Qwien bezieht die neue Residenz: Seit 2009 war die Wiener Institution im Bezirk Wieden als Archiv und Bibliothek präsent und hat sich in dieser Zeit einen Namen als Kompetenzzentrum für queere Geschichte gemacht. Nun folgt der nächste evolutionäre Schritt. Am Mittwoch eröffnet Qwien als Kulturzentrum seinen neuen Standort in Wien-Margareten und stößt damit in ganz neue Dimensionen vor. „Wir wollen einfach präsent sein im Kulturleben der Stadt„, meint Andreas Brunner.
Der 62-jährige Historiker ist neben Hannes Sulzenbacher vom Jüdischen Museum einer der beiden Co-Leiter des Qwien 2.0, das seinen bisherigen Auftrag als Archiv, das etwa Nachlässe von Prominenten und Dokumente zur NS-Verfolgung bewahrte, deutlich erweitert. Auch weiterhin versteht man sich als Forschungsstandort inklusive Bibliothek – mit über 10.000 Büchern und 500 queeren Zeitschriftentiteln aus über 50 Ländern die drittgrößte ihrer Art in Europa.
Umzug nach Wieden unvermeidlich: Nutzfläche wurde verdreifacht
Mit künftig rund 900 Quadratmetern Nutzfläche hat man die bisherige Größe aber praktisch verdreifacht, und auch den Stand an Mitarbeitenden konnte man auf acht Vollzeitäquivalente praktisch verdoppeln. „Wir haben künftig von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und Donnerstag bis 20 Uhr offen. Anders wäre das nicht machbar“, zeigte sich Brunner im APA-Gespräch überzeugt. Der Umzug aus der Wieden sei jedenfalls unvermeidlich gewesen: „Wir waren dort einfach am Limit. Wir hatten keinen Lagerplatz mehr und konnten auch nur mehr begrenzt arbeiten.“
Das ist am neuen Standort in der Ramperstorffergasse 39 kein Thema mehr. „Unser Rollregal ist zu Dreiviertel leer. Es war von Anfang klar, dass wir in einer Dimension planen, um uns nicht in fünf Jahren wieder die Frage nach den Kapazitäten zu stellen“, so Brunner lachend zuversichtlich: „Ich werde es in meinem Berufsleben nicht mehr erleben, dass die Hütte voll ist.“
„Wollten immer schon queere Kulturvermittlung machen“
Die Evolution zum Kulturzentrum ist dabei keine Spontanidee gewesen, sondern der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, hatte Qwien doch von Beginn weg Kulturveranstaltungen im Programm – allerdings extern, in Kooperation mit Partnern wie dem Wien Museum oder dem Filmarchiv. „Wir wollten immer schon queere Kulturvermittlung machen“, unterstreicht Brunner.
Das ist nun möglich, hat man doch einen großen und einen kleineren, multifunktionalen Raum für Ausstellungen und Vermittlungsformate zur Verfügung. „Es ging auch darum, einen eigenen Showroom zu haben und Themen zu präsentieren, für die es sonst keinen Ort gibt“, hob Brunner bei aller Öffnung zur breiten Öffentlichkeit die Bedeutung des Qwien für die queere Community hervor. Völlig ausschließen will der Co-Direktor künftige Kooperationen dabei nicht: „Wir haben im Hauptraum 150 Quadratmeter Ausstellungsfläche, was für das eine oder andere Thema vielleicht zu wenig ist.“
Geschichtsfälschung zum Start
Dabei traut man sich zum Auftakt gleich einen kuratorischen Paukenschlag zu mit der Schau „Geschichte machen. Ein queeres Jahrtausend in 27 unglaublichen Objekten“. Schließlich geht es in der sich immer noch dezidiert als queerhistorisches Haus verstehenden Institution um eine echte Geschichtsfälschung.
