Er ist fast zu gut, um wahr zu sein. Er ist attraktiv, imposant in seinem Aufritt, bietet Perspektiven und auch finanziell scheint er vielversprechend. Die Rede ist hier – natürlich – von einem Job. Und ja, Traumjob und Traumpartner unterscheiden sich in manchen Aspekten nicht allzu stark voneinander.
Und ähnlich wie in der Liebe, kann auch in der Karriere der erste Eindruck gehörig täuschen (siehe Kästen rechts). Wo zuerst die rosarote Brille war, ist plötzlich ein „Partner“, der nicht aufhört, zu kritisieren. Eine Firma, in der die Stimmung nicht passt. Ein Chef, der viel fordert ohne je Danke zu sagen, der Druck ausübt und Grenzen überschreitet. Das Verhältnis kann toxisch werden.
Giftige Umstände
Ein klares Anzeichen, dass man sich in einer toxischen Beziehung befindet, ist das Gefühl, ständig nicht gut genug zu sein, erklärt Paartherapeutin Nadja S. El-Din. Und das sei erst der Anfang einer langen Liste an problematischen Merkmalen: „Wiederholende Grenzüberschreitungen, keine Akzeptanz für das Wort ’Nein’ und das Gefühl, dass diese Beziehung die eigene Lebensfreude und -energie entzieht“. Sie fasst toxische Beziehungen als emotionales Wechselspiel der Gefühle, „von Idealisierung bis Abwertung“ zusammen.
Die Folgen: „Es kann dazu führen, dass sich die betroffene Person sozial zurückzieht, ihren Hobbys nicht mehr nachgeht, an Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit verliert“, sagt die Paartherapeutin.
Ähnlich kann es einem auch in beruflichen Beziehungen ergehen, sobald sie „giftig“ werden. Man verliert an Motivation, Selbstbewusstsein, hat Angst und kann schlimmstenfalls in ein Burnout schlittern. Doch das ließe sich vermeiden, wenn man erkennt, wie man überhaupt in einer toxischen Beziehung landet.
Durch „Lovebombing“, lautet die Antwort. Man wird quasi in diese Beziehung gelockt.
Der Einstieg in die Public-Relations-Agentur war vielversprechend: klein, inhabergeführt, gutes Gehalt, alle freundlich und mit flachen Hierarchien. Dem Probemonat sollte eine Probezeit folgen, alles nur Formsache. Dass die Mitarbeiterin diese Probezeit aber für den Ausstieg nutzte, war anfangs nicht absehbar. Jedoch auch nicht, wie sich der Büroalltag darstellte: einnehmend, fordernd, mit Grenzüberschreitungen und viel Druck.
Es lief so: offenbar wurden die E-Mail-Accounts der Mitarbeiter überwacht, weil in einem Teammeeting darauf hingewiesen wurde „dass einzelne Mitarbeiter bis zu acht private Mails am Tag schreiben“. Und man das unterlassen sollte. Hinzu kam, dass der Agenturalltag täglich von 9 bis 19 Uhr, oft auch länger dauerte (macht 38 Stunden von Montag bis Donnerstag).
Abendtermine gab es regelmäßig. Das Teammeeting wurde dann auch noch für Freitag, 17 Uhr angesetzt (nochmals also ein zumindest 9-Stunden-Tag obendrauf), ohne jemals Überstunden geltend zu machen. Hinzu kamen die täglichen Belehrungen des Chef, sehr hoher Druck, intensive Kritik-Gespräche mehrmals die Woche und die Aufforderung, doch noch mehr für die Kunden da zu sein. Die Mitarbeiterin kündigte.
Nadja S. El-Din erklärt den Begriff Lovebombing so: „Es ist das Gefühl, mit Liebe und Aufmerksamkeit überhäuft zu werden. Lovebombing wird oft als etwas Manipulatives angesehen. Es dient dazu, den Partner emotional abhängig zu machen.“ Ist das einmal gelungen, kommt es zu einer 180-Grad-Wende.
