Ich wollte nicht weg aus Rumänien, es war notgedrungen. Ich habe auf der Hochschule für Maschinenbau studiert, Fachrichtung Dampfmaschinen. Ich habe damals bei einer Versammlung etwas gesagt, was ich nicht sagen hätte sollen. Es war ein bisschen wie das Echo der ungarischen Revolution 1956. Das wurde mir als schwere Abweichung von der proletarischen Moral ausgelegt. Ich wurde dann mit einem schlichten Schreiben vom 14. Jänner 1957 von allen Hochschulen exmatrikuliert. Ich wurde verhaftet, verhört, aber im Gegensatz zu anderen Kollegen nicht verurteilt. Damals wusste ich aber: Meine Zeit in Rumänien ist vorbei. Aber ich wollte eigentlich nicht weg. Und anderswo leben war auch sprachlich schwierig. In der Schule war Russisch Pflicht, Englisch war eine feindliche Sprache.
Wie sind Sie dann 1959 nach Österreich gekommen?
Durch meine Mutter, die in Wien gelebt hat. Wir hatten ein bisschen Geld, die rumänische sozialistische Volksrepublik hat Fremdwährung benötigt, und es gab die Möglichkeit, mich aus Rumänien herauszukaufen. Das haben auch die Deutschen gemacht: Ihre Staatsbürger aus Rumänien herausgekauft. So landete ich mit 24 Jahren ungewollt in Wien. Ich hätte versuchen können, weiter zu studieren, aber das wäre sprachlich mit den technischen Begriffen ein Problem gewesen. Mit der Oper kannte ich mich aus, der Stehplatz in Wien wurde mein neues Zuhause. Ich hörte alles, was zu hören war. Und ich redete immer mit, wenn die Sänger miteinander verglichen wurden. Die Zuschauer in Wien haben immer gejubelt, das habe ich nicht verstanden. Ich kannte teilweise aus Rumänien bessere Sänger, aber die durften nicht ausreisen.
Wie sind Sie in Rumänien zur Oper gekommen?
Als Statist in Temesvar. Dort gibt es ein Fellner- und Helmer-Theater mit 620 Plätzen. Ich war als 12-Jähriger ein Sklave in der „Aida“, mein ganzer Körper war schwarz angemalt. Wir kamen auf die Bühne und mussten im Kreis laufen, hinter die Bühne und wieder herein. Wir waren vielleicht 20 Sklaven, aber so schaute es nach mehr aus. Ich habe dort auch meine erste „Traviata“ gesehen, ich war tief beeindruckt. Zum Glück hat man auf Rumänisch gesungen, so kam ich mit der Zeit hinein. Wenn es nicht auf rumänisch gewesen wäre, wäre es wohl nie zu meinem späteren Beruf gekommen. Deshalb bin ich nach wie vor dafür, dass die Volksoper in Wien Opern auf deutsch spielt.
Wie ging es dann in Wien weiter?
Immer wieder am Stehplatz. Neu für mich waren die Strauss-Opern. Ich fand die „Elektra“ entsetzlich. Aber „Wozzeck“ von Berg hat mich sehr beeindruckt. Dann wollte ich Regisseur werden und habe auch inszeniert, im Theater in der Josefsgasse, das heute das Englische Theater ist, ein Thornton-Wilder-Stück. Und im Theater am Parkring war ich Regieassistent, das heißt ein Diener für alle und alles. Kortner, Schenk, Sowinetz, Fux sind dort bei Wondruschka aufgetreten. Ab sieben Besuchern hat man gespielt.
Aber schließlich wurden Sie Sänger.
Ich hatte in Temesvar bei Prof. Wiener Gesang studiert. Ich wollte ein dramatischer Tenor werden, aber das wurde ich leider nie. In Wien habe ich mich am Konservatorium in der Johannesgasse beworben und wurde von Esther Réthy aufgenommen. Aber ich habe in der Stadt auch etwas bemerkt: Was man mir über Kapitalismus eingeimpft hatte, hat sich bewahrheitet. Auf der Straße waren Prostituierte, und man trank das rote Gift Coca Cola.
