Ob es Zufall ist, dass ihre neuen Bücher gleichzeitig erscheinen, ist nicht bekannt. Ebenso wenig, ob sie sich mit der kurzen Form abgesprochen haben. Monika Helfer widmet sich auf schlanken 80 Seiten erneut ihrem „Vati“, den man aus dem gleichnamigen Roman kennt. Für „Der Bücherfreund“ hat Helfer mit der Illustratorin Kat Menschik gleichsam eine zweite Erzählerin gefunden, was, gleich vorweg, sehr gut gelingt.
Michael Köhlmeiers Buch „Die Verdorbenen“ geht schon fast als Novelle durch. Er erzählt temporeich, vom Einstieg bis zu den schlau platzierten Cliffhangern: „Eine Vorahnung sagte: Du wirst schlecht aussteigen.“
Es geht um den Österreicher Johann, in den 1970er-Jahren Student der Germanistik und Politikwissenschaft in Marburg. Der Erzähler von heute erinnert sich dunkel an sein früheres Ich, diesen jungen Mann, der „eine hohe Meinung“ von sich hatte und sich auszukennen glaubte. Als Christiane und Tommi, seit Kindertagen ein Paar, in sein Leben treten, weiß er bald nichts mehr, vor allem nicht, wie ihm geschieht. Johann weiß nicht einmal, ob ihm Christiane gefällt und doch bilden die drei bald eine merkwürdige Ménage à trois. Christiane hat Sex mit Johann und Tommi darbt am Fußende des Bettes vor sich hin und weint. Über dem ganzen hängt ein Kruzifix – einen Meter hoch und „beängstigend realistisch“.
Es wird schlimmer. Verstärkt wird das Interesse an der Merkwürdigkeit dieser Geschichte natürlich auch dadurch, dass Köhlmeier seinem Protagonisten autobiografische Versatzstücke wie das Gitarrespielen und die frühen journalistischen und literarischen Fingerübungen leiht.
Ein bisschen erinnert Köhlmeiers Sound hier zunächst an verhangene Rückschauen im Stil eines Patrick Modiano: „Ich bin mir nicht nahe, wenn ich denke, wer ich damals gewesen war. Es gibt nur wenige Fotos von mir aus dieser Zeit. Der junge Mann darauf ist mir fremd.“
Bald geht es in der deutschen Studentenstadt dann wie in einem Nouvelle-Vague-Film zu, schon der Buchtitel klingt ja wie von Godard. Christiane, weder zärtlich noch gesprächig, redet nur beim Sex, das hört sich allerdings an, als würde sie einen Vortrag über Marcuse halten. Und Johann? „Mir fiel nichts ein, was ich gern zusammen mit Christiane tun würde, außer mit ihr ins Bett zu gehen, und selbst darüber war ich mir nicht mehr sicher.“
Eine Lösung kündigt sich an. Christiane will sich umbringen, eine andere Frau taucht auf, leider gibt auch Fußende-Schläfer Tommi nicht auf. Es wird sich was tun. Was aber davon ist wahr? Es bleibt rätselhaft und ambivalent.
Weniger Worte
Monika Helfer braucht für ihre Erzählung „Der Bücherfreund“ weniger Action. Dabei berichtet sie mit sehr wenigen Worten sehr viel. Wenn der spätere Vati, damals noch Soldat, zur künftigen Mutti gerne sagen würde „ich liebe dich, doch dazu müsste man erst per du sein, und das waren sie noch nicht. Aber bald waren sie es. Als die verdammte Scheiße endlich vorbei war, heirateten sie.“
Was nach „der verdammten Scheiße“, dem Krieg, folgt, kennt man zum Teil aus dem Roman „Vati“: Gemeinsam leitet die Familie ein Kriegsopfererholungsheim in den Bergen, dessen Schatz eine Bibliothek ist. Sie bedeutet alles für Vater und Tochter. Als das Heim einem Hotel weichen soll, sollen auch die Bücher weg. Wird nicht passieren. Im Zuge der Rettungsaktion erfährt man auch, dass das mit dem Geruch von Büchern nicht nur ein Mythos ist. Der Buchbinder verwendet bei einem schlechten Buch nämlich „billigen Leim und billiges Papier, bei einem guten Buch greift er zur erstklassigen Ware.“
Rührend ist, wie manches in den Büchern beider Autoren auftaucht. Bei Köhlmeier wie bei Helfer machen die Eltern gerne Witze und haben’s insgesamt lustig miteinander. Was für ein Schatz.