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Mein Leben mit Diabetes: Gesund genug im Alltag, zu krank für ein Eigenheim?

von Max

WZ-Redakteurin Verena hat Diabetes. Sie hat die Krankheit sehr gut im Griff. Doch Versicherungen sehen das anders und schaffen Hürden, die den Kindheitstraum des Eigenheims aufgrund von Diskriminierung und veralteten Denkmustern ins Wanken brachten.

Mein Traum vom Eigenheim hielt bis zum Gespräch mit meinem Hausarzt. Es war keine neue unangenehme Diagnose. Der Typ-1-Diabetes stand seit beinahe 20 Jahren fest. Doch nun musste ich am eigenen Leib erfahren, was eine Stoffwechselkrankheit mit dem Kauf von Eigentum zu tun hat.

Doch der Reihe nach.

Das Eigenheim war ein lang gehegter Wunsch, den ich über Jahre, genaugenommen Jahrzehnte, generalstabsmäßig bis ins kleinste Detail geplant hatte: Budget, Haushaltskosten, mein Job: Alles war darauf ausgerichtet − und passte. Jetzt schien der Weg frei. Die Verträge lagen unterschriftsreif vor. Oder sagen wir: fast unterschriftsreif.

Das „fast“ sollte sich als Knackpunkt herausstellen.

Doch vorerst war in meinem Kopf alles schon Wirklichkeit. Der Banktermin verlief reibungslos: „Wir brauchen jetzt nur noch eine Lebensversicherung, die den Kredit im Fall eines Ablebens deckt“, erklärte der Berater. Kein Problem, dachte ich. Eine Formalität. Noch am nächsten Morgen kontaktierte ich die erste Versicherung.

Das Angebot kam prompt: rund 100 Euro monatlich. Absolut machbar. Im Anhang fand sich ein Gesundheitsfragebogen – mehrere Seiten lang. Ich war überrascht, aber noch sorglos. Ich war gesund, zumindest für mein Gefühl. Mein Diabetes spielte keine Rolle, den hatte ich schließlich sehr gut im Griff.

Träumen bis zum Hausarzt-Besuch

Mein Hausarzt indessen ließ mich hart auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen: „Verena, ich fülle dir das gern aus, aber es wird nichts bringen.“ Warum? „Du bist Typ-1-Diabetikerin. Keine Versicherung wird das Risiko eingehen.“ Risiko? Welches Risiko?

Das Risiko zu sterben?

Plötzlich war es da: das Gefühl, krank zu sein. Zum ersten Mal schien meine Diagnose mehr als ein medizinischer Begriff. Sie war ein Stempel, der mit einem Mal mein Leben bestimmte.

Sechs Versicherungen kontaktierte ich. Sechs Mal erhielt ich die gleichen, nahezu wortidentischen Ablehnungen. Keiner fragte nach meinen Blutwerten, nach meinem Lebensstil oder nach meiner stabilen Einstellung. „Typ-1-Diabetiker versichern wir nicht“, hieß es schon vorab. Punktum.

Womit mein Traum vom Eigentum auf einmal in weite Ferne rückte. Die ganze Planung schien an einem veralteten Bild von Diabetes zu scheitern, das von Unwissenheit geprägt war.

Warum ich mich diskriminiert fühle?

Ich konnte nicht fassen, wie wenig jahrelange Disziplin und aktives Leben zählten. Mein Diabetes war perfekt eingestellt im Zusammenspiel von modernster Technik, kontinuierlicher Blutzuckermessung und gesunder Ernährung. Ich fühlte mich nicht nur fitter als viele Menschen ohne chronische Erkrankung, ich war es auch. Immerhin: Als vollberufliche Redakteurin tanzte ich nebenberuflich in einem Ballettensemble und war so fit, wie es für Spitzentanz und Walzer notwendig ist, und das heißt: verdammt fit.

Für die Versicherungen spielte das keine Rolle.

Ohne behindert zu sein, werde ich behindert: Der Führerschein muss alle fünf Jahre erneuert werden, immer wieder mit ärztlichen Stellungnahmen. Krankenzusatzversicherungen sind für mich unbezahlbar – selbst, wenn sie kaum Leistungen bieten. Bestimmte Berufe, wie Rauchfangkehrerin, Dachdeckerin, Pilotin oder gar ein Job bei der Polizei oder beim Zoll, bei dem ich eine Waffe tragen würde, bleiben unerreichbar. Hypoglykämien – also Unterzuckerungen – gelten nämlich pauschal als zu großes Risiko, selbst wenn sie in meinem Fall kaum auftreten. Begründet wird das mit einer möglichen hohen Eigen- oder Fremdgefährdung bei Hypoglykämien, denn eine starke Unterzuckerung kann zu Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit führen. Dass heutige technische Diabetes-Management-Systeme oft bis zu 20 Minuten vorher eine Unterzuckerung anzeigen und damit Zeit geben, sie zu verhindern, wird ignoriert.