Vom Singen konnten Sie damals leben?
Zunächst hatte ich eine Bleibe auf der Bühne der Götter. Es kam dazu, dass Ernst Lothar mich als Tennisspieler für das „Weite Land“ am Akademietheater engagierte. Ich spielte im Hintergrund unsichtbar Tennis, man sah nur die Ballwechsel. Aber ich stand auf den Brettern mit Alma Seidler, Adrienne Gessner, Attila Hörbiger, Paula Wessely, Hugo Gottschlich und den zwei Thimigs. Danach wurde ich als Homonay und Falke zur Schweizer Firma Grabowski für Operetten-Tourneen vermittelt und bekam ein richtiges Monatsgehalt, 1000 Schweizer Franken. Wir fuhren von Dorf zu Dorf, über 70 Auftritte im Jahr. Schließlich landete ich als 1. Bariton in Klagenfurt. Ich war dort zwei Jahre, sang zwölf Hauptrollen, dann kam ein neuer Intendant, und der wollte wieder andere Leute. So war wieder alles völlig anders. Ich war ein guter Sänger, aber kein besonderer. Ich wusste, dass ich niemals weit kommen würde.
So stiegen Sie in eine Sängeragentur ein . . .
Ja, ich wurde bei der Agentur Starka aufgenommen, wahrscheinlich auch, weil ich viele Sprachen konnte. Außer Rumänisch, Deutsch, Ungarisch auch Italienisch. Italien hat mir überhaupt immer gefallen, ich wäre ja viel lieber nach Italien gegangen als nach Österreich. Weil mir die Latinität viel näher ist als die Teutonität. Bei Starka habe ich zunächst Briefmarken geklebt. Dort hat man auch gemerkt, dass ich Brieftelegramme gut formulieren konnte, damit sie kurz bleiben und weniger kosten. Dann entdeckte ich nach und nach Sänger aus Rumänien. Zuerst Ileana Cotrubaș und Ludovic Spiess.
Sie haben einst in einem Interview mit dem KURIER mit Herbert Hufnagl gesagt, dass Sie als Agent wesentlich mehr verdient haben als später als Direktor der Staatsoper.
Ja, ich bin allmählich sehr erfolgreich geworden. Ich war auch zu Beginn der Karriere von Plácido Domingo dabei und habe ihn nach München als Oberon in der Weber-Oper vermittelt, nach einem Vorsingen bei Rafael Kubelík. Dann haben wir exklusiv zusammengearbeitet, ich habe ihn nach Verona, an die Scala und überallhin gebracht. Heute wissen wir, was aus ihm geworden ist.
Wie war die Zusammenarbeit als Agent mit der Wiener Staatsoper?
Der KURIER nannte mich „die graue Eminenz der Staatsoper“. Es stimmt schon, ich habe an der Arbeit anderer Leute verdient. Aber das war auch eine Arbeit. Ich ließ Sänger nach dem Vorsingen nie kontaktlos weggehen, ich habe ihnen immer die Wahrheit gesagt. Man ist als guter Agent auch Berater der Sänger. Bis heute rufen mich Leute an.
Sie haben die Agentur dann selbst übernommen, sind schließlich aber doch in die Staatsoper gewechselt. Was hat Sie dazu bewogen?
Nur der Eberhard Waechter. Er sollte Direktor der Staatsoper werden und hat gesagt: Das mache ich nur mit dem Holender. Alle waren dagegen, die Sigrid Löffler im profil hat in Leitartikeln dagegen geschossen, es gab sogar antisemitische Äußerungen, die Polizei hat mir Schutz angeboten. Aber der Waechter blieb stur: Ohne Holender mache ich das nicht. Damals war das die Entscheidung des Bundeskanzlers, und der Vranitzky hat entschieden.