So wäre eine Ausstellung über queere Geschichte mangels authentischer Objekte letztlich immer ein Schaulaufen repressiver Zeugnisse, die der Staatsapparat bewahrte, wohingegen die authentischen Dokumente bewusst oder mangels Bewusstsein meist zerstört wurden. „Genau damit spielen wir in unserer Eröffnungsausstellung. Weil wir die authentischen, auratischen Exponate eben nicht selbst haben, haben wir sie herstellen lassen“, skizzierte Brunner den Impetus, 27 Objekte zu zeigen, die es hätte geben können. Wenn es die Geschichte nicht gibt, macht man sie eben einfach selbst.
Auftakt zwischen Barockengel und Bierkrug
So finden sich in 27 Kobeln der flexibel verwendbaren Ausstellungsarchitektur 27 Objekte. Von der vermeintlichen Widmung an die Geliebte in einem historischen Buch über den kleinen Barockengel mit dem Antlitz von Tonio, dem Lebensgefährten von Burgtheaterdirektor Raoul Aslan (1945-1948), vom Fotoalbum aus dem mittlerweile abgerissenen queeren Lokal bis zum Bierkrug mit küssenden Burschen am Deckel reicht das Spektrum.
Zwei Ausstellungen in dieser Dimension plant man jährlich im Hauptraum, wobei man auf die Idee einer Dauerausstellung schon alleine mangels Objekten gar nicht gekommen wäre, macht Brunner deutlich: „Außerdem wird das Konzept der Dauerausstellung museologisch überhaupt hinterfragt. Will man ein Geschichtsbild entwerfen, das über viele Jahre stehen bleibt?“ Hinzu komme der museumsstrategische Aspekt: „Irgendwann habe ich mit einer Dauerausstellung das interessierte Wiener Publikum abgegrast und nur mehr die Tourist:innen als Gäste.“
Queerhistorie als subkutane Leitlinie
Deshalb das Konzept der Wechselausstellungen, die bei aller Offenheit für Kunst immer einen historischen Aspekt haben sollen. „Modern queer Art wird es bei uns als Thema nicht geben, weil wir uns nicht als reines Kunstmuseum verstehen. Der queerhistorische Ansatz bleibt immer dabei“, zog der Qwien-Chef klar die Grenze.
Hinzu kommt ein kleinerer Multifunktionsraum mit temporären Bühnenelementen, der von Vorträgen über Lesungen bis zu Diskussionsveranstaltungen nutzbar sein soll. „Der Raum dient als Schnittstelle zwischen Community und Öffentlichkeit – aber auch als Denkraum für die Community“, skizzierte Brunner den Charakter dieser Location, in der Themen Raum finden sollen, die für die breite Öffentlichkeit eventuell weniger interessant seien. Dabei kann auch dieser Bereich für Ausstellungen genutzt werden. So eröffnet hier am 17. Juni eine Fotoschau zu Sabine Schwaighofers Œuvre unter dem Titel „Homo/e Diaries. self portraits & other stories“.
Zwischen Spaziergängen und Fernsehen
Fortgesetzt werden auch die queeren Stadtspaziergänge, die von Beginn weg ein wichtiges Element waren, um Qwien in der Bundeshauptstadt populär zu machen. „Es war immer das Anliegen von Qwien, nie in einem Elfenbeinturm zu Hause zu sein“, stellte Brunner klar. Dass man am Donnerstag Robert Styblos ORF-Doku „Österreich unter dem Regenbogen“ zeigt, bevor sie am 15. Juni nachts in ORF 2 Premiere feiert, schlägt in diese Kerbe.
Dieses ebenso bunte wie breite Programm hofft man auch in den kommenden Jahren aufrechterhalten zu können, zeigte sich Brunner zuversichtlich. Momentan spreche man mit den beiden Magistratsabteilungen 7 (Kultur) und 13 (Bildung und Jugend) als Hauptgeldgeber über das Rahmenbudget für die nächsten Jahre. Fix ist aber schon einmal, dass der Mietvertrag in der Ramperstorffergasse über 30 Jahre laufe. Viel Zeit also, um dem Atlas der queeren Geschichte ein zentrales Kapitel hinzuzufügen.