Die Erinnerungen sind verblasst, Details aber noch deutlich. Patrick Modiano, französischer Literaturnobelpreisträger von 2024, hat ein unendliches Repertoire an Bildern des Erinnerns. In „Die Tänzerin“ erweckt er, ausgelöst durch eine zufällige Begegnung, nun eine Zeit zum Leben, in der er jung und vielleicht verliebt war; holt einen Augenblick der Vergangenheit ins Gedächtnis zurück „wie der Lichtstrahl von einem Stern, den man längst erloschen glaubt“.
Sätze wie diese sind exemplarisch für diesen Beschwörer der Vergangenheit, der allerdings nie in melancholisches Schwelgen verfällt. Modianos verhangene Rückschauen sind lakonisch, sein Paris ist heute auch von Touristen mit Rollkoffern überlaufen. Melancholisch fühlt sich höchstens, wer diese wie geträumten Geschichten liest. Denn die Leerstellen der Erinnerung lassen Raum für Interpretation. Da war der scheue Bub, der Sohn der Tänzerin (er nennt sie immer so), und da waren diese Nachtgestalten in den Bars. Und da ist nun dieser Mann, den er tot glaubte. Wie so oft hat die Zeit „nicht nur die Gesichter verwischt, sondern auch die Orientierungspunkte. Übrig sind ein paar Puzzlesteine, für immer auseinandergerissen“. Vage, unheimlich, schwerelos. Traumhaft.