Sie waren ab 1991 Generalsekretär der Staatsoper und wurden nach dem überraschenden Tod Eberhard Waechters 1992 Direktor der Staats- und der Volksoper. Haben Sie sich das alleine sofort zugetraut?
Auch da hat mich Vranitzky gefragt, ob ich das machen würde, nachdem auch Betriebsrat und Philharmoniker dafür waren. Und ich habe sofort gesagt: Ich mache das. Ich habe keine Phase zum Überlegen gebraucht.
Sie wurden mit insgesamt 19 Jahren Amtszeit zum längstdienenden Direktor des Hauses. Warum war 2010 dann doch Schluss?
Die Kulturministerin Claudia Schmied hatte mir angeboten, noch ein Ehrenjahr zu mache, damit ich auf 20 komme. Aber ich habe ihr gesagt: Wenn ich mir in 19 Jahren keine Ehre erworben habe, brauche ich das 20. Jahr auch nicht.
Selbst in die Politik zu gehen, hätte Sie nicht interessiert?
Ich habe viele Politiker sehr geschätzt, Vranitzky, später Schüssel. Aber ich habe nie einer Partei angehört. Ich war am Theater eher ein Linker. Alles, was links ist, ist mir näher als alles, was rechts ist.
Stattdessen sind Sie nach der Staatsoper zu Servus TV gegangen und haben für Dietrich Mateschitz Kultursendungen gemacht. Warum dieser Wechsel?
Weil mir Mateschitz völlig freie Hand gelassen hat. Machen Sie, was Sie interessiert, hat er gesagt. Daraus wurden 14 sehr gut bezahlte Jahre und mehr als 200 Sendungen. Wir haben sogar in Tokio und in New York gedreht. Und als ich ihm gesagt habe, da gibt es einen Dirigenten namens Currentzis, der macht im russischen Perm interessante Dinge, aber ich weiß nicht, wie ich hinkommen soll, da bekam ich sofort ein Privatflugzeug für die ganze Truppe. Oder wenn ich eine Sendung machen wollte über die kleine Sängerin, wie sie bei mir angefangen hat und wie dann aus ihr die Netrebko wurde . . . Ich habe aber nie so einen Zirkus daraus gemacht, wie das heutzutage in den Medien der Fall ist. Die Seitenblicke sind die Kultursendung geworden.
Ist die Oper generell zu sehr zu einem Zirkus geworden?
Viele gehen heute in eine Oper und schauen und hören nicht mehr, was künstlerisch passiert, das Drumherum ist viel wichtiger. Dann kommt es dazu, dass an mehreren Orten in oder um Wien gleichzeitig „Traviata“ gespielt wird, in Gars oder am Heumarkt, nur weil es einen Gasthausbesitzer gibt, der gerne dirigiert.
Sehen und Hören führt uns zum Thema Regietheater, weil diese beiden Bereiche nicht immer zusammenpassen. Sehen Sie das kritisch?
Man kann regiemäßig alles machen, „Tosca“ im Schnee statt in der Kirche, aber die Musik wird dann nicht mehr passen. Wenn ich die Vorlage ändere, ändert sich alles – und die Komposition beeindruckt nicht mehr.
Sie haben an der Staatsoper ganz gegen den Trend auch Barockoper abgelehnt. Warum?
Ich habe nie einen Zugang dazu gefunden. Und ich finde auch, sie passt nicht in dieses Haus. Aber auch die zeitgenössische Oper hat meines Erachtens keinen adäquaten Weg gefunden. Die Menschen wollen halt Melodien. „Glück, das mir verblieb“ war der letzte Weltschlager, das will man hören. Aber für die Kinder ist uns einiges gelungen, mit dem Zelt am Dach und mit der „Zauberflöte für Kinder“ am Tag nach dem unnützen Opernball.
Kann man den Beruf Operndirektor lernen?
Nein, Operndirektor ist kein Beruf, es ist eine Situation, die Wissen der Literatur und musikalisches Verständnis erfordert.
