ÖFB-Star Marcel Sabitzer ist bekannt für elegante Körpertäuschungen und einen harten Schuss. Abseits des Platzes gilt er als still. Bis zuletzt jedenfalls. Vor wenigen Tagen erklärte Sabitzer nämlich, dass die Mannschaft nicht nur auf dem Platz unangenehm sei: „Wir sind auch außerhalb unangenehm. Wir hinterfragen Sachen, wir hinterfragen Handlungen.“ Das war eine Kampfansage – an den eigenen Verband.
Im ÖFB gärt ein Konflikt. Einerseits sind da Weltstars wie David Alaba von Real Madrid und der renommierte Trainer Ralf Rangnick, die eine Fußballeuphorie im Land entfacht haben. Andererseits gibt es Provinzfunktionäre, die eigene Interessen verfolgen und ungeniert Machtkämpfe ausfechten – auf Kosten des Sports. Nun lehnen sich Fußballer öffentlich gegen Funktionäre auf. Sie wollen den behäbigen ÖFB verändern. Kann das gelingen?
Personalstreit als Auslöser
Am 24. Oktober schrieb David Alaba eine E-Mail an die ÖFB-Bosse. Der Mannschaftsrat ersuche „um ein persönliches Treffen“, heißt es darin. Der Hintergrund: Rangnick und sein Team wollen den Rauswurf von Geschäftsführer Bernhard Neuhold verhindern, der ein wichtiger Mann für sie ist. Denn Neuhold hat die Einnahmen des ÖFB vermehrt für die Entwicklung des Nationalteams verwendet – anstatt, wie früher üblich, die Landesverbände zu begünstigen. Im ÖFB-Präsidium haben jedoch die Landesverbandspräsidenten das letzte Wort. Am 18. Oktober beschlossen sie die Kündigung Neuholds. In erster Linie, weil er und der zweite Geschäftsführer Thomas Hollerer (dessen Kündigung ebenso fixiert wurde) zerstritten sind – und so den Verband lähmten. Aber auch ein anderes Motiv spielte mit: Es werde Aufgabe der neuen Geschäftsführung sein, erklärte ein Landespräsident gegenüber der WZ, „die Gelder richtig zu verteilen“.
Rangnick witterte den machtpolitischen Hintergrund und bat gemeinsam mit dem Mannschaftsrat die ÖFB-Bosse, das Arbeitsverhältnis mit Neuhold nicht zu beenden. Neuhold sei „in allen organisatorischen und finanziellen“ Belangen „unverzichtbar“, heißt es in der Mail. Und: „Lassen Sie uns bitte den Weg, den wir als Mannschaft gemeinsam eingeschlagen haben, erfolgreich weitergehen.“ Die Chefetage polterte: Die Spieler sollten sich lieber aufs Kicken konzentrieren. Diese Aussage drang zum Team durch, das sich nun nicht ernstgenommen fühlte. „Wir sind doch keine Schülermannschaft“, wurde laut WZ-Informationen intern geklagt.
Fußballer gegen Funktionäre
Am Abend des 11. November kam es in einem Wiener Hotel zur Aussprache zwischen den ÖFB-Bossen und dem Mannschaftsrat. Auf der einen Seite saßen Alaba, Sabitzer, Marko Arnautovic und Konrad Laimer. Auf der anderen Präsident Mitterdorfer und seine vier Vizepräsidenten. Die Spieler wollten wissen, was Neuholds Rauswurf rechtfertigt. Dann bekamen sie das Dilemma hautnah mit: Die Funktionäre sind sich in dieser Causa nämlich nicht einig, sondern zerstritten. Das Gespräch drehte sich im Kreis. Mitterdorfer versuchte, die Spieler zu besänftigen. Sie würden auch künftig bestens betreut, versicherte er. Dann erwähnte Vizepräsident Gerhard Götschhofer einen Brief: Ein Schreiben von Mitterdorfer aus dem Oktober 2023, in dem er das zerrüttete Verhältnis der beiden Geschäftsführer beschreibt. Interessant dabei ist, dass Hollerer darin schlecht wegkommt, Neuhold hingegen sehr positiv. Warum also muss Neuhold ebenfalls gehen, fragten die Spieler. Sie witterten einen machtpolitischen Hintergrund.
