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Mit Katastrophen leben lernen – bis es einen selbst trifft

von Max

WZ-Redakteurin Petra Tempfer verbrachte die Nacht damit, Wasser aus ihrem Keller zu pumpen. Sie fragte sich daraufhin: Wo endet unsere Anpassungsfähigkeit an Katastrophen wie die Klimakrise?

Die Sonne lacht mir sarkastisch ins Gesicht: Es ist der Morgen nach der Nacht meiner persönlich schlimmsten Umweltkatastrophe. Nach den starken Unwettern und Regenfällen der vergangenen Tage traf mich das Hochwasser wie tausende weitere Niederösterreicher:innen mit voller Wucht. Beziehungsweise meinen Keller: Er liegt in St. Andrä-Wördern im Tullnerfeld und war zu Beginn des Regens noch schön trocken, während ich die Bilder überschwemmter Keller schockiert am Bildschirm betrachtete. Quasi im Nachgang wurde er jedoch von einer Welle des Grundwassers geflutet, das sich durch Fugen, Ritze und Wände drängte und sich heimtückisch aus dem versickernden Regenwasser der Umgebung nährt. Jenem Wasser, das nach wie vor steigt, während die Sonne bereits von einem wolkenlosen Himmel strahlt.

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Ganz Niederösterreich wurde am 15. September 2024 zum Katastrophengebiet erklärt. Einen Tag später war es auch bei mir so weit: Ein teilweiser Stromausfall gegen Mittag, der den Bildschirm meines Arbeitslaptops im Homeoffice schwarz werden und das Internet ausfallen lässt. Ein Blick in den Keller macht gewiss, was ich bereits befürchtet habe: In einem Eck – dort, wo die Heizung steht – breitet sich langsam, aber stetig, Wasser aus. Und es wird immer mehr.

Ein Häferl voll Wasser

Fast schon lächerlich wirkt es heute auf mich, wie mein Sohn und ich anfangs mit Kaffeehäferln versuchen, das Wasser wegzuschütten. Getrieben von dem Gedanken, es aufhalten zu können, bin ich noch erleichtert, dass die Wasserlacke nur ein Eck unseres Kellers betrifft. Doch dabei sollte es nicht bleiben.

Die Geschwindigkeit, mit der die Lacke wächst und der Wasserspiegel steigt, ist enorm. Die Kaffeehäferl reichen schon längst nicht mehr – Handtücher schon gar nicht. Aus der Lacke ist ein Pool geworden. Teppiche, Holz und Kartons schwimmen darin. Deshalb frage ich um Hilfe: bei Verwandten und Freund:innen, bei Nachbar:innen, Bekannten und Kolleg:innen. Und hier beginnt die Faszination einer spontanen, aber lückenlos funktionierenden Hilfskette, die mir vor allem eines sofort klar werden lässt: Katastrophen sind zu unserem Alltag geworden. Wir haben gelernt, mit ihnen zu leben.

Sogenannte Jahrhunderthochwasser treffen uns seit Jahrzehnten mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit, sodass wir diverse Instant-Messaging-Gruppen einfach nur wieder aufleben und die bereits bekannten Schlüsselpersonen kontaktieren müssen, sobald wir Hilfe benötigen. Und ein weiterer Gedanke, der wie schon zu Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 ein dominierender war: Habe ich genug Konserven zuhause, um meine Familie und mich durchfüttern zu können, falls die Supermarkt-Zulieferer nicht mehr fahren? Ja, sage ich mir – seit der Pandemie ist auch das der Fall. Und eine App des Innenministeriums, die mich vor Katastrophen warnt, habe ich natürlich auch.

„Der Mensch passt sich an“

„Der Mensch passt sich an“, sagt dazu der Trend- und Zukunftsforscher Andreas Reiter. „Er entwickelt Strategien, um das Leben erträglich zu machen – in diesem Fall die Konsequenzen des Klimawandels.“ Resilienz sei das Zauberwort, also die Fähigkeit, sich anzupassen, um Krisen zu überstehen. „Das ist das Kernthema unserer Zeit.“

Dieses Verhalten sei jedoch defensiv, sagt Reiter zur WZ. Und: „Man hinkt damit immer hinterher.“ Um einiges sinnvoller wäre es daher, nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen, aus den Katastrophen zu lernen und zum Beispiel – im Fall der Klimakatastrophen – die Bodenversiegelung zu stoppen oder auf Flugreisen zu verzichten. „Der Mensch will sich aber nicht radikal ändern“, sagt Reiter, „und die Politik traut sich nicht, Maßnahmen wie diese umzusetzen, um nicht Wähler:innen zu verlieren.“

