Startseite Politik Man kann den zivilen Tod von Menschen herbeischreiben

Man kann den zivilen Tod von Menschen herbeischreiben

von Max

KURIER: Alle Verfahren gegen Sie wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses sowie wegen Amtsmissbrauchs in Ihrer Zeit als Minister wurden eingestellt. Geblieben ist eine Anklage wegen des Vorwurfs der Falschaussage als Auskunftsperson vor dem ÖVP-Korruptionsausschuss. Muss der Strafverteidiger Brandstetter damit rechnen, selbst im Gefängnis zu landen?

Wolfgang Brandstetter: Das ganze Ermittlungsverfahren dauerte länger als meine Amtszeit. Mir ist wichtig, dass von den Vorwürfen absolut nichts geblieben ist. Zum noch offenen Verfahren etwas zu sagen, wäre schlechter Stil. Selbstverständlich stelle ich mich dem Verfahren mit offenem Visier.

Sie haben im U-Ausschuss angegeben, Ihr Privathandy bei der Amtshandlung der Staatsanwaltschaft nicht bei sich gehabt zu haben, was nicht stimmt. Danach beriefen Sie sich auf Erinnerungslücken nach einer Corona-Erkrankung. Wird man Ihnen das glauben?

Ich habe volles Vertrauen in die unabhängige Richterschaft. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Warum haben Sie sich vor dem U-Ausschuss nicht entschlagen?

Das wollte ich bewusst nicht, weil ich nichts zu verbergen hatte.

Die damaligen Ermittlungen, die am Beginn von der WKStA ausgingen und zuletzt bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck lagen, haben Ihre Karriere als Verfassungsrichter ruiniert. Wütend darüber? 

Natürlich war das sehr bitter für mich. Aber wenn man zum Schluss kommt, dass man – wenn auch unverschuldet – zu einer Belastung für eine Institution geworden ist, der man dienen soll, dann muss man gehen.

Dass die Staatsanwaltschaft Wien direkt bei einem Verfassungsrichter „einreitet“ und das Notebook wegnimmt, war ungewöhnlich.

Nach aktuellem Recht wäre so etwas gar nicht mehr möglich. Es war sogar ein uniformierter Polizist dabei, damit ich nicht davonlaufe. Die Sicherstellung fand dann nicht im VfGH statt, weil der Präsident das gar nicht zugelassen hätte, sondern im Büro meines Verteidigers.

Wie beurteilen Sie den Zustand der Justiz?

Natürlich passieren Fehler. Das beste Beispiel ist die Razzia im BVT (Inlandsnachrichtendienst; Anm.) – die später vom Oberlandesgericht als weitgehend rechtswidrig qualifiziert wurde. Dafür müsste es eine Fehlerkultur geben. Aber im Wesentlichen kann man den Gerichten vertrauen.

Sie waren befreundet mit Christian Pilnacek, der von Justizministerin Alma Zadić als „Supersektionsleiter“ entmachtet wurde. Nach seinem Tod meinte seine Witwe, er habe sich nicht das Leben genommen, sondern es sei ihm genommen worden. Teilen Sie diese Meinung? 

Ich war über seinen Tod sehr betroffen und kann die Äußerungen der Witwe aus ihrer Sicht nachvollziehen. Er war absolut loyal gegenüber allen Ministern und hat ihnen immer den Rücken freigehalten.

Er galt als brillant, aber äußerst machtbewusst.

In meiner Amtszeit als Minister war er völlig korrekt und auch nie parteipolitisch motiviert.

Chats zwischen Ihnen und Pilnacek – nach Ihrer Zeit als Minister – sind öffentlich geworden. Hätten Sie zurückhaltender sein sollen?

Alle Chats wurden von den Strafbehörden genau gecheckt. Sie werden nichts finden, wofür ich mich genieren müsste.

Haben Sie ein schwarzes Netzwerk mit Pilnacek gebildet?

Das ist ein böswilliges Narrativ und stimmt nicht. Ich war mit ihm – vor allem im legistischen Bereich – gar nicht immer einer Meinung.

Bereuen Sie eigentlich Ihren Ausflug in die Politik?