Wie politisch ist ein solcher Job?
Man muss wissen, was in diesem Land politisch wichtig ist. Als ich 50 Jahre nach der Wiedereröffnung der 1945 zerstörten Staatsoper gesagt habe, dass der letzte Direktor des Hauses in der Ostmark der erste zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war (Karl Böhm, Anm.), wurde ich ausgepfiffen. Man muss als Operndirektor zur Geschichte stehen und sich bewusst sein, dass dieses Österreich international wenig zu bieten hat. Wir haben kaum Industrie, wir haben die Berge und den Schnee. Und wir haben dieses Orchester, das manche als das beste der Welt ansehen und das auch in der Oper spielt. Wir haben den Goldenen Musikverein und betrachten Wien als Weltstadt der Musik.
Wie wichtig ist das Ego für einen Operndirektor?
Ich habe immer gesagt: Ich wünsche nicht beliebt, sondern respektiert zu sein. Ich war auch im Haus mit niemandem per Du. Ich war auch nach Vorstellungen nie mit den Mitwirkenden in Gasthäusern. Ich bin mit Riccardo Muti per Du, weil wir befreundet sind. Mit Carlos Kleiber – er war der Größte aller Großen – hätte ich gerne länger mehr Nähe gehabt, aber das hat sich leider nicht mehr ergeben.
Andere Menschen gehen mit 60 oder 65 in Pensionen. Haben Sie nie daran gedacht?
Ich bin seit über 60 Jahren aktiv, und ich habe mir nie Gedanken gemacht, was danach geschieht. Diese Gedanken kommen erst jetzt. Neuerdings empfinde ich eine große Leere: Ich habe Zeit. Ich habe mit dem Tennisspielen aufgehört. Ich gehe zwar noch jeden Tag schwimmen, ich kann schlafen gehen und aufstehen, wann ich will. Ich muss nicht mehr fit sein. Man braucht mich auch nicht. Wenn ich irgendwo gefragt bin, dann als Totenredner. Reden kann ich immer noch gut.
Werden Sie im Alter noch sentimental?
Ja. Irgendwie beschäftigt man sich vor allem mit dem, was war, und nicht mehr mit dem, was kommt. Es kommt ja kaum noch etwas. Die Vergangenheit wird immer präsenter, immer interessanter.
Gibt es beruflich etwas, was Sie noch gern tun würden?
Ich hätte immer gerne Gespräche geführt. Mit Politikern, mit Künstlern, gerne auch im Radio.
Ihre große Expertise waren immer Stimmen. Wo sehen Sie die Oper heutzutage?
Die Oper lebt von Sängern. Aber wo sind die? Wo sind heute die drei Tenöre? Wo ist Corelli? Wann kommt wieder eine Netrebko aus dem Nichts? Das Leben von Sängern ist kürzer geworden, weil die Auftrittsmöglichkeiten enorm viel größer geworden sind und es keine Ensembles mehr gibt.
Hat das Opernfach ein Grundsatzproblem?
Das größte Problem ist, dass heute alles kritiklos hingenommen wird. Erfolg heißt immer Geld, heißt immer Auslastung. Dabei wissen wir, dass ein ausverkauftes Haus keinesfalls gleichbedeutend mit der Qualität der Aufführung ist. Schlechte Vorstellungen können sehr gut verkauft sein.
Sind Sie insgesamt mit Ihrer Karriere zufrieden?
Ich mag das Wort Karriere nicht. Es ist mein Lebensweg, meine Existenz. Karriere macht ein Künstler, ich kann keine Karriere machen. Mir ist vieles gelungen, was ich nicht gewollt habe – und umgekehrt. Ich wollte Ingenieur werden, das ist nicht gelungen. Ich wollte Sänger werden, das bin ich kurz geworden. Eines habe ich nie angestrebt: Operndirektor zu werden. Es hat sich halt ergeben.