Machtpolitik ist im ÖFB keine Seltenheit. Immer wieder wurden Entscheidungen zum Nachteil der Fußballer:innen getroffen – die deshalb mittlerweile hellhörig sind. Zu frisch ist bei vielen noch die Erinnerung an das Jahr 2017. Da entließ die ehrenamtliche Männerrunde im Präsidium über Nacht Sportdirektor Willi Ruttensteiner, der Österreichs Männer-Nationalteam in die Top Ten der Welt geführt hatte. Er war ihnen schlicht zu einflussreich geworden. Ruttensteiner habe den ÖFB „wie sein Unternehmen geführt“, klagte Vizepräsident Johann Gartner. Nachfolger Peter Schöttel hingegen würde sich „auch etwas einreden lassen“.
Janko: Kein Leistungsprinzip im ÖFB – „Eine Hand wäscht die andere“
Marc Janko, 41, war damals der Stürmerstar im Nationalteam. Er fragte öffentlich: „Was hat denn bitte der Willi verbrochen?“ Heute sagt er im WZ-Gespräch: „Ich wollte damals nicht akzeptieren, wie in aller öffentlichen Schamlosigkeit solch dilettantische Entscheidungen zustande kommen. Das hat doch zum Himmel gestunken. So etwas lässt sich nicht mit meinem Rechtsbewusstsein vereinbaren.“
Doch Janko war der einzige Teamspieler, der sich öffentlich kritisch äußerte. Bewirken konnte er nichts. Und so nahm alles seinen Lauf: Wenig später bekamen die Spieler den unpassenden Trainer Franco Foda vor die Nase gesetzt, der mit mutigen Männern ängstlichen Fußball praktizierte und die Spieler ihrer Stärken beraubte. Es sei deshalb „immer wieder zu Diskussionen in der Kabine gekommen“, war vonseiten der Mannschaft zu hören.
Vor der EM 2021 war die Sorge bei vielen Profis groß. Kapitän Julian Baumgartlinger erhielt Anrufe von Mitspielern, die ihm ihr Leid klagten. Gemeinsam mit ÖFB-Physiotherapeut Mike Steverding entschloss sich Baumgartlinger dazu, intern Kritik zu äußern. Teamchef Foda wurde danach zu einer Führungskräfte-Schulung verdonnert – aber im Amt belassen. Doch der Mann konnte nicht aus seiner Haut: Auch bei der EM-Endrunde zog er die Handbremse. „Wir bringen zu wenig Personal nach vorn“, brachte es Marcel Sabitzer nach der 0:2-Pleite gegen die Niederlande auf den Punkt. Vor dem Achtelfinal-Schlager gegen Italien wurde an einem Notfallplan gebastelt, Spieler um Alaba und Sabitzer studierten laut WZ-Informationen den Gegner, besprachen Laufwege und tüftelten an eigenen Ideen. Die renommierten Kicker wollten auf der Weltbühne nicht wie Angsthasen auftreten. Der Plan ging auf: Österreich spielte so wie nie zuvor unter Foda, angriffig und offensiv – und erreichte zumindest die Verlängerung. Der ÖFB feierte – und entließ kurz darauf Physiotherapeut Steverding, der die Beschwerden über Foda intern weitergeleitet hatte. Im ÖFB herrsche „in gewissen Ämtern bis heute kein Leistungsprinzip“, sagt Janko aktuell zur WZ. „Eine Hand wäscht die andere. Ausschreibungen und Konzepte sind für manche ein Fremdwort.“
Vizepräsident Gartner über Rangnick: „Er ist halt ein Genie“
Rangnick fiel dem ÖFB zu. Eigentlich wollte Schöttel seinen Kumpanen Peter Stöger als Teamchef. Bei Rangnick fragte er bloß halbherzig an, wie er selbst zugab. Doch dann verliebte der sich in die Spieler, verzichtete auf ein Millionengehalt und wurde Teamchef. Von Rangnick forderten die Kicker gleich bei seinem Amtsantritt im Mai 2022: „Lass uns bitte attackieren!“ Seitdem spielt die Mannschaft offensiv und mutig. Sie hat Kaliber wie Italien, Deutschland und die Niederlande besiegt. Rangnick hat auch die Mentalität im Nationalteam verändert – und seine Spieler ermutigt, öffentlich aufzumucken. „Wir stehen für Professionalität“, erklärte Teamspieler Maximilian Wöber vor zwei Wochen, „und das sollte man im ganzen ÖFB durchziehen.“