Nur nicht aufgeben

Doch ich wollte nicht aufgeben. Ein Freund, ein Versicherungsvertreter, wollte helfen. Er brachte seinem Vorgesetzten meine detaillierten Unterlagen. Mit Erfolg: Ich bekam eine Polizze. Der Haken? Die Beiträge waren fast dreimal so hoch wie für „gesunde“ Menschen. Aber ich hatte endlich die Absicherung, die ich brauchte, um meinen Traum weiterzuverfolgen.

Ignoranz, Ignoranz, Ignoranz

Die Auswirkungen dieser Ignoranz sind gravierend. Sie betreffen nicht nur den Abschluss von Versicherungen, sondern das gesamte Leben. Meine Diagnose beeinflusst sogar Entscheidungen wie eben den Erwerb des Eigentums, die nur peripher etwas mit meiner Gesundheit zu tun haben. Ich bin einem ständigen Kampf gegen Vorurteile und veraltete Strukturen ausgesetzt.

Mein Traum vom Eigenheim wurde dennoch Wirklichkeit. Doch dieses in meinem Fall halbwegs gute Ende darf nicht täuschen. Denn diese Erfahrung zeigt, wie wenig sich trotz aller technischen Fortschritte an den Strukturen geändert hat. Die moderne Diabetes-Technologie macht eine individuelle und sichere Einstellung des Blutzuckers möglich. Doch Versicherungen, Banken und Ämter nehmen es nicht zur Kenntnis. Sie halten an den vereinheitlichenden und damit diskriminierenden Regeln fest. Ein Blick auf den Menschen hinter der Diagnose? Fehlanzeige.

Es braucht einen grundlegenden Wandel: weg von pauschalen Annahmen, hin zu individueller Betrachtung. Denn hinter jeder Diagnose steht ein Mensch – und der verdient es, gesehen zu werden.


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Verena Franke lebt seit 1997 mit der Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 und hat die Entwicklung im Management der Erkrankung immer vorn dabei miterlebt. Sie versucht, die veralteten Denkmuster aufzubrechen und setzt sich aktiv gegen Vorurteile ein.

Daten und Fakten

  • Die Zahl der Menschen, die weltweit an Typ-1 oder Typ-2-Diabetes leiden, hat sich zwischen 1990 und 2022 vervierfacht. Betroffen sind mehr als 800 Millionen Personen weltweit.

  • Diabetes mellitus Typ 1:

    Diese Erkrankung bricht meist im Kindes- oder Jugendalter aus. Heranwachsende, bei denen Diabetes Typ 1 diagnostiziert wird, haben als Ursache eine Autoimmunreaktion, bei der die Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse unwiederbringlich verloren geht. Sie sind von Beginn an und lebenslang auf Insulininjektionen angewiesen. Wegen des frühen Beginns der Erkrankung und der lebenslangen Dauer sollte die Krankheit besonders gut unter Kontrolle gehalten werden. Das bedeutet zunächst eine besonders gute Blutzuckereinstellung, um Langzeitkomplikationen wie Netzhaut-, Nieren- und Nervenschäden sowie eine frühe Atherosklerose zu vermeiden. Das ist aber mit wechselnder körperlicher Aktivität, Infektionskrankheiten, Hormonumstellungen wie Pubertät und Menstruation oft nicht einfach. Weltweit leiden schätzungsweise 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren an Typ-1-Diabetes, in Österreich sind es ca. 30.000 Personen.

  • Diabetes mellitus Typ 2:

    In Österreich leben rund 800.000 Menschen mit Diabetes, das heißt, jeder oder jede Zehnte. Hinzu kommen laut Berechnungen noch rund 350.000 Personen, die eine Vorstufe der Erkrankung haben. Alle 50 Minuten stirbt in Österreich ein Mensch an den Folgen des Diabetes. Das sind 10.000 Menschen im Jahr. Typ 2 wird oft als Volkskrankheit bezeichnet, die durch Übergewicht, Vererbung und ungesunde Lebensweise entstehen kann. Die Körperzellen werden mit der Zeit resistent gegen Insulin. So erschöpft sich die Kapazität der Bauchspeicheldrüse, Insulin zu bilden. Die Mehrheit der Menschen mit Diabetes hat diese Form der Erkrankung. Dann braucht man Medikamente, später auch zusätzliches Insulin per Spritze oder Pumpe.

Quellen

Das Thema in der WZ

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