Was noch vor ein paar Monaten für undenkbar und katastrophal gehalten wurde, ist nun eingetreten – ganz ohne Katastrophe: Russland stellt ab Samstag die Gaslieferung nach Österreich ein.
Damit hat die seit 1968 bestehende enge Kooperation beim Gasimport Österreichs zuerst mit der Sowjetunion und später mit Russland abrupt geendet. Zuletzt kamen täglich rund 300 Gigawattstunden Erdgas aus den russischen Gaslagerstätten über Pipelines durch die Ukraine und die Slowakei in Baumgarten an.
Freitagabend gab Bundeskanzler Karl Nehammer eine Pressekonferenz zum Thema und berichtete über die aktuelle Sachlage.
„Keine Wohnung wird kalt bleiben“
Mit dem Gaslieferungsstopp seitens Russland sei das „eingetreten, worauf wir uns seit Kriegsausbruch in der Ukraine vorbereitet haben“, so Nehammer in der Pressekonferenz. Die OMV bekam vor einem Schiedsgericht über 200 Millionen Schadenersatz für unregelmäßige Gaslieferungen von Gazprom zugesprochen, daraufhin hatte diese angekündigt, die Gaslieferungen nach Österreich einzustellen, erklärt Nehammer über die Hintergründe.
Mehrmals betonte er, dass man sich auf so eine Situation vorbereitet habe: „Niemand wird im Winter frieren, keine Wohnung wird kalt bleiben.“ Die Vorsorge sei gesichert, betont der Kanzler: „Unsere Gasspeicher sind voll und wir haben ausreichend Kapazitäten, um Gas aus anderen Regionen zu bekommen.“
Im Detail: Der heimische Speicherstand liegt aktuell bei 93 Prozent, „das ist ein Jahresbedarf für ganz Österreich“, so Nehammer. Dieser lag 2023 bei 75,6 Terawattstunden. Die strategische Gasreserve des Staates liegt bei 20 TWh.
Mehrmals zeigte sich Nehammer zudem kämpferisch und betonte: „Wir lassen uns vom russischen Präsidenten nicht erpressen! Wir lassen uns von Putin nicht in die Knie zwingen!“
Auch Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) meldete sich via X zu Wort: „Das Vorgehen der russischen Gazprom beweist heute einmal mehr: Russland ist kein Partner. Mit dem morgigen Tag endet aber auch eine Gefahr. Wenn wir keine russischen Lieferungen mehr beziehen, sind wir nicht mehr erpressbar.“
Das sagen die österreichischen Energie-Lieferanten
Durch alternative Bezugsquellen sei die Gasversorgung sichergestellt, bestätigte auch die E-Control in einer Aussendung Freitagabend. Die Versorgungslage werde von den zuständigen Stellen engmaschig beobachtet, ergänzte die Behörde.
Auch der niederösterreichische Versorger EVN beruhigt seine Kundinnen und Kunden. Nicht nur, dass die Speicher gut gefüllt seien, die EVN habe sich ebenfalls auf einen Lieferstopp seitens der Gazprom vorbereitet, teilte ein Sprecher des Versorgers der APA am Freitagabend mit. Ab 1. Jänner nächsten Jahres beziehe die EVN „ausschließlich zu 100 Prozent zertifiziertes Erdgas aus Österreich“.
Die Energie AG Oberösterreich sieht wegen des angekündigten Gaslieferstopps ebenfalls keinen Grund zur Beunruhigung, wie eine Unternehmenssprecherin der APA am Abend mitteilte. Die Gasspeicher seien „zu 95 Prozent voll“ und für die Haushaltskundinnen und -kunden seien auch „genug Reserven aufgebaut worden“. Für diese Heizperiode – bis April/Mai 2025 – „ist die Versorgungssicherheit gegeben“, erklärte sie.