Doch das gestaltet sich schwierig. Als Rangnick Ende August an einer Sitzung mit den ÖFB-Bossen teilnahm, zog er deren Ärger auf sich. „Auf der Tagesordnung stand, dass der Teamchef über die abgelaufene EM berichtet“, erzählt Vizepräsident Gartner. „Über Struktur und neue Geschäftsführung wollten wir untereinander reden.“ Dann kam jedoch alles anders. Rangnick gab auch seinen Senf dazu. „Er ist halt ein Genie“, unkt Gartner heute, „und wenn ihm was einfällt, dann sagt er es – auch wenn es nicht immer gemeinschaftsfördernd ist.“
Rangnick, der etwa das Red-Bull-Fußballimperium mit aufgebaut hat, gilt als Macher, der möglichst schnell viel voranbringen will. Der 66-Jährige denkt nicht in Tagesordnungspunkten. Die ÖFB-Führung fühlt sich vom machtbewussten Deutschen zunehmend überrumpelt. Dabei betonte sie anfangs noch, Rangnick überall mitreden zu lassen. Der ließ sich das nicht zweimal sagen – und traf sich mit dem Bundeskanzler, um den Bau eines neuen Nationalstadions voranzutreiben, suchte geeignete Spielstätten und veränderte gar die Stadionmusik. „Seine Ideen sind zu diskutieren“, sagt Gartner. „Aber es geht nicht alles. Ein Verband ist anders zu führen als eine Firma.“
Kritik am Sportdirektor: „Was macht Schöttel hauptberuflich?“
Anfangs sah Rangnick in Präsident Mitterdorfer einen Mitstreiter – eine ÖFB-Reform wurde thematisiert. Mitterdorfer soll Rangnick den Verbleib Neuholds und diverse Personalien zugesagt haben. Doch dann rückte er davon ab. Um unter den Funktionären eine Mehrheit für eine solche Strukturreform zu bekommen, verwässerte er diese mit Kompromissen. Etwa soll der einst so undurchsichtig ins Amt gerutschte Sportdirektor Schöttel nun zum Sport-Geschäftsführer aufsteigen, obwohl Rangnick und er nicht auf einer Wellenlänge sind. Ex-ÖFB-Stürmer Janko sieht das kritisch: „Ich frage mich seit etlichen Wochen, was Schöttel hauptberuflich macht. Er sollte als Sportdirektor dem ÖFB ein Gesicht, eine Meinung geben und vorangehen – aber er zieht es vor, in so einer Situation unterzutauchen, was bezeichnend ist.“ Für Janko könnte es dafür Gründe geben: „Um Sportvorstand zu werden, braucht er einen Mehrheitsbeschluss im Präsidium – und für das eigene Weiterkommen wären kritische Töne da logischerweise kontraproduktiv.“
„Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen“, konterte Rangnick verärgert. Wochenlang herrschte zwischen dem Teamchef und Mitterdorfer Funkstille. Anfang November kam es zu einer Aussprache. Rangnick wollte wissen, mit wem er nach Neuholds Abgang die WM-Qualifikation planen solle. Doch statt Antworten hörte er nur Floskeln. Wenn sich die Lage nicht bessere, erklärte Rangnick dem Präsidenten, werde er seinen bis Ende 2025 laufenden Vertrag nicht verlängern. In der Öffentlichkeit sprach Mitterdorfer danach von einem „konstruktiven Austausch“ und „einem vertrauensvollen Verhältnis“. Nun reichte es Rangnick: „Wir haben gar kein Verhältnis“, stellte er fest.
Druckmittel von Alaba & Co.
Der Ball lag also vermehrt bei den Spielern, die durchaus Macht haben. Sie spielen bei Weltklubs wie Real Madrid oder Inter Mailand und sind damit die Aushängeschilder und wirtschaftlichen Zugpferde des Verbandes. Beim Treffen mit den Funktionären übten sie Druck aus. Der Hintergrund: Bislang bezahlte der ÖFB Alaba und Co. für Werbespots mit ÖFB-Sponsoren weit unter ihrem Marktwert. Im Gespräch deuteten die Stars nun an, künftig mehr Geld zu verlangen oder sich querzulegen. „Wollen Sie mich erpressen?“, protestierte Vizepräsident Gartner. Nach dem Treffen folgte ein Schlagabtausch. Die Spieler hätten mit einem Spielboykott gedroht, erzählte Gartner den „NÖN“. Das sei „die Unwahrheit“, entgegnete Alaba im Kurier. Die Lage spitzte sich zu.
