Populäre Namen
„Der Gedanke, dass man mich in Scheibbs und Palermo gleichzeitig hört, macht mich erbeben“, sagte Startenor Leo Slezak seinen ersten Radioauftritt an. „Mein Trost ist, dass mir, falls es schiefgeht, keiner was an den Kopf werfen kann.“
Von Anfang an versuchte das Radio, mithilfe großer Namen populär zu werden. Doch die Stars hatten – ähnlich wie beim Film – gar keine Lust dabei zu sein, empfanden sie doch „das Mikrophonsprechen“ als würdelos. Bis sie die Reklamewirkung des Radios erkannten: In der Volksoper liefen 24 Vorstellungen der Operette „Der gütige Antonius“, fast ohne Publikum. Die 25. wurde von der RAVAG übertragen, und von da an war das Haus 500 Mal ausverkauft!
Rundfunk als Wunder
In den ersten Jahren wurde der Rundfunk als Wunder gesehen, was mitunter zu kuriosen Situationen führen konnte. Einmal auch in einer sehr ernsten Stunde der Ersten Republik, wie der langjährige RAVAG-Direktor Rudolf Henz später erzählte: Ein Reporterteam des jungen Rundfunks eilte am 15. Juli 1927 zum brennenden Justizpalast, nachdem das Gebäude aus Protest gegen den als ungerecht empfundenen Freispruch im „Schattendorfer Prozess“ von sozialdemokratischen Arbeitern gestürmt worden war. 89 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt.
Als sich nun der Reporter einem Polizisten vor dem Justizpalast mit den Worten „Ich bin von der RAVAG“ vorstellte, packte der Beamte den Journalisten am Kragen, beutelte ihn und sprach, während rundum die Flammen loderten: „Endlich hab i an von der RAVAG. Des wollt i euch immer scho sagen: Warum spielt‘s ihr immer so viel von die depperten Opern. Und kane Fußballmatch?“ Sprach‘s, ließ den Reporter wieder los und seiner Arbeit nachgehen.
Wachsende Popularität des Radios
Im darauffolgenden Jahr wird sich der Polizist gefreut haben, denn 1928 wurde dann tatsächlich das erste Fußballmatch übertragen. Populärster Sportreporter war bald Willy Schmieger, im Zivilberuf Lateinprofessor. Wenn er „Schall zu Vogl, Vogl zu Schall, Schuss Toooor!“ in den Äther rief, war Österreich ebenso begeistert wie ein halbes Jahrhundert später, als Edi Finger mit seinem „I wer narrisch“ Radiogeschichte schrieb.
Professor Willy Schmieger übertrug auch die Spiele des „Wunderteams“, und fast zeitgleich gab es Österreichs ersten Radioskandal, als ein Radiosprecher bei Sendeschluss nach dem üblichen „Gute Nacht“-Gruß die Hörer mit den Worten „Und jetzt könnt‘s mi alle . . .“ überraschte. Der Techniker hatte das Mikrofon abzuschalten vergessen, wodurch das keineswegs zur Ausstrahlung gedachte Götzzitat auf Sendung ging. Der Sprecher wurde fristlos entlassen, doch als Tausende Hörer dagegen protestierten, stellte ihn die RAVAG wieder ein.
Der frühe Radioliebling Karl Farkas erinnerte sich: „Vor jeder Sendung flehten wir das Publikum an: Bitte, nicht lachen, das könnte die Aufnahme stören. Es dauerte Jahre, bis wir darauf kamen, wie gut es einer Sendung tut, wenn das Publikum im Saal lacht und damit die Leute zu Hause animiert.“
Neben Reportagen, wie die vom Brand des Justizpalasts und Sportübertragungen, trugen die Berichte von Charles Lindberghs Atlantikflug viel zur immer größer werdenden Popularität des Radios bei.
Volksempfänger
Am 11. März 1938 schrieb Bundeskanzler Schuschnigg Hörfunkgeschichte, als er sich von seinen Landsleuten mit den Worten „Gott schütze Österreich!“ verabschiedete. Die anderntags einmarschierenden Nationalsozialisten missbrauchten das Radio dann für ihre via „Volksempfänger“ gesendete Propaganda und für Durchhalteparolen.
In den Nachkriegsjahren schenkte man uns neue Radiolieblinge. Heinz Conrads brachte es mit der Sendereihe „Was gibt es Neues?“ – die anfangs „Was machen wir am Sonntag, wenn es schön ist?“ hieß – zum Radioweltmeister, denn er moderierte sie 40 Jahre lang. „Die große Chance“, produziert von der US-Sendergruppe Rot-Weiß-Rot (RWR), war der Durchbruch für Maxi Böhm, der sich selbst als „radioaktivster Österreicher“ bezeichnete. Statt Geld erhielten seine Quiz-Kandidaten im hungernden und frierenden Wien damals Kohle, Senf und Waschpulver. Legendär bleibt auch der Sportreporter Heribert Meisel und der trotz seiner maßlosen Arroganz sehr beliebte Heinz Fischer-Karwin („Aus Burg und Oper“).
Ab 1967 brachte Ö3 einen neuen Sound, präsentiert von Ernst Grissemann über Rudi Klausnitzer bis André Heller.
Österreichs erfolgreichste Sendung blieb lange Zeit „Autofahrer unterwegs“, die von 1957 bis 1999 auf Österreich Regional von bis zu zwei Millionen Hörern täglich verfolgt wurde. Wenn deren Kult-Sprecher Walter Niesner und Rosemarie Isopp die Straße querten, zogen die Passanten ehrfurchtsvoll den Hut, baten um Autogramme und ließen sich, weit vor der Erfindung des Selfies, mit ihnen fotografieren.
Seit 1995 gibt es in Österreich neben dem ORF auch privaten Hörfunk. Hundert Jahre ist das Radio jetzt schon alt, und doch kein bisschen leise.
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