Kämpfen kann Michael Kretschmer: Bei der letzten Wahl 2019 landete die CDU nur knapp vor der als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD. In den Umfragen der letzten Wochen war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, zuletzt lag die CDU mit 33 Prozent vorne (AfD: 31 Prozent).
Gegen den Koalitionspartner
Kretschmer setzt auf die Themen Leistung, Sicherheit und Migration. Er ist gegen das Ampel-Prestige-Projekt Bürgergeld, verspricht mehr Polizisten und eine (unrealistische) Obergrenze für Flüchtlinge. Nicht selten versucht er sich an einem ähnlichen Populismus, mit dem auch die AfD und das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) punkten. Er schießt sich auf die Grünen ein – mit denen er derzeit noch regiert, die aber aus dem Landtag fallen könnten. Nichts bleibt unversucht im Kampf gegen die AfD.
Geboren ist der 49-Jährige in der Grenzstadt Görlitz, er stammt aus demselben Wahlkreis wie der AfD-Chef Tino Chrupalla. Dass dieser ihm bei der Bundestagswahl 2017 das Direktmandat abnahm, habe Kretschmer „persönlich geschmerzt“, heißt es. Im Wahlkampf setzt der CDU-Politiker auf Gespräche mit den Menschen, bemüht sich um geduldiges Zuhören – bis ihm beim x-ten Vorwurf wegen der schlechten Wirtschaftslage der Geduldsfaden reißt. Dann wird er energisch, wird leicht zynisch, wenn er seinem Frust Luft macht. Hier im Seniorenwohnheim aber, da fühlt sich Kretschmer wohl; hier hört man ihm zu, hier will man mit ihm reden.
„Warum holen Sie so viele Ausländer rein?“, fragt eine rüstige Pensionistin. Kretschmer differenziert, zwischen Menschen, die zum Arbeiten kommen, und denen, die auf der Flucht sind, deren Zahl aber viel zu hoch sei. „Deswegen haben wir Grenzkontrollen und eine Bezahlkarte eingeführt.“
Ein stämmiger Mann in grünem Janker, „geboren am 7. September 1923“, wie dieser betont, kritisiert die „Brandmauer gegen rechts“, eine Ablehnung der Zusammenarbeit mit der AfD: „Ich finde es nicht gut, dass man mit politisch Andersdenkenden, auch wenn sie problematisch sind, nicht reden möchte.“ Kretschmer zieht sein Jackett aus, krempelt sich die Hemdärmel auf und fragt nach einer Tasse Kaffee: „Die Spitze dieser Truppe hat eine Geisteshaltung, die ist gefährlich für die Demokratie.“
Spielraum bei Russland-Meinung
Ein älterer Herr in gestreiftem Polo lobt Kretschmer für seine Ansichten zu Russlands Krieg in der Ukraine. Kretschmer ist gegen Waffenlieferungen, will den Krieg „einfrieren“ und später, „in einer Zeit nach Putin“, verhandeln, „damit das Sterben aufhört“ – ganz im Gegensatz zur eigentlichen Linie der CDU. Doch im russlandaffineren Osten lässt CDU-Chef Friedrich Merz seinem Ministerpräsidenten eine eigene Meinung – die sonst die AfD und das BSW bedienen würden.
Wie es nach dem Sonntag weitergeht? In der Partei hofft man, dass die SPD den Einzug in den Landtag schafft. Am BSW, dessen Parteichefin Wagenknecht Kretschmer zuletzt ein „Talent, Dinge zu zerstören“ unterstellte, führt aber kein Weg vorbei, wenn Kretschmer im Amt bleiben will. Und das will er.
Kretschmer blickt auf die Uhr, der nächste Termin wartet. Eine Heimbewohnerin, die eine Pflegerin für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen will, animiert er noch, einen Brief an den Bundespräsidenten zu schicken; den Vorschlag eines älteren Mannes, die ostdeutschen Bundesländer Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu „Mitteldeutschland“ zusammenzuschließen, lehnt er jedoch höflich ab, und verabschiedet sich.