Die Situation beim finanziell angeschlagenen Zweiradhersteller Pierer Mobility spitzt sich zu. Nachdem, wie bereits berichtet, ein Verlust im ersten Halbjahr von rund 172 Millionen Euro eingefahren worden war, wurden und werden hunderte Mitarbeiter abgebaut. Zudem muss ein dreistelliger Millionenbetrag als Überbrückungsfinanzierung aufgestellt werden. Und nun hat am Montag die Dachgesellschaft Pierer Industries ein Restrukturierungsverfahren nach europäischem Recht eingeleitet (Erklärung siehe Zusatzbericht).
Das Restrukturierungsverfahren sei „notwendig“, um Finanzierungen in Höhe von 250 Mio. Euro „in voller Höhe zurückführen zu können“. Im Rahmen des Verfahrens soll es somit zu keiner Kürzung von Zinszahlungen oder Tilgungen kommen.
Streckung von Fälligkeiten
„Gegenstand ist lediglich eine Streckung von Fälligkeiten“, teilte die Industrieholding mit Sitz in Wels mit. Weiters wurde betont, dass die Gruppe „nicht überschuldet“ sei, „selbst unter Nichtberücksichtigung ihrer mittelbaren Beteiligung“ am Motorradhersteller KTM.
Pierer Industries hält 50,1 Prozent an der Pierer Bajaj AG, die wiederum 74,94 Prozent an der KTM-Mutter Pierer Mobility hält. Die Industriegruppe verfügt außerdem über 80 Prozent am Auto-Komponentenhersteller Pankl und hält 100 Prozent am österreichischen Elektronikentwickler abatec.
Pierer Industrie geht davon aus, dass bei Umsetzung der bei KTM in Erwägung gezogenen Maßnahmen „eine vorzeitige Fälligstellung“ von vier Finanzierungen (3 Anleihen und ein Schuldscheindarlehen mit Laufzeiten bis 2025, 2026 und 2028) droht. Mit der Laufzeitverlängerung soll das verhindert werden.
Lebenswerk gefährdet
Stefan Pierer, Vorstandschef der Pierer Industries und der Pierer Mobility, sagte vor Kurzem gegenüber den Oberösterreichischen Nachrichten, dass er sein Lebenswerk sicher nicht aufgeben werde. Allerdings steht eine Restrukturierung im Raum. So könnte ein Teil der Produktion in die USA erfolgen. Auch ein Verkauf des E-Bike-Sektors mit den drei Marken Gasgas, Husqvarna und Felt steht im Raum (die Marke R Raymon wurde bereits veräußert).
Kein Mateschitz ante portas
Pierer hat indes dementiert, dass Red Bull-Erbe Mark Mateschitz bei seinen Unternehmen einsteigen könnte. Mit ein Grund für die Spekulationen ist, dass Mateschitz unter anderen gemeinsam mit Pierer beim oberösterreichischen Feuerwehrausrüster Rosenbauer eingestiegen ist. Das Robau-Konsortium rund um Mateschitz und Pierer will letztlich 50,1 Prozent übernehmen. Ebenso dementiert wurde, dass Pierer bei Robau wieder aussteigen könnte. Sein Anteil macht 40 Millionen Euro aus.
Wahr ist allerdings, dass Pierer Mobility tausende E-Bikes, die mangels Interessenten auf Halde stehen, an die Mitarbeiter verschenkt hat.
Europäisches Restrukturierungsverfahren: Schutzschirm gegen eine Insolvenz
Im Juli 2021 wurde die Restrukturierungsverordnung (ReO) nach einer europäischen Richtlinie auch in Österreich neu eingeführt. Laut WKÖ soll sie „dem Unternehmer ermöglichen, den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden und die Bestandsfähigkeit seines Unternehmens sicherstellen“. Eine Sonderform ist das Europäische Restrukturierungsverfahren, das in Österreich noch Neuland ist.
„Mir ist bisher noch kein Europäisches Restrukturierungsverfahren in Österreich bekannt und schon gar nicht in dieser Größenordnung“, sagt Gerhard Weinhofer vom Gläubigerschutzverband Creditreform zum KURIER. „Es ist ein Verfahren unter der Aufsicht des Gerichts. Ein Restrukturierungsbeauftragter unterstützt das betroffene Unternehmen und man verständigt sich am Ende auf einen Deal mit der Mehrheit der Gläubiger.“
Wie auch die Insolvenzverfahren wird auch dieses Verfahren vom Gericht in der Ediktsdatei des Justizministeriums öffentlich bekanntgemacht.
„Das Gericht hat aber bei Weitem nicht so viele Mitwirkungsrechte und Möglichkeiten wie bei einem Insolvenzverfahren“, sagt Weinhofer. „Die Gläubiger werden in verschiedene Klassen wie zum Beispiel Banken, besicherte oder unbesicherte Gläubiger eingeteilt. Gläubigern oder Gläubigergruppen, die überstimmt werden, entsteht kein Schaden. Denn sie dürfen nicht schlechter gestellt werden als in einem gerichtlichen Sanierungsverfahren.“ Ein Europäisches Restrukturierungsverfahren macht vor allem für Unternehmen Sinn, die im EU-Ausland Tochterunternehmen unterhalten. Denn das Verfahren gilt EU-weit – mit Ausnahme von Dänemark.
Indes müssen die Gläubiger auch in diesem Verfahren über die Restrukturierung abstimmen. Danach muss auch noch das Gericht die Pläne absegnen. Die Gläubigerschutzverbände sind in dieses Verfahren grundsätzlich nicht eingebunden.