Georg Renner über die zu optimistischen Defizitprognosen für 2024 und das tatsächliche gesamtstaatliche Defizit.
Es tut mir eh leid, aber wir müssen noch einmal über die Finanzlage der Republik reden. Vergangene Woche haben wir die Zukunft im Auge gehabt – mit der düsteren Prognose von Wifo und IHS, wie sich die Wirtschaftslage in Österreich heuer entwickeln wird. (In der Überschrift der ersten Grafik habe ich dabei übrigens „hell“ und „dunkel“ als Codierung für Einnahmen und Ausgaben vertauscht, danke für den Hinweis an Leser:innen wie Herbert E. und andere – und bitte um Nachsicht.)
Diese Woche haben wir einen kleinen Einblick in die jüngere Vergangenheit bekommen – und die schaut leider nicht viel positiver aus. Die Statistik Austria hat am Montag ihren Bericht über die Bilanz aller staatlichen Ebenen in Österreich – Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen – für 2024 veröffentlicht. Das passiert erst vier Monate nach Ende des Jahres, weil es bisher keinen Modus gibt, der den Budgetvollzug all dieser Institutionen unterjährig zusammenführt. Während der Bund seine laufenden Einnahmen und Ausgaben brav monatlich veröffentlicht, tappen wir bezüglich der Länder, Gemeinden (2.093 davon) und Sozialversicherungen weitgehend im Dunkeln.
So lässt sich auch erklären, dass am Montag ziemlich viele Leute in der Republik aus allen Wolken gefallen sind, als die Statistik Austria dieses Ergebnis veröffentlicht hat:
In dieser Grafik schaut es jetzt so aus, als ob der Bund der große Defizittäter ist. Stimmt auch, wenn man die absoluten Zahlen hernimmt, drei Viertel des Fehlbetrags zwischen den Ausgaben von 271 Milliarden Euro, denen nur Einnahmen von 249 Milliarden Euro gegenüberstehen, gehen auf das Konto des Bundes.
Zu dessen (mäßiger) Ehrenrettung muss man aber einwenden: Der Bund hat das nicht nur genau so angesagt, sondern sogar ein bisschen besser abgeschnitten, als er ursprünglich budgetiert hatte, wie der Budgetdienst des Parlaments unlängst festgestellt hat. Das Problem mit den Prognosen war, dass einerseits Länder, Sozialversicherungen und Gemeinden deutlich schlechter mit ihren Einnahmen ausgekommen sind, als ursprünglich erwartet – und dass auf der anderen Seite des Bruches der Nenner, das BIP, deutlich niedriger gelegen ist als Ökonom:innen prognostiziert hatten.
Die Folge: Ein gesamtstaatliches Defizit von 4,7 Prozent des BIP – weit jenseits der Drei-Prozent Grenze, zu der sich die EU-Staaten gemeinsam verpflichtet haben. Und auch weit jenseits der Prognosen, wie die Neos-Parteiakademie zuletzt zusammengetragen hat:
Dass das Finanzministerium unter dem mittlerweile nach Brüssel verabschiedeten Magnus Brunner (ÖVP) bis nach der Nationalratswahl (fairerweise: es gibt seine Notifikationen immer halbjährlich im April und im Oktober ab) davon ausgegangen ist, unter der Drei-Prozent-Grenze zu bleiben, ist inzwischen Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Damit war es in guter Gesellschaft: Seine Zahlen sind, wie aus der Grafik hervorgeht, ziemlich im Einklang mit jenen von Wifo, EU-Kommission und IWF gelegen, nur der Fiskalrat tanzte im Frühjahr 2024 aus der Reihe. Eine interessante Rekonstruktion dieser Zeitlinie gibt es aktuell etwa in der Kleinen Zeitung.
Mindestens ebenso interessant ist aber, dass bis zuletzt alle mit solchen Prognosen befassten Institutionen das Defizit weit unterschätzt haben – eine Diskussion über eine aktuellere Erfassung der Budgetdaten der unteren Staatsebenen hat sich darob bereits in Gang gesetzt.
Wenn wir uns wieder der Zukunft zuwenden, ist wohl davon auszugehen, dass die EU-Kommission angesichts dieser Zahlen ein Defizit-Verfahren gegen Österreich eröffnen wird. Damit ist die Republik nicht allein:
(*: Gegen alle abgebildeten Staaten außer Finnland und Österreich laufen derzeit Defizitverfahren.)
Nicht, dass es das irgendwie erstrebenswerter machen würde, aber: schon in den hier abgebildeten Zahlen der EU-Kommission vom November lagen inklusive Österreichs zehn der 27 Mitgliedstaaten über dem Drei-Prozent-Limit, gegen acht von ihnen lief bereits ein Verfahren wegen übermäßigen Defizits – was vor allem bedeutet, dass die Finanzminister:innen der betroffenen Staaten vierteljährlich einen Plan vorlegen müssen, mittels welcher Maßnahmen sie aus der Misere herauszukommen gedenken.
Per se nicht schlimm. Das Problem ist nur: Die meisten dieser Staaten haben aktuell ein weit besseres Wirtschaftswachstum als Österreich – und werden sich tendenziell leichter tun, aus dem Budgetloch herauszukommen als wir. Die folgende Grafik aus der – spannenden – Präsentation der Statistik Austria zeigt das ganz gut:
Aber Prognosen sind bekanntlich schwierig – besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Oder, wie wir gerade sehen, die Vergangenheit.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.