Die (perfekte) Falle
Im Beruf hat Lovebombing verschiedene Gesichter, die man nicht sofort erkennt: In Stelleninseraten verstecken sich oft erste Warnsignale, erklärt Arbeitspsychologe Peter Radlingmayr. Stichwörter wie „familiäre Strukturen“ und „flache Hierarchien“ könnten zwar auf ein positives Umfeld hindeuten, aber auch auf einen Mangel an professioneller Distanz und Work-Life-Balance.
Apropos Stellenausschreibungen: Die Organisationspsychologin Anna Warga-Hosseini beobachtet schon länger, dass Firmen auffallend viele Versprechungen in ihre Inserate packen – quasi Lovebombing im Jobumfeld betreiben. „Bewerber sind rar, deswegen wirbt man mit zahlreichen Benefits.“ Und manche leider auch mit falschen Versprechungen: „Stellt sich der Arbeitsalltag ein, merken Mitarbeiter, dass vieles nicht so läuft, wie es im Vorstellungsgespräch vermittelt wurde.“ Um solche Tricks schnell zu entlarven, rät sie, schon beim ersten Treffen gezielte Fragen zu stellen. Etwa: Wie schaut das konkret in der Praxis aus?
Stellt sich ein Unternehmen nur positiv dar, ist das mit Vorsicht zu genießen, fügt Peter Radlingmayr hinzu.
Geworben wurde mit einem klassischen Bürojob und verwendet wurden die schönsten Adverbien, erinnert sich die Mitarbeiterin zurück: „Es ging um eine Stelle im Ausland. Dementsprechend konnte mein ehemaliger Vorgesetzter viel versprechen, weil man sich vorab kein persönliches Bild machen konnte.“ Im Inserat prahlte man mit den besten Arbeitsbedingungen, einem guten Gehalt und einer familiären Kollegenschaft – inklusive Entwicklungsmöglichkeiten.
Kaum im Ausland angekommen, wurde klar, dass nichts davon stimmte: „Er hat sich als Pascha gesehen und alle mussten ihn anhimmeln.“ Tat man das nicht, wurde man sabotiert. „Seine Strategien haben nur zur Erniedrigung gedient.“ Lag ein Stift am anderen Ende seines Büros, rief er eine Mitarbeiterin, damit sie ihn holt, obwohl er selbst näher dran war. „Außerdem war er ein Sexist und hat es auch nicht geheim gehalten. Wir mussten hohe Schuhe tragen, weil er flache nicht mochte.“
Sofort aufgeben wollte die Mitarbeiterin nicht. Stattdessen versuchte sie, Strukturen aufzubrechen. „Ich habe adressiert, dass ich es unpassend finde, wurde so aber zu einem Dorn im Auge und habe immer schlimmere Aufgaben bekommen.“ Die Erfahrung endete mit einer Kündigung seitens der Mitarbeiterin. „Ich hätte zwei Jahre bleiben sollen, letztlich waren es dann nur vier Monate.“
Offenheit und Transparenz sind der Gegenentwurf zu toxischen Strukturen. Und die kann man schon während des Bewerbungsgesprächs ausfindig machen: „Wird genau und differenziert geantwortet? Oder werden manche Fragen gänzlich umgangen?“ Für einen noch besseren Überblick raten beide Arbeitsexperten, Online-Plattformen zu durchforsten, sich dort bei ehemaligen Arbeitnehmern umzuhören.
Schwieriger ist das Entlarven von toxischen Führungspersönlichkeiten, meint Radlingmayr. „Narzisstische Persönlichkeitstypen haben einen gewissen Charme, eine Ausstrahlung. Davon fühlt man sich im anfangs angezogen.“ Es wird viel gelobt, geschmeichelt, ins Unternehmen gelockt – bis man eingefangen wurde.