Stecken wir also im aussichtslosen Teufelskreis? Nicht unbedingt, meint dazu Reiter. Denn was den Menschen motiviere, sei die Möglichkeit der Mitbestimmung. „Es ist wichtig, dass man die Betroffenen ermächtigt, sich an möglichst vielen Entscheidungen zu beteiligen: Dann ist das Ergebnis nachhaltig.“ Im Jahr 2022 hat zum Beispiel der sogenannte Klimarat, der aus 100 Personen bestand und eine Art „Mini-Österreich“ darstellte, seine Empfehlungen für Maßnahmen gegen den Klimawandel der Bundesregierung übergeben. Diese hatte er gemeinsam mit Wissenschaftler:innen wie einem Klimaforscher und einer Umweltökonomin erarbeitet. Eine Empfehlung war etwa, eine parteiunabhängige Klimakommission einzurichten, die Gesetze auf ihre Klimawirksamkeit evaluiert. Und auch Wien hatte bereits sein Klimateam. Das Team bestand aus zufällig gelosten Bürger-Juror:innen, die im November 2022 entschieden, welche Projekt-Ideen in ihren Bezirken umgesetzt werden sollen (Margareten, Simmering und Ottakring). Insgesamt stellte die Stadt Wien 6,5 Millionen Euro für die Klimaprojekte wie eine Frischluft-Tankstelle, ein Wurmhotel oder ein Öko-Café zur Verfügung.

Maßnahmen brauchen ihre Zeit

„Die öffentliche Hand sollte nicht nur reparieren, sondern auch aktiv gestalten“, sagt Reiter. Es gehe um die Fragen: Wo wollen wir hin? Welche Gesellschaft wollen wir sein? Ist der Weg die Anpassung – oder die nachhaltige Veränderung? „Letztendlich wird es eine Mischung aus beidem sein. Denn auch um die Anpassung kommen wir nicht herum, wenn man bedenkt, dass manche Maßnahmen ihre Zeit brauchen, wie zum Beispiel die Dach-Begrünung.“

Maßnahmen und Anpassung: Daran denke ich nicht, als ich die Nacht nach der Überflutung meines Kellers durchpumpe. Den Nasssauger füllen; das Wasser in die Kübel leeren; die Kübel ausleeren; den Nasssauger füllen. Ich muss die Nacht über durchpumpen, sage ich mir – um dann erschöpft und mit einem vollen Kübel in der Hand, der gefühlt mit jeder Stufe schwerer wurde, auf der Bank einzunicken. Als ich um vier Uhr früh aufschrecke und in den Keller hinunterlaufe, bestätigt sich meine Angst: Der Wasserspiegel ist erneut gestiegen und sogar noch höher als am Vortag.

Mittlerweile überlege ich tatsächlich, schon fast panisch, was ich langfristig ändern könnte, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Eine Maßnahme wäre freilich, unser altes Auto zu verkaufen und stattdessen mit dem Fahrrad zum Bahnhof zu fahren. Denn nach Wien in die Arbeit fahre ich ohnehin mit dem Zug. Aber wie bringe ich dann allein schon morgen den gesamten Sperrmüll weg, der von meinem Keller-Mobiliar übriggeblieben ist? Und wie hole ich Entfeuchter für die Wochen danach? Das würde alles nur noch viel komplizierter machen. Und teurer. All das ist im Moment für mich also keine Option. Auf geringen Stromverbrauch und Mülltrennung achte ich ohnehin seit Jahren. Als Anpassung den Keller besser abdichten? Das wollte ich schon lange: Dieses Projekt ist aus Geldgründen jedoch bis jetzt gescheitert.

Daher heißt es also vorerst für mich: weiterpumpen. Sobald mein Keller wieder trocken ist, ist mein Kopf für weitere konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel vielleicht auch wieder frei. So weit bin ich im Moment aber noch nicht. Denn mein Sohn schreit gerade aus dem Keller: „Es ist wieder gestiegen!“ Ich muss los.


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Petra Tempfer befand sich gerade im Homeoffice in St. Andrä-Wördern im Tullnerfeld, als das Grundwasser am Tag nach dem Start der Unwetter am 15. September 2024 so hochstieg, dass es ihren Keller flutete. Das Erlebte niederzuschreiben, helfe ihr bei der Verarbeitung, sagte sie.

Gesprächspartner

Andreas Reiter gründete Ende 1996 das ZTB Zukunftsbüro in Wien. Seitdem ist er Leiter des Büros, das Unternehmen, Kommunen, Destinationen und öffentliche Institutionen im deutschsprachigen Raum bei strategischen Zukunftsfragen, bei ihrer nachhaltigen Transformation und ihrer Profilierung berät.

Daten und Fakten

Quellen

Das Thema in der WZ

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