Dabei ist Pollione wahrlich kein Mann, in den man sich unbedingt verlieben muss, oder?
(lacht) Nein, für mich jedenfalls nicht. Aber unter ihren eigenen Leuten gibt es niemanden, der Norma so nahe kommen könnte sie zu verführen. Mit Pollione ist das das erste Mal in ihrem Leben passiert! Sie verliebt sich, er ist der Vater ihrer Kinder. Und deswegen kämpft sie so verzweifelt um ihn.
Das ist natürlich sehr operntauglich.
Sie könnte auch einfach nur wütend sein, dass er eine Neue hat, ihn bestrafen und das war’s. Sie hat jedoch noch Gefühle für diesen Mann und kann ihn trotz seiner Untreue nicht umbringen. Das sind unglaubliche Emotionen, die da hochkommen.
Hat sich Ihr Bild auf die Norma während der Vorbereitungszeit und der Proben gewandelt?
Zu Beginn hatte ich eine Idee von Norma – die natürlich von Maria Callas beeinflusst war, und von all den anderen großartigen Sängerinnen und den vielen Produktionen des Werkes. Aber ich musste meine eigene Norma finden. Man zeigt oft diese Figur als die unberührbare, heilige Priesterin. Aber ich finde, sie ist etwas anderes – sie ist eine Mutter, sie ist eine Liebhaberin und sie ist ein Mensch. Sie zeigt während dieser Oper, wie tief das menschliche Erleben gehen kann. Und in unserer Produktion zeigen wir noch etwas anderes: Norma hilft ihrer Community, die nach dem Krieg Unterstützung und Kraft braucht.
Wie viel der eigenen Persönlichkeit kann man da als Sängerin einbringen?
Alles. Alles ist meine eigene Reaktion, es sind die Gesten und Gefühle meines Körpers. Ich habe diese Rolle in mir gesucht und gefunden.
Ist das dann nicht emotional ein Grenzgang für Sie?
Ja, das ist es. Es gibt dieser Tage keinen Moment, an dem ich nicht an Norma denke. Man muss letztlich vorsichtig sein und aufpassen, die Rolle so weit wie nötig von sich auf Distanz zu halten.
Eine „eigene Norma“ muss man wohl auch beim Gesang finden – die Rolle wurde ja von so vielen großen Sängerinnen geprägt. Eine schwierige Herausforderung?
Wir alle haben diese großen Sängerinnen im Ohr. Aber ich versuche, immer ehrlich zu mir zu sein: Wenn es zu sehr in eine Richtung geht, in der man eine andere Sängerin zu imitieren beginnt, sage ich mir: Stopp, das bin nicht ich. Es wäre der leichtere, aber nicht der richtige Weg. Es ist besser, sich selbst zu vertrauen. Nur so kann es am Ende funktionieren.
Bei dieser Oper stellt sich immer auch die Frage, wie viel Drama Belcanto verträgt.
Ja, das stimmt. Gerade deshalb ist die Rolle so anspruchsvoll. Sie verlangt nicht nur die bestmögliche Beherrschung des italienischen Belcanto-Stils mit den langsamen Kantilenen, wunderbaren Portamenti und flüssigen Koloraturen. Das alles muss mit emotionaler Wirkung eingesetzt werden.
Was alleine schon schwierig genug ist, oder?
Ja, aber ganz ohne die Energie des Dramas funktioniert das nicht. Es ist nicht einfach, hier die richtige Balance zu finden. Aber man muss es versuchen. Wichtig ist die Kontrolle zu behalten– aber mit der nötigen Portion Pfeffer in den dramatischen Passagen (lacht).
Wie ist es, das „Casta Diva“ zu singen, ist das nicht wie ein Auftritt mit dem „Greatest Hits der Oper“-Album?
Nein! (lacht). Für mich ist das einzigartig, ikonisch. Und sehr emotional, wegen der wunderbaren Musik, aber auch wegen der langen Geschichte dieses Stücks. Als ich die Arie am Mittwoch bei der Generalprobe zum ersten Mal für das Publikum gesungen habe, da spürte ich so viel Energie, die aus dem Zuschauerraum auf mich zukam. Es war einfach magisch.