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Perfekt ist mir suspekt | WZ • Wiener Zeitung

von Max

Tilly Norwood ist das, was ich nicht bin: perfekt. Die KI-generierte Schauspielerin hat keine Falten im Gesicht, keine großen Poren, ist nie müde und hat immer eine angenehme Stimme. Alles glatt, aalglatt. Und das irritiert mich maßlos. Ich ertappe mich dabei, nicht über „Fake“ nachzudenken, sondern über die Abwesenheit von Unvollkommenheit. Als würde man Theater spielen, ohne dass jemand stolpert, improvisiert oder lacht, weil eine Requisite zur falschen Zeit auf die Bühne kommt oder das Stichwort überhört wird. Klingt für Produzent:innen effizient. Fühlt sich aber seltsam leer an, zumindest für mich.

Auch mit der Verwendung dieses Bildes von Tilly befindet man sich in einer rechtlichen Grauzone.

© Bildquelle: Wikimedia Commons.

Das Problem dabei ist nicht die neue Technik. Sie kann Hilfsmittel, Pinsel, Bühne sein. Worüber wir reden müssen, ist Governance: Rechte, Verantwortung, Vergütung. Ein Mini-Beispiel: Sieht Tilly einer realen Schauspielerin zum Verwechseln ähnlich – wer profitiert, wenn die Kampagne millionenfach läuft? Zählt die Ähnlichkeit als „Zufall“, oder entsteht ein Anspruch auf Beteiligung? Und wenn ein Stil, ein Trend als Trainingsmaterial dient, wo beginnt das Mitverdienen – und wer kontrolliert Wiederverwendungen? Die 20-jährige Musikerin Stella Hennen aus Nashville sieht in Tilly ihre Doppelgängerin und hat bereits einen Anwalt eingeschaltet. Tillys Macher:innen hingegen bestreiten jede Anlehnung und sehen ihre Kunstfigur als „von Grund auf“ designt und wollen sie als „nächste Scarlett Johansson“ vermarkten. Die Ähnlichkeit ist aber beinahe schon gruselig. Tja, Pech gehabt, liebe Producer:innen. Oder hat doch Stella Pech gehabt? Der Fall wird noch verhandelt.

Streikfrei, aber seelenlos

Das Modell Tilly verspricht jedenfalls, dass niemand mehr ausfällt, niemand mehr streikt, niemand mehr nervt wie etwa die Mitglieder der US-Schauspieler:innen-Gewerkschaft SAG-AFTRA. Für die Planung jeder Produktionsfirma mag das paradiesisch klingen: keine Krankenstandstage, keine Honorarverhandlungen mit jedem/jeder einzelnen Schauspieler:in, kein Set, das wegen Wetter oder anderer Unannehmlichkeiten stillsteht. Aber wollen wir Kultur am liebsten ohne reale Menschen konsumieren? Die kleine Verzögerung, die Stimme, die kurz bricht: All das sind nicht Schwächen, sondern Signale von Lebendigkeit. Sie laden uns ein, zuzuhören und zu verweilen, statt nur zu scrollen oder den Kanal zu wechseln.

Was also tun? Nicht Kulturromantik, sondern Vertragsklarheit ist dringend gefragt. Und eines muss den Konsument:innen klar sein: Sie dürfen sich von KI-Schauspieler:innen nicht mehr erwarten als glatte Oberflächen. Zumindest im Moment.

Das ist mein eigentlicher Vorbehalt: Nicht, dass Tilly „nicht echt“ ist, sondern dass sie zu reibungslos funktioniert. Kultur funktioniert, wenn etwas auf dem Spiel steht. Das sieht man nirgendwo besser als im Live-Interview: Da zählt der Mensch, der im Satz stolpert, korrigiert, überrascht. Tilly ist kein Ersatz für diese Gegenwart. Deshalb: kennzeichnen, Rechte sichern, Vergütung klären. Und den Raum offen halten für das, was keine Maschine leisten kann: echte Präsenz mit Ecken und Kanten.

In „Kulturschock“ schreibt WZ-Redakteurin Verena Franke alle zwei Wochen über Themen aus der Welt der Kultur. Alle Texte von Verena findest du in ihrem Autorinnenprofil.

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