In Österreich wurde ein riesiges Terrornetzwerk aufgedeckt, in dem schwule Männer systematisch missbraucht, gedemütigt und terrorisiert wurden. Manche Medien übernahmen die Sprache der Terroristen und framen diese implizit als Freiheitskämpfer.
Stellen Sie sich vor ein riesiges Terrornetzwerk wird in Österreich aufgedeckt, aber medial wird der Terror nirgendwo als solcher bezeichnet. Im Gegenteil: manche Medien übernehmen sogar die Diktion der Terroristen, framen diese implizit als Freiheitskämpfer und diffamieren ihre Opfer.
Sehr ähnliches ist in Österreich vor Kurzem passiert. Ein kriminelles Netzwerk von offenbar militanten Rechtsextremen flog auf, das schwule Männer organisiert und systematisch missbrauchte, demütigte, ausraubte und terrorisierte. Aber die Terroristen waren vorrangig Österreicher und die Opfer Homosexuelle. Und vielleicht sind das ja zwei Gründe, warum der Terror nicht als Terror benannt wird.
Jäger und Gejagte
Die Kronen Zeitung ging so weit, von diesem Terror-Netzwerk als „Pädophilen-Jäger“ zu sprechen. Sie übernahm damit die Selbstbezeichnung der Täter, die sich als „Pedo Hunters“ selbst idolisieren. Im Online-Artikel der Krone wurde dies später auf „Dating-Jäger“ umgeändert. Das ist zwar entschärft, aber immer noch inakzeptabel.
Diese Formulierung bezieht sich wohl darauf, dass viele der Taten im Kontext von „Dating“ stattfanden: Männer wurden zu „Dates“ gelockt, auf denen ihnen sexuelles und/oder romantisches Interesse vorgetäuscht wurde. Dennoch ist diese beschönigende Umschreibung von harter und organisierter Gewalt höchst fragwürdig. Außerdem wird der Begriff „Jäger“ und damit ein wesentlicher Teil der Selbstbeschreibung der rechtsextremen Täter weiterhin verwendet. „Jäger“ klingt nach heroischem Widerstand und nicht nach Rechtsextremen, die sich in einen schwulenfeindlichen Wahn hineinsteigern. Es klingt nach Rächern und Superhelden, die das Böse in der Welt und die Bösen in der Welt ausfindig machen und dann ausmerzen. Was die Täter aber wirklich sind: rechtsextreme Terroristen und organisierte Schwulenhasser. Der Begriff „Jäger“ macht Opfer zu Gejagten. Er entmenschlicht sie damit auch, stilisiert sie beinahe zu Tieren.
2025 kann man selbst vom Boulevardjournalismus mehr erwarten, als dass er die Erzählung und Selbsterzählung organisierter Gewalttäter reproduziert.
Ein Echo alter Vorurteile
Dass Medien aber in ihrer Berichterstattung die Diktion der Täter übernehmen und homosexuelle Männer dadurch mit Pädokriminellen gleichsetzen, Homosexualität in die Nähe von Kindesmissbrauch schieben und die Täter implizit als unerschütterliche Kämpfer für den Kinderschutz framen, ist unverzeihlich.
Sie reproduzieren damit ein altes homosexuellenfeindliches Narrativ. Über Jahrhunderte hinweg wurde Homosexualität, speziell männliche, immer wieder mit Pädophilie in Verbindung gebracht. In Filmen wurden schwule Männer als „perverse Verführer“ dargestellt – in den USA der 1950er gab es Werbespots, die genau vor diesen „Verführern“ warnten. Die Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie ist auch Teil des Playbooks Putins. So terrorisiert in Russland eine Gruppierung mit dem Namen „Occupy Pedophilia“ seit über einem Jahrzehnt homosexuelle Menschen. Selbstverständlich gibt es keine wissenschaftliche Evidenz für ein vermeintliches Näheverhältnis von Homosexualität und Pädophilie. Im Gegenteil: Der Großteil an sexuellen Übergriffen an Kindern wird von heterosexuellen Männern begangen.
Und selbstverständlich war auch unter den Opfern der rechtsextremen homosexuellenfeindlichen Organisation, die soeben aufgedeckt wurde, von Pädophilie weit und breit keine Spur.
Brutale Übergriffe
Stattdessen wurden grausame Angriffe gegen schwule Männer verübt – unter ihnen sogar ein Mordversuch. Insgesamt gab es bislang 18 Festnahmen und 26 Hausdurchsuchungen. Die meisten der festgenommenen mutmaßlichen Täter stammen offenbar aus dem Neonazi-Milieu; bei ihnen wurden NS-Devotionalien gefunden. Die Täter organisierten sich online über Chatgruppen und auf Social Media. Mit Fake Accounts verabredeten sie auf Dating-Apps Treffen mit ihren Opfern. 17 dieser Opfer konnten bereits ermittelt werden, es ist aber davon auszugehen, dass die Dunkelziffer um einiges höher ist. Mögliche Betroffene sind also auch aufgerufen, sich zu melden – beim Landeskriminalamt Steiermark unter 059133/60 3333.
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Wenn du Opfer wurdest, kannst du dich beim Landeskriminalamt unter 059133/60 3333 melden.
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Wer nach einem Übergriff psychologische Hilfe benötigt, kann sich bei den RosaLilaPantherInnen melden.
Der Standard hat berichtet, dass bei den durchgeführten Razzien große Mengen an Datenmaterial konfisziert worden sind. Dieses Datenmaterial offenbare Schreckliches: So seien die Täter von Tat zu Tat brutaler vorgegangen: „Videos dokumentieren brutale Übergriffe, in denen Gruppen von Männern auf wehrlos am Boden liegende Personen eintreten.“ Der Standard berichtet außerdem von Erniedrigungen und Demütigungen, von Opfern, die von Männern mit dem Schriftzug „Pedo Hunter“ auf der Stirn gezwungen wurden ihre Mütter anzurufen und ihnen zu sagen, dass sie Minderjährige hätten treffen wollen, die gezwungen wurden, in Kameras zu sagen, dass sie pädophil seien, die gezwungen wurden mit ihren Peinigern zu tanzen und dabei gefilmt wurden.
Ziel der Übergriffe war also nicht nur, schwulen Männern körperlich schwerwiegende Verletzungen zuzufügen, sondern auch sie zu demütigen, zu erniedrigen und psychisch zu foltern. Das Ziel war, sie zu terrorisieren. Das muss auch so benannt werden.
Und: In der Lust an der Demütigung offenbart sich ein abgrundtiefer und zutiefst beängstigender Schwulenhass.
Genau das ist der Teil der Geschichte, der mit uns allen zu tun hat. Denn während viele in der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft glauben, spätestens mit der „Ehe für alle“ sei die Sache mit der Homofeindlichkeit gesamtgesellschaftlich erledigt, steigt die Hasskriminalität gegen Homosexuelle – und das schon seit Jahren.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.