Wie geht es weiter mit der katholischen Kirche nach dem Tod von Papst Franziskus? Für viele stellt sich die Frage simpel so dar: Kommt ein Nachfolger, der den „liberalen“ bzw. „progressiven“ Kurs fortsetzt – oder wird es einen „konservativen Rückschlag“ geben?
Aber was heißen diese Zuschreibungen eigentlich im kirchlichen Kontext? Franziskus habe „selber in diese Schablonen nicht hineingepasst“, meint der katholische Theologe Jan-Heiner Tück im Gespräch mit dem KURIER, und fügt hinzu, „zum Leidwesen mancher, die ihn zur Projektionsfläche ihrer Reformwünsche gemacht haben“. Daher würde er diese Kriterien auch nicht für die Diskussion über den Nachfolger auf dem Stuhl Petri anwenden.
Kein Links-Rechts-Schema
Dies gelte umso mehr, sollte der künftige Pontifex nicht aus Europa kommen: Die etwa aus Asien oder Afrika stammenden Kardinäle ließen sich noch weniger „in unsere Schemata hineinpressen“. Das könnte vereinfacht gesagt bedeuten: „In sexualethischen oder innerkirchlichen Fragen konservativ, dafür aber eher profiliert im Blick auf Wirtschaft, Sozialethik, Ökologie.“
Tatsächlich hat ja Franziskus gerade bei jenen, die zu seinen begeistertsten Anhängern gezählt haben, immer wieder für Irritationen und Enttäuschungen gesorgt. Nicht von ungefähr hat einer der bekanntesten Vatikan-Journalisten, Marco Politi, sein jüngstes Buch über Franziskus „Der Unvollendete“ genannt. Und ein anderer österreichischer Kommentator hat das Wort des verstorbenen Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl, welches dieser auf das Zweite Vatikanum bezogen hatte, auf Franziskus angewandt: „Im Sprung gehemmt“. Beide Titel stehen genau für die Wahrnehmung des Pontifikats durch die Brille des sogenannten „Reformflügels“ der Kirche. Will heißen: Franziskus habe vieles begonnen, aber dann nicht zu Ende geführt – im Verständnis des Priesteramts, der Frauenfrage, der vielzitierten Sexualmoral.
Tück sprach indes in diesem Zusammenhang in einem Kommentar von einer „geradezu monomanen Fixierung auf diesen Forderungskatalog“. Und mit ihm sehen auch viele andere Theologen und kirchliche Beobachter, auch solche aus Europa, diese Perspektive als zu eng an. Nicht nur, aber auch, weil diese Agenda außerhalb von Europa nicht nur keineswegs mehrheitsfähig wäre, sondern auch als absolut nicht prioritär angesehen wird. Man muss nur an die Reaktionen etwa aus Afrika auf die – an sich sehr behutsame – vatikanische Erklärung „Fiducia supplicans“ über die Segnung homosexueller Paare denken. Rom hatte danach jede Menge Erklärungsbedarf und relativierte einiges – sodass am Ende wohl niemandem gedient war.
Viele Bälle in der Luft
Die Auseinandersetzung ist übrigens recht typisch für das Pontifikat Franziskus’: Er warf, bildlich gesprochen, viele Bälle in die Luft, um dann zu sehen, was daraus wird. Dies gewiss in bester Absicht und in der Überzeugung, dass die Kirche der Erneuerung bedarf und jedenfalls sich nicht mit dem Überkommenen begnügen darf. Aber eben mit ungewissem Ausgang und jeder Menge Potenzial zu Missverständnissen und Verstörung.
Freilich, die Sicherung von „Friedhofsruhe“ kann erst recht nicht die Aufgabe der Kirche sein. In Wahrheit ist der Grat zwischen Erneuerung und Bewahrung, zwischen Reform und Tradition seit jeher ein schmaler. Und kein Papst konnte und kann je allen Anforderungen, die mit diesem Amt verbunden sind, gerecht werden: Verkündigung, Evangelisierung, Reform, Hüten der Überlieferung, theologische Vertiefung, charismatische Menschennähe …
Dies gilt umso mehr in einer gleichermaßen global-uniformen wie unübersehbar fragmentierten Weltgesellschaft. Wobei ja – siehe etwa die deutsche Kirche – schon innerhalb Europas die innerkirchlichen Bruchlinien allzuoft überdeutlich und schmerzlich zutage treten.
Vor diesem Hintergrund gibt es grundsätzlich zwei mögliche Zugänge zur Frage des künftigen Kirchenkurses, von deren Beantwortung auch die jeweilige Wahl des künftigen Papstes durch die Kardinäle abhängen wird: Das eine Konzept wäre, anknüpfend an die vorhin genannten Schlagworte, eine „Vollendung“ des unvollendet Gebliebenen, eine „Enthemmung“ beim Springen, ein „Franziskus II.“.
Nr. zwei als Nr. eins?
Die andere mögliche Antwort wäre, dass es der Kirche guttun könnte, wieder in etwas ruhigere Fahrwasser zu kommen. Oder in den Worten von Tück: „Dass nach diesem impulsiven, oft etwas spontan agierenden Pontifikat jetzt ein Nachfolger, der etwas ruhiger, besonnener, geordneter agiert“, einiges für sich hätte.
Und er hat auch einen konkreten Namen parat – einen, der ohnedies immer wieder unter den Favoriten genannt wird: Kardinal Pietro Parolin, zuletzt vatikanischer Staatssekretär, so etwas wie der Ministerpräsident des Vatikans und die Nummer zwei hinter dem Papst: „Er ist ein Mann des Ausgleichs, theologisch gebildet, polyglott, kennt die Kurie.“ Und er sei „kein Hardliner“, aber auch „kein Reformer im üblichen Sinne“, sondern jemand, „der die Stärken des geschichtlich gewachsenen Katholizismus und seiner kulturprägenden Kraft mit einbringen könnte“.