Der vielfach preisgekrönte österreichische Regisseur Ulrich Seidl („Rimini“) wird heuer Teil der Jury des 72. Internationalen Filmfestivals von San Sebastian (20. bis 28. September) sein. Das bestätigte die Festivalleitung auf Anfrage der APA. San Sebastian gehört mit Cannes, Venedig und Berlin zu den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Seidl kehrt damit an den Ort zurück, wo sein umstrittener Film „Sparta“ 2022 nach einer nicht minder umstrittenen Mediendebatte Premiere feierte.
Schwerwiegende Vorwürfe
Im September 2022 erhob Der Spiegel gravierende Vorwürfe gegen den 71-Jährigen. Beim Dreh zu „Sparta“ habe Seidl die rumänischen Kinder-Laienschauspieler angeblich ohne Wissen der Eltern Szenen der „Gewalt und Nacktheit“ ausgesetzt.
Die zunächst anonymen Vorwürfe schlugen derart hohe Wellen, dass das Filmfestival im kanadischen Toronto, wo „Sparta“ Weltpremiere feiern sollte, den Beitrag kurzfristig aus dem Programm nahm. Das Hamburger Filmfest entschied sich sogar, Seidl nach den Vorwürfen nicht wie angekündigt mit dem Douglas-Sirk-Preis für seine Filmkarriere auszuzeichnen.
Eltern fühlten sich von Journalisten manipuliert
Später erklärten betroffene Eltern, die sich unter anderem auch im Spiegel zu Wort gemeldet hatten, dass sie sich von den Journalisten manipuliert gefühlt hätten. Die Staatsanwaltschaft in Rumänien stellte die Ermittlungen gegen Seidl bereits ein. Auch das Österreichische Filminstitut (ÖFI) prüfte die Anschuldigungen und befand, dass man auf Basis der vorgelegten Dokumente und Berichte keine Vertrags- und Fürsorgeverletzungen ausmachen konnte.
Das Filmfestival von San Sebastian hielt während dessen an der Unschuldsvermutung und Seidl fest. Man bewerte Festivalbeiträge ausschließlich nach Interesse und Qualität und sei nicht in der Lage zu beurteilen, wie ein Film gedreht wurde und ob es während der Dreharbeiten zu Vergehen kam, erklärte die Festivalleitung damals. Natürlich müsse man diesen Anschuldigungen nachgehen. „Aber es wird gefährlich, wenn Filmfestivals aufgrund medialen Drucks und bloßer Anschuldigungen ohne Beweise anfangen, vom Schuldprinzip und nicht vom Unschuldsprinzip auszugehen“, sagte Festivaldirektor José Luis Rebordinos der APA.
„Sparta“ feierte damals erfolgreich seine Weltpremiere in San Sebastian. Der Film gewann zwar nicht die „Goldene Muschel“, erhielt aber die Anerkennung des Publikums und der Festivalpresse. Laut Festivaldirektor Rebordinos sei „Sparta“ eine von Seidls besten Arbeiten überhaupt. Seidl erklärte sich Rebordinos damals sehr dankbar, reiste aber nicht persönlich nach San Sebastian, um den Filmbeitrag nicht durch die Polemik um seine Person zu überschatten. Der Film sollte für sich sprechen, so Seidl.
Filmemacherin Jaione Camborda übernimmt Jury-Vorsitz
Nun wird der österreichische Filmemacher doch noch an den Golf von Biskaya reisen, um in der Jury tätig zu sein. Deren Vorsitz wird die spanische Filmemacherin Jaione Camborda übernehmen, die mit ihrem Sozialdrama „O Corno“ im vergangenen Jahr das Filmfestival von San Sebastian gewinnen konnte. Neben Ulrich Seidl gehören der sechsköpfigen Wettbewerbsjury zudem der US-amerikanische Schauspieler und Regisseur Fran Kranz, die französische Produzentin Carole Scotta, die argentinische Schriftstellerin und Journalistin Leila Guerriero sowie der griechische Filmemacher Christos Nikou an. Insgesamt 16 Filmbeiträge befinden sich heuer im offiziellen Wettbewerb in San Sebastian.