Das böse Erwachen
Dann kommt es zur besagten 180-Grad-Wende: „Der Vorgesetzte fängt an zu kritisieren, runterzumachen, Druck auszuüben, hinterrücks zu lästern“, sagt Peter Radlingmayr. Keine guten Bedingungen für ein gesundes Arbeitsverhältnis. Ob das aber auch als toxisch zu werten ist, hinterfragt Anna Warga-Hosseini.
Die Organisationspsychologin berichtet aus der Praxis: „Toxisch wird man schnell genannt. Wenn man allen Mitarbeitern Glauben schenkt, müssten 60 Prozent der Führungskräfte krankhaft pathologisch sein.“ Tatsächlich wären im Schnitt nur drei von hundert Chefs Psychopathen oder Narzissten, die ihren Mitarbeitern schaden, die skrupellos, cholerisch und unberechenbar sind, schätzt sie. „Meist haben sie viel zu hohe Erwartungen an ihre Mitarbeiter und zu wenig Empathie.“
36 Jahre war eine Mitarbeiterin bei ihrem damaligen Arbeitgeber beschäftigt. Aber dann kam eine neue Führungskraft und die Stimmung im Betrieb kippte. „Bereits beim ersten Treffen unter vier Augen wirkte die neue Vorgesetzte distanziert und skeptisch. Wofür sie sich dann nachträglich tränenreich entschuldigt, hat“, erzählt die Mitarbeiterin.
Kein Einzelfall, wie deutlich wurde. Denn emotionale Ausbrüche waren bei ihr an der Tagesordnung. Anfänglich hätte die Mitarbeiterin das noch locker genommen: „Ich habe ihre Entschuldungen angenommen und war bereit, alles hinter mir zu lassen.“ Aber über die nächsten Monate verschlimmerte sich das Verhalten der Chefin weiter.
Sie gab Aufträge, die in der rechtlichen Grauzone waren, lästerte hinter dem Rücken der Mitarbeiterin und sorgte für eine schlechte Arbeitsatmosphäre. „Einmal hat sie bei einem Mitarbeitergespräch junge Kolleginnen nach ihrer Familienplanung gefragt“, berichtet sie. „Es war ein ständiges auf und ab.“
„Ich konnte nicht mehr schlafen, hatte Herzrasen und wollte einfach nur mehr weg“, was sie dann auch tat und wechselte nach fast vier Jahrzehnten den Arbeitgeber. „Mir ging es psychisch wirklich schlecht und es hat lange gebraucht, bis ich diese Zeit verarbeiten konnte.“ Personen, die Ähnliches erleben, rät sie, früher nach Hilfe zu suchen.
Bei den restlichen Chefs, die nicht unter den Begriff „toxisch“ fallen, würde es sich lediglich um „schwierige Persönlichkeiten“ handeln. Aber auch in solchen Fällen sollte man handeln, wenn man leidet – und sogar das Dienstverhältnis überdenken, wie Peter Radlingmayr meint. Besonders dann, „wenn es einem schlecht geht, man immer wieder krank wird, mit Bauchschmerzen in die Arbeit geht.“
Einer toxischen Beziehung, ob privat oder im Job, zu entfliehen, ist selten einfach, weiß Nadja S. El-Din. Es hilft, seine eigenen sozialen Ressourcen zu stärken, sich mit Menschen auszutauschen und, auch wenn es schwer fällt, sich jemanden anzuvertrauen, sagt sie. Außerdem: Grenzen setzen. „Manche verteidigen ihre Grenzen, andere verlassen das toxische Umfeld“, sagt Radlingmayr.
Anna Warga-Hosseini sieht eine Kündigung aber als letzten Ausweg. Ihr Tipp: „Einen Schritt auf Vorgesetzte zugehen. Oft reicht ein Gespräch, ein nettes Wort oder auch ein strategisch eingesetztes Lob. Viele Vorgesetzte lassen sich davon beeinflussen und bemühen sich dann eher um ihre Mitarbeiter.“