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Mann, Frau und die sieben Identitäten dazwischen

von Max

Wann ist ein Mann ein Mann, fragte schon Herbert Grönemeyer in seinem gnadenlosen Ohrwurm. Diese Frage mit ihrer Spiegelung im Weiblichen – Wann ist eine Frau eine Frau? – hat sich inzwischen aus irgendeinem Grund als einer jener zentralen gesellschaftlichen Dispute etabliert, an denen wir uns wundreiben. Selbst in einem Wahlkampf, in dem es um die Zukunft Europas, um die Radikalisierung der Mitte, die drohende Wirtschaftskrise oder zumindest die Zukunftsfitness dieses Landes gehen könnte, definieren sich die Spitzenkandidaten über die Frage, wie viele Geschlechter es gibt.

Diese Fluiditätsfrage ist natürlich ein Heimspiel für die Kultur: Schon zu Shakespeares Zeiten, ach was, eigentlich immer schon schlüpfte man hier in Rollen, die zwischen den Geschlechtern liegen. Aber weil es nun mal eine große Debatte ist, tut man nun mit allem Ernst so, als müsste man erst klären, ob der Mensch eine wohldefinierte Person mit einem wohldefinierten Geschlecht ist – oder vielleicht, huch, auch nicht, sondern ein vielfältiges, oszillierendes Prismawesen. 

Nun also darf Orlando ran, zuerst Mann, dann Frau, ein Jahrhunderte lebendes Satirewesen auf die gesellschaftlichen Umstände. Bietet sich ja an. Willstedt vertraut dem Setting Woolfs nicht abschließend – Orlando ist hier nicht einer, eine, sondern gleich viele. Die Bühne (von Marten K. Axelsson) ist, bis auf im Hintergrund herabhängende weiße Plastikplanen, leer; und da weiß man schon, hier kommt’s also dann aufs Schauspiel an.

Da kann mit einem derart starken Ensemble ja eigentlich auch nichts schiefgehen: Auf den Orlando werden gleich mehrere Stars geworfen. Martin Schwab, Stefanie Dvorak, Elisabeth Augustin, Markus Meyer, Nina Siewert, Itay Tiran, Sean McDonagh huschen anfangs, in ähnlich schwarze Geschlechtermischgewänder gekleidet (Kostüme: Maja Mirkovic), über die Bühne, sie fächern den Orlando auf, der in einem sexuellen Erweckungserlebnis mit einer unheimlichen Königin zum Mann und dann, nach einem Mördersturm sexueller Gewalt in Konstantinopel, zur Frau wird.

Wie das auf die Bühne kommt, ist schlau, und ein Showcase für Schauspielerinnenleistungen: Der siebenköpfige Orlando spielt sich selbst die Bälle zu, ist zugleich sein Gegenüber und die Facetten seines Inneren, erzählt, wie man sich als Frau durch die Jahrhunderte quält und zugleich, wie leicht man es als Mann hat. Etwa als Marmaduke Bonthrop Shelmerdine, Esquire (angesichts dieses fantastischen Namens bricht das Ensemble in einen lustigen Kanon aus), der als extramännlicher Mann Orlando die Rutsche dafür legt, mal simple Frau zu sein und sich von Männerunsinn – der Esquire reist heroisch um die Welt, was Frauen offenbar gefällt – einwickeln zu lassen.

Sonst ist nichts einfach, Orlandos Stolpern durch die Jahrhunderte arbeitet alle Facetten des Inneren ab, die brutalen Liebesenttäuschung, das Streben nach und verlieren der Macht, die Geilheit, der man ausgeliefert ist. Es ist eine Freude, dem Ensemble beim Einander-Zuspielen der Gefühlsbälle zuzuschauen. 

Wer im „Hamlet“ am Donnerstag gesessen ist, wird trotzdem ums Meckern in einem Punkt nicht herumkommen: Das Aufteilen einer Rolle auf mehrere Ich-Darstellerinnen, die dann das Kaleidoskop der Persönlichkeitscherben spielen – das müsste nicht gleich zwei Mal in drei Premieren sein, es gibt am Theater mehr zu sagen als hier dermaßen willig am Identitätsdiskurs entlangzusegeln.

Aber egal. „Ich bin ja noch hier“, ruft Orlando am Schluss erstaunt. Stimmt, es hat sich das alles, worum sich der „Orlando“ dreht, ja eher verschärft als gelöst. Man wird noch mehr Produktionen sehen, die eine Rolle auf verschiedene Ichs aufteilen, soll sein. 

Hier jedenfalls: Euphorischer Jubel, der stärkste der drei Eröffnungspremieren Bachmanns.

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