ÖFB-Vizepräsident: „Es gibt ein Leben nach Rangnick“
Vergangenen Donnerstag trat Präsident Mitterdorfer zurück. Als Gründe führte er „persönliche Diffamierungen und Anschuldigungen der letzten Wochen“ an. Sein Problem: Lange sagte er allen alles zu – und wurde dann zwischen dem fordernden Rangnick und den fordernden Funktionären aufgerieben. Der ÖFB steht also aktuell führungslos da. Wie es weitergeht, ist unklar. Haben die Spieler und Rangnick einen Punktesieg gelandet? „Die Macht kann nicht von den Spielern ausgehen“, sagt Vizepräsident Gartner. Denn: „Es gibt ein Leben nach Rangnick – und auch dann sollten wir noch eine Familie sein, die aus allen Kindern besteht.“
Ex-Stürmerstar Janko verfolgt die Lage gespannt. Er höre oft: Die Spieler sollen sich aufs Spielen konzentrieren. „Wenn aber im ÖFB vieles in eine falsche Richtung geht, dann ist es Recht und Pflicht der Spieler und des Trainerteams hier öffentlich zu sagen: Moment! So können wir nicht professionell arbeiten!“ Ob Janko glaubt, dass Spieler und Trainer den ÖFB tatsächlich verändern können? „Die aktuelle Führung hat mehrfach bewiesen, dass sie dem ÖFB mehr schadet als nützt.“ Die Ausgangslage sei nun jedenfalls klar: „Wenn es Rangnick nicht schafft, etwas zu verändern, dann schafft es in den nächsten hundert Jahren keiner mehr.“
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Infos und Quellen
Genese
Nationalteam-Spieler um Superstar David Alaba legen sich mit dem ÖFB an – und fordern mehr Professionalität. Oft waren sie die Leidtragenden von Fehlentscheidungen. Schon in der jüngeren Vergangenheit haben Teamspieler gegen den behäbigen Sportverband angekämpft. Autor Gerald Gossmann schreibt seit vielen Jahren über interne Abläufe im größten Sportverband des Landes. Für diese Geschichte hat er in den Maschinenraum des Nationalteams gehört. Er stellt die Frage: Was können die Sportler wirklich bewegen?
Gesprächspartner:innen
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ÖFB-Vizepräsident Johann Gartner, Ex-Teamstürmer Marc Janko, Funktionäre, ÖFB-Insider und weitere Informant:innen, die anonym bleiben möchten.
Daten und Fakten
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Österreich verfügt über Starspieler wie David Alaba, Marko Arnautovic oder Konrad Laimer, die ihr Geld in Madrid, Mailand oder München verdienen.
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Der ÖFB wird von einem ehrenamtlichen Präsidium geleitet. Das Präsidium ist föderalistisch besetzt – mit den neun Präsidenten der Landesverbände, dem ÖFB-Präsidenten und drei Vertretern der Bundesliga. Unter diesen 13 Männern finden sich Ex-Bürgermeister, pensionierte Richter und Rechtsanwälte, der Altersschnitt beträgt 65 Jahre. Sie sind es, die den österreichischen Profifußball lenken.
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ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer setzte im Präsidium eine Strukturreform durch. Teamchef und Spieler kritisierten den dabei vollzogenen Rauswurf von Geschäftsführer Bernhard Neuhold. Mehr Macht dem Hauptamt, weniger dem Ehrenamt, das sollte die Reform bewirken. Bislang wurden wichtige Entscheidungen oft im Präsidium getroffen, trotz zweier Geschäftsführer. Nun hätten ein CEO und zwei Geschäftsführer den Betrieb leiten sollen – während das Präsidium nur noch als Aufsichtsrat fungiert. Doch an der ordentlichen Umsetzung kamen Zweifel auf. So sollten etwa die Posten für die neue Geschäftsführung ohne öffentliche Ausschreibung besetzt werden. Nach dem Rücktritt von Mitterdorfer ist nun unklar, ob es bei der beschlossenen Reform und der Kündigung der beiden Geschäftsführer Bernhard Neuhold und Thomas Hollerer bleibt.
Quellen
www.oefb.at ÖFB-Präsidium