Das Burgenland sei ebenfalls auf den Lieferstopp vorbereitet, teilten der Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) und Stephan Sharma, Chef der Burgenland Energie, in einer gemeinsamen Aussendung mit. „Es war ein zu erwartendes Szenario“, merkten beide an. Der Versorger habe bereits zu Jahresbeginn eine Gas-Taskforce eingerichtet, mit dem Ziel, die burgenländische Gasversorgung für diesen Winter zu sichern, so Sharma. Und das Land werde weiterhin den Wärmepreisdeckel beibehalten, um hohe Heizkosten abzufedern, ergänzte Doskozil.
Dieser Schritt stieß bei Gazprom auf wenig Verständnis
Nochmals zur Frage, warum Gazprom das alles macht: Die OMV hatte vor wenigen Tagen einen juristischen Sieg über den russischen Gasriesen errungen. Denn ein Schiedsspruch unter den Regeln der Internationalen Handelskammer hatte der OMV Schadenersatz in Höhe von 230 Millionen Euro plus Zinsen für ausgebliebene Gaslieferungen in Deutschland zugesprochen. Die OMV wollte diese Summe nun über die monatliche Gasrechnung mit Gazprom für Lieferungen verrechnen. Und genau dieser Schritt hat bei Gazprom auf wenig Verständnis gestoßen.
Doch selbst wenn es nicht dazu gekommen wäre, wäre der Gasfluss aus Russland wohl spätestens ab Januar 2025 ohnehin zum Stillstand kommen. Denn dann läuft der Transitvertrag mit der Ukraine aus, der die Gaslieferungen von Russland durch die Ukraine sichert.
Der komplette Lieferstopp aus Russland ist dennoch keine Katastrophe: Alle Marktakteure versichern, dass kurzfristig die mit 95 Terawattstunden ausreichend gefüllten Gasspeicher in Österreich den Bedarf für viele Monate decken können. Mittelfristig würde die OMV Gas aus Nordafrika über Italien nach Österreich holen, oder aus Norwegen über Deutschland.
Gasrechnungen der Österreicher werden höher
Sobald also kein russisches Gas mehr fließt, stünde dem Import über Deutschland aber noch ein gröberes Hindernis im Weg: die Gasspeicherumlage. Diese wird von den deutschen Gasmarktgebietsverantwortlichen auf gesetzlicher Basis seit Oktober 2022 auf alle Gasexporte eingehoben, Österreich, genauer gesagt die Gaskunden im Westen Österreichs, zahlten wegen des Gesetzes 60 Millionen Euro mehr.
Viel Geld, und es könnte noch viel mehr werden: Die AGGM, der Marktgebietsmanager Austrian Gas Grid Management, rechnet mit Mehrkosten von 750.000 Euro pro Tag, sollten die russischen Gaslieferungen von 300 GWh komplett aus deutschen Pipelines kompensiert werden. Auch wenn derzeit niemand genau sagen kann, um welche Summen sich die Gasrechnungen der Österreicher erhöhen werden, ist klar, dass es teurer werden wird.
Österreich verbraucht inzwischen deutlich weniger Erdgas
Eine Hoffnung besteht noch: Auf Druck der Europäischen Kommission, einiger EU-Mitgliedstaaten und Regulatoren hat die deutsche Bundesregierung Ende Mai 2024 letztendlich zugesagt, dass die Verrechnung der Gasspeicherumlage ab 1.1.2025 beendet werden soll. Ein entsprechender Gesetzesentwurf ist vorhanden, doch jetzt ist die Sorge groß, dass wegen des Endes der Dreierkoalition SPD/Grüne/FDP das Gesetz nicht mehr rechtzeitig vor dem 1.1.2025 beschlossen wird.
Die AGGM ist zudem erbost, dass aus ihrer Sicht die Gasspeicherumlage klar gegen EU-Recht verstößt und damit die erwünschte Diversifikation von Lieferquellen für Österreich maßgeblich erschwert.
Positiv ist, dass Österreich inzwischen deutlich weniger Erdgas verbraucht. Das hat mit der schwächelnden Konjunktur zu tun, aber auch mit einer sehr guten Stromausbeute aus der Ökostromproduktion in diesem Jahr, weiters mit dem geförderten Tausch von Gasheizungen. Aktuell werden etwa 23 Prozent weniger Gas verbraucht als im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2022.