Ich verdanke meiner Amtszeit viele schöne Begegnungen, weit über Parteigrenzen hinweg. Aber mit der Weisheit des Rückblicks würde ich es aus Rücksicht auf meine Familie, die quasi mitbestraft wurde, nie mehr tun. Ich hätte beim Rücktritt von Michael Spindelegger auch ausscheiden sollen. Aber sein Nachfolger Reinhold Mitterlehner wollte, dass ich bleibe.

Sie hatten dann keine Hausmacht mehr in der ÖVP?

Die hatte ich ja nie. Ich war auch nie ÖVP-Mitglied.

Wie ist Spindelegger überhaupt auf Sie gekommen?

Eigentlich wurde ich von der SPÖ vorgeschlagen, wie mir Spindelegger später erzählt hat. Von meiner Herkunft her bin ich sicher christdemokratisch geprägt, habe mich aber immer unabhängig gefühlt.

Der ehemalige Jusitzminister Wolfgang Brandstetter zu Gast im Salon Salomon

Legendär war Ihr Wurlitzer im Ministerbüro. Auch für Journalisten haben Sie Platten aufgelegt.

Genau genommen ist diese Musicbox ja eine „Seeburg“ (Markenname; Anm.). Das war eine schöne, sehr entspannende Sache. Immer wenn Journalisten kamen, habe ich „Don’t be cruel“ (von Elvis Presley) gespielt.

Und haben die sich daran gehalten, nicht grausam zu sein?

Natürlich nicht. (lacht)

Sie sammeln Oldtimer, haben sogar ein kleines Museum im Waldviertel. Was lieben Sie daran?

Ich wollte in meiner Jugend auch Mechaniker werden. Das ging leider nicht, weil ich in der Schule zu gut war. Damals musste man sich zwischen Gymnasium und Lehre entscheiden. So ein Oldtimer ist eine Zeitkapsel, man fühlt sich in die Jugend zurückversetzt. Ich genieße es, mit meinem Enkel damit zu fahren, und habe viele Freunde in der Community gewonnen. Einer davon ist leider gerade verstorben, der ehemalige KURIER-Motorsportjournalist Helmut Zwickl. Ich werde die Sammlung in Sallapulka auch für die Öffentlichkeit zugänglich machen in Verbindung mit Filmen. Das macht mir viel Freude.

Sie hatten früher durchaus einen Hang zu Medien und waren einst sogar Pressesprecher der Hochschülerschaft. Als Top-Jurist haben Sie sehr viel später aus Interesse ein Praktikum im ORF-„Report“ absolviert. Sehen Sie den Journalismus heute kritischer?

Wolfgang Brandstetter

Journalisten müssen sich ihrer Verantwortung besser bewusst sein. Um 16.30 Uhr schickt zum Beispiel der ORF eine Bitte um Stellungnahme mit einer Frist bis 18 Uhr. Wenn man das nicht rechtzeitig liest, hat man Pech gehabt. Oder: Es war dem KURIER eine Schlagzeile auf der Titelseite wert, als die WKStA voriges Jahr gegen mich Ermittlungen eingeleitet hat wegen der Äußerungen des burgenländischen Landeshauptmannes in seinem Buch (dieser hatte Brandstetter vorgeworfen, dass er ihn in Vertretung seines Mandanten, des Immo-Investors Tojner, zu bestechen versucht habe; Anm.). Als es dann nicht einmal einen Anfangsverdacht gab, wurde das in der Zeitung weit hinten und klein berichtet. Ich habe schon den Eindruck, dass man mit den heutigen Mitteln des Journalismus den zivilen Tod von Menschen herbeischreiben kann. Das greift tief in Grundrechte ein.

Und wie empfinden Sie den Zustand der Politik?

Die Menschen, wie ich sie auch daheim im Waldviertel erlebe, haben immer weniger Verständnis für das, was sich auf der politischen Ebene abspielt. Man sollte sich in allen Parteien selbst weniger wichtig nehmen und ein bissl mehr im Auge haben, was die Menschen wirklich bewegt.

Was ist eigentlich auf Ihrer Krawatte abgebildet?

Das ist ein Faksimile der Magna Carta, der ersten Sammlung der Grundrechte aus dem Mittelalter. Wir haben in unserem Land doch noch erhebliche Grundrechtsdefizite, die es zu beseitigen gilt. Dafür werde ich weiterhin kämpfen.

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