Die rechtsextreme Szene rüstet auf. Ermittler:innen stoßen regelmäßig auf Waffenlager und NS-Propaganda. Die Zahl der Anzeigen ist auf einem Rekordhoch. Wie gefährlich ist die Szene? Wie leicht kommt man in Österreich an NS-Devotionalien?
Sorgfältig liegen Dutzende Gewehre und Pistolen aufgereiht. Hakenkreuz-Flaggen sind neben Wehrmachtsuniformen drapiert. Ein Stein mit einer SS-Rune beschwert das weiße Tuch. Die Exekutive präsentiert stolz ihren Fund. Ein Fotograf schießt ein Foto. Es landet später in den Meldungen, die kurz im Nachrichtenstrom aufpoppen.
„Waffenarsenal in österreichischem Keller ausgehoben“, „NS-Waffenmaterial und Kriegsobjekte sichergestellt“, „Waffenlager und NS-Devotionalien in Keller hochgenommen“ lauten ihre Schlagzeilen. 51 Fälle von Waffenfunden und NS-Devotionalien listet die Plattform „Stoppt die Rechten“ seit 2019. Fünf Fälle sind es bereits in diesem Jahr, der jüngste Fund stammt vom 3. Mai.
Die Polizei stößt regelmäßig auf illegale Waffenlager – aufgrund von Hinweisen oder durch Zufall. Meist findet sie nicht nur Waffen, sondern auch NS-Propagandamaterial. Eine gefährliche Mischung. Die rechtsextreme Szene rüstet auf, sie vernetzt sich über verschlüsselte Chats, wird aktiver. Sie hortet nicht nur Waffen, sondern auch Objekte mit NS-Bezug. Orden, Dolche, Propaganda-Shirts, Nazi-Andenken, rechte Literatur. Der Handel mit diesen Objekten blüht. Das belegt ein Fall aus dem vergangenen September. Österreichweit wurden 18 Wohnungen durchsucht, mehr als ein Dutzend Personen festgenommen. 15 Personen stehen unter Verdacht, einen illegalen NS-Devotionalien-Handel über einen Messengerdienst aufgezogen zu haben. Die Ermittler:innen stellten hunderte Objekte sicher. In der Pressemitteilung war von einem richtigen „NS-Museum” die Rede.
„Mein Kampf“ auf willhaben
Wir wollten wissen: Häufen sich die Waffen-Funde? Wie gefährlich ist die rechtsextreme Szene? Und wie leicht kommt man in Österreich an solche NS-Propaganda-Gegenstände – ohne Kontakte in die Szene?
Die Antwort gleich vorweg: Sehr leicht. Am virtuellen Marktplatz willhaben finden wir mit ein paar wenigen Klicks einen Anbieter: „Das Buch der Deutschen mit Bild vom Chef“ – Verkaufspreis 100 Euro. Es handelt sich um ein Exemplar von „Mein Kampf“ von Adolf Hitler.
Wir schreiben dem Verkäufer – nennen wir ihn Franz – und machen uns für den nächsten Morgen ein Treffen aus. An einer U-Bahn-Station im 19. Bezirk werden wir bereits erwartet. Wir gehen ein paar Schritte mit Franz und erhalten, etwas versteckt zwischen zwei Gebäuden, ein braunes Papiersackerl überreicht. Was wir damit vorhaben, will er nicht wissen. Nur, ob wir noch an anderen Dingen interessiert wären.
Zu Hause habe er noch rund 90 Bücher, welche er nicht auf willhaben stellen kann. Gemeinsam mit einem Freund, welcher im Gegensatz zu ihm ein „richtiger“ Sammler sei, tauscht er sich regelmäßig aus. Das Geschäft laufe gut – seine Preise sind, wie er sagt, fair, versendet wird nach ganz Europa. Immer wieder kommen Interessent:innen zu Franz und stöbern. „Bei mir gibt’s keinen Kaufzwang, man kann auch nur zum Schauen kommen“, sagt Franz.
Die Käufer:innen selbst zeigen sich oft verdeckt, wollen anonym bleiben und tauschen weder Namen noch Nummer aus. Über willhaben funktioniert das laut Franz sehr gut. Wir geben ihm dennoch eine E-Mail-Adresse. Am nächsten Tag schickt uns Franz Bilder von den Büchern.
Was Franz uns anbietet, ist gesetzlich verboten. Auf willhaben sind eigentlich auch keine Anzeigen erlaubt, die NS-bezogene Artikel anbieten, heißt es in den Richtlinien der Plattform. Das Verbotsgesetz von 1947 verbietet jede Betätigung im nationalsozialistischen Sinne, also zum Beispiel die Leugnung nationalsozialistischer Verbrechen sowie die Verbreitung und Verherrlichung von NS-Inhalten. Anfang 2024 wurde das Gesetz verschärft. Behörden können nun NS-Devotionalien auch ohne Strafverfahren aus dem Verkehr ziehen.
Unklar ist, ob sich die Gesetzesnovelle schon in der Statistik niederschlägt. Sie zeigt immerhin einen Anstieg um 17 Prozent auf 1.450 Anzeigen laut Verbotsgesetz. Weitere 1.485 rechtsextreme Tathandlungen gab es 2024, fast ein Viertel mehr als das Jahr zuvor. Die Exekutive begründet die gestiegenen Zahlen mit „umfangreichen Ermittlungsmaßnahmen“.
„Die Ursache für die Zunahme ist sicher teilweise die intensive Ermittlungsarbeit. Aber wir sehen auch, dass sich rechtsextreme Gruppen neu bilden, Straftaten zunehmen und es eine neue Qualität der Gewalttätigkeit gibt“, sagt die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz zur WZ. Schatz ist Bereichssprecherin für Erinnerungskultur und Frauen – sie fragt halbjährlich Zahlen zu rechtsextremen Straftaten beim BMI und BMJ an.
