfeldern zustande. In der Gendermedizinforschung zeigt sich, dass von Benachteiligungen bei der Behandlung, Diagnose und Therapie sowohl Männer als auch Frauen betroffen sind.

Gesprächspartnerin

  • Alexandra Kautzky-Willer spezialisierte sich als Medizinerin auf Endokrinologie und Stoffwechsel, später auch Geriatrie. 2010 übernahm sie die österreichweit erste Professur für Gendermedizin und die Leitung des europaweit ersten postgradualen Lehrgangs zum Thema.

  • Zur Gendermedizin, mit der man sich in Österreich um 2007/08 zu beschäftigen begann, kam sie über ihre damalige Forschung zum Schwangerschaftsdiabetes: „Damit bin ich damals in eine Nische vorgestoßen, nicht einmal Gynäkologen haben das so richtig ernst genommen. Es hat sich aber gezeigt, dass ein Schwangerschaftsdiabetes große Auswirkungen auf das spätere Risiko der Mutter, an Diabetes Typ 2 zu erkranken oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, hat. Und wie die Mutter versorgt ist, hat auch großen Einfluss auf das Risiko des ungeborenen Kindes, später selbst übergewichtig zu werden oder Diabetes zu bekommen – dabei gibt es wiederum Unterschiede, ob es ein Bub oder ein Mädchen ist“, sagt Kautzky-Willer zu ihrem Zugang zum Thema.

Daten und Fakten

  • Ganz allgemein gesagt untersucht Gendermedizin biologische und psychosoziale Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sowohl das Gesundheitsbewusstsein als auch die Entstehung und Wahrnehmung von, wie auch den Umgang mit Krankheiten betreffen.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien

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