„Das war keine schöne Musik“, stellt die britische Autorin Anne Sebba klar. „Es war Perversion.“ Ein grotesker Teil des Holocausts, den sie in ihrem Buch „The Women“s Orchestra of Auschwitz“ neu beleuchtet.
Die Historikerin und Biografin hat sich bis dato zurückgehalten, über den Holocaust zu berichten: Sie ist keine Überlebende, keine Nachfahrin von Überlebenden. „Welches Recht habe ich?“
Doch dann entdeckte sie im Nationalarchiv die Armeeakte ihres Vaters. Er hatte jenen britischen Truppen angehört, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreiten (in dieses Lager war eine Hälfte des Mädchenorchester gegen Kriegsende gebracht worden, Anm.). In der dünnen Akte fand Sebba just einen Eintrag vom 24. Mai 1945. Er hielt fest, wie das KZ zerstört wurde. Am selben Tag gaben Lily Mathé und Eva Steiner noch ein Konzert für das Rote Kreuz. „Ich werde es nie wissen, aber es scheint möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass mein Vater an dem Konzert teilnahm.“
Erinnerung bewahren
Aber, hakt Anne Sebba an dieser Stelle ein: „Das ist weder ein Buch über meinen Vater noch über mich.“ Es sei ein Buch über die fast 50 Frauen aus elf Nationen, verschiedenen Religionen und Kulturkreisen, die in einer Zeit, in der Zusammenhalt bestraft wurde, einander beistanden; eine Geschichte über Schwesternschaft und über den größten Akt des Widerstands: das Überleben.
„Beschönige es nicht“ – liegt Anne Sebba der Satz von Orchester-Mitglied Anita Lasker-Wallfisch noch im Ohr: „Mach die Musik nicht zur Erlösung, und scheue auch nicht davor zurück, zu erzählen, wie die Frauen stundenlang beim Appell standen, während ihnen der Durchfall die Beine herunterlief. Denk nicht, dass du das nicht sagen kannst.“ Und so erzählt Anne Sebba die Details. Wie Anita Lasker entkleidet, rasiert und mit der Nummer 69388 tätowiert in den Saunablock zur Registrierung geschickt wurde. Wie sie nebenbei erwähnte, dass sie Cello spielte, und das Mädchen überrascht aufblickte: „Das ist fantastisch!“, rief es. „Du wirst gerettet.“ Wie Anita, nackt mit nur einer Zahnbürste in der Hand, von einer Frau begrüßt wurde, die Kamelhaarmantel und Kopftuch trug.
Auch wenn das Buch von einem Kollektiv handelt: Eine Person sticht hervor. „Ohne Alma“, sagt Anne Sebba, „hätte es das Orchester in der Form nicht gegeben.“ Die vorherige Orchesterleiterin, Zofia Czajkowska, hatte keine musikalische Autorität. Die österreichische Alma Rosé hingegen, Nichte des berühmten Komponisten Gustav Mahler, war ein Musikstar. In den frühen 1930er-Jahren hatte sie die Wiener Walzermädchen gegründet und war mit ihnen durch Europa getourt.
Almas Wirken
Es war Almas Disziplin, die das Orchester auf ein professionelles Level hob. Es war ihr Geschick, das den Mädchen minimale Privilegien ermöglichte: ein Ofen im Musikzimmer mit dem Argument, dass Kälte den Instrumenten schaden würde. Und es war Alma, die die Gruppe erinnerte: Wenn ihr das Orchester verlässt, werdet ihr vergast.
Denn auch wenn die Musikerinnen unter brutalen Bedingungen spielen mussten: Fast alle der Musikerinnen – abgesehen von Alma selbst – überlebten das Inferno. Mit zwei von ihnen, der heute 99-jährigen Anita Lasker-Wallfisch und der im Frühling 2024 verstorbenen Geigenspielerin Hilde Grünbaum, konnte Anne während der Recherche sprechen.
Hilde Grünbaum traf Anne Sebba in Israel. An das Konzert am 24. Mai konnte sich Hilde noch erinnern.
Daran, dass Anita zu sagen pflegte: „Wer kann diese Leute verstehen? In einem Moment wollen sie Schumanns Träumerei, im nächsten Moment stoßen sie Menschen ins Feuer.“
Ebenso, wie richtig der Satz ihrer Mutter war: „Alles, was du weißt, kannst du mitnehmen; materielle Besitztümer haben keinen Wert.“ Denn es war ihre musikalische Erziehung, weiß Hilde, die ihr das Leben rettete.
Und doch: Nach dem Krieg würde die Violinistin Hilde Grünbaum nie wieder ein Instrument in die Hand nehmen.