Hausdurchsuchungen und Waffenfunde
Wie gewaltbereit Rechtsextreme sind, zeigt ein Fall aus dem Frühling, der für großes Aufsehen sorgte. Rechtsextreme lockten homosexuelle Männer über gefakte Dating-Profile zu Verabredungen. Die Männer wurden ausgeraubt, brutal geschlagen, misshandelt – die Täter filmten mit. Später kursierten die Videos auf Telegram-Kanälen und Instagram-Profilen. 20 Personen wurden festgenommen, es gab 26 Hausdurchsuchungen. Dort fanden die Ermittler:innen Waffen und NS-Devotionalien.
Polizei und Verfassungsschützer:innen zeigen sich besorgt über den weit verbreiteten Waffenbesitz im rechtsextremen Milieu. „Wir beobachten eine zunehmende Militarisierung der rechtsextremen Szene“, sagte DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner in einem Interview mit dem „Falter“ im Sommer 2023. Im Verfassungsschutzbericht wird vor einem „erhöhten Gewaltpotenzial“ in der Szene gewarnt.
Der grüne Abgeordnete und Rechtsextremismus-Sprecher Lukas Hammer zeigt sich alarmiert über die Häufigkeit der Waffenfunde. „Es gibt kein vergleichbares extremistisches Milieu mit derartigen Waffenfunden. Es ist beunruhigend, wie viele Waffen im Umlauf sind.“
Straftäter werden jünger
Was die Täter noch eint, ist ihr Alter. „Die Straftäter werden jünger. Sie tauschen sich über Foren wie 4chan und Telegram aus. Gewaltverherrlichung ist ihr Hauptmotiv, da geht es nicht mehr nur um klassische rechte Ideologie“, heißt es aus dem Innenministerium auf Anfrage der WZ. Ob Funde von Waffenlagern und NS-Propagandamaterial generell zugenommen haben, kann das Ministerium nicht bestätigen.
Die neue Regierung will jedenfalls einen Nationalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus erarbeiten. Ein längst überfälliger Schritt, denn beschlossen wurde der Aktionsplan bereits 2021 im Parlament. Er soll ein umfassendes Maßnahmenprogramm zur Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus beinhalten. Unter anderem fordern Expert:innen Aussteiger:innen-Programme, wie sie etwa in Deutschland schon seit Jahren existieren.
NS-Marktplatz willhaben
Zurück zu Franz: Wir zeigen uns interessiert und antworten per E-Mail auf sein Angebot der Bücher. Wir wollen wissen, ob er auch Orden, Helme oder ähnliches anbietet. Knapp eine Woche später erhalten wir Antwort: ein weiteres Foto, diesmal mit NS-Orden und Nazi-Runen. Das sei momentan alles, was Franz hat, aber nächste Woche soll sich das wieder ändern.
willhaben teilt auf Anfrage mit, streng gegen derartige Angebote vorzugehen und sie umgehend zu entfernen – auch vermeintlich legale Artikel mit Bezug zum Nationalsozialismus. „ Jegliche Formen von Wiederbetätigung, Diskriminierung, Faschismus oder auch NS-Propaganda haben bei uns keinerlei Platz”, sagt Manuel Hacker, Teamleiter Moderation & User Security bei willhaben.
Laut willhaben gebe es keine Häufungen von problematischen Anzeigen, Verstöße kämen nur vereinzelt vor: „Menschen, die vorsätzlich und im vollen Bewusstsein NS-Devotionalien und Ähnliches verkaufen wollen, nutzen unseren Service sehr selten bis gar nicht, sondern private geschlossene Foren oder auch nicht-öffentliche Marktplätze.”
Franz ist kein Einzelfall. Es finden sich noch weitere Anbieter einschlägiger Gegenstände auf willhaben. Sie verkaufen nicht nur NS-Devotionalien wie Orden, Helme oder Wehrmachts-Uniformen, sondern auch Klappmesser oder Zubehör wie Visiere. Der Einstieg in die Welt des illegalen Handelns ist einfach.
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Infos und Quellen
Genese
Gefühlt jede Woche wird irgendwo in Österreich ein Waffenlager ausgehoben. Meistens findet die Polizei auch NS-Propagandamaterial. In den meisten Medien sind die Funde nur eine kurze Meldung, sie verschwinden rasch im Nachrichtenstrom. Wir wollten wissen: Nehmen die Waffen-Funde zu? Wie gefährlich ist die rechtsextreme Szene? Und wie leicht kommt man in Österreich an solche NS-Propaganda-Gegenstände – ohne keinerlei Kontakte in die Szene?
Gesprächspartner:innen
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Sabine Schatz, Nationalratsabgeordnete, Bereichssprecherin für Erinnerungskultur sowie Frauen, SPÖ
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Lukas Hammer, Nationalratsabgeordneter, Rechtsextremismus-Sprecher, Grünen
Daten und Fakten
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Gemäß dem österreichischen Verbotsgesetz (§ 3g VerbotsG) kann der Vertrieb von NS-Devotionalien und nationalsozialistischer Schriften strafbar sein. Insbesondere wenn sie in einer Weise angeboten werden, die als Verherrlichung des Nationalsozialismus interpretiert werden könnte.
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Die Anzahl der Verurteilungen nach dem österreichischen Verbotsgesetz, das nationalsozialistische Wiederbetätigung unter Strafe stellt, hat von 2000 bis 2023 deutlich zugenommen. Während im Jahr 2010 noch 40 Verurteilungen verzeichnet wurden, stieg die Zahl 2015 auf 67 und erreichte 2020 insgesamt 128. Im Jahr 2023 wurden 207 Verurteilungen gezählt.