KURIER: Fühlen sich Autokraten durch die Machtübernahme Donald Trumps in den USA ermutigt?
Wolfgang Merkel: Dies sind tiefergehende Entwicklungen, die nicht nur mit Trump erklärt werden können. Wir sehen seit fast zwei Jahrzehnten nicht nur eine Stagnation, sondern einen Rückgang der Demokratisierung in der Welt. Das Jahr 2008 ist da klar als Wendepunkt zu erkennen.
Damals begann ein leichtes Abschmelzen der Demokratie selbst in den stabilsten Regionen – in Nordeuropa, Ostasien, in Deutschland und, ich muss leider sagen, auch in Österreich. Die meisten Staaten sind heute weltweit nicht klar als Demokratien oder Autokratien einzuordnen, sie sind Mischformen wie Ungarn, das Polen Kaczynskis oder die Türkei Erdoğans.
In dieser Situation wurde Trump nun erneut gewählt. In seiner ersten Amtsperiode hat er noch keinen großen Einfluss auf die Autokratisierung der Welt nehmen können. Heute erleben wir allerdings einen US-Präsidenten, der wichtige Errungenschaften der sogenannten „ältesten Demokratie der Welt“ abträgt. Er tut dies mit einem Furor, der selbst bei ihm nicht zu erwarten war.
Ist Trump also ein Autokrat?
Trump ist kein systematisch-autoritärer Herrscher. Er ist tatsächlich ein Dealer, aufgewachsen in der mafiösen Immobilien-Welt Manhattans. Er glaubt an diese Art von Erpressungsdeals: Man schüchtert ein, man droht und will zum Schluss „kassieren“.
Das ist weder ein autoritäres System noch eine klassische Diktatur. Es ist das krude Verständnis einer majoritären Herrschaft: 50,1 Prozent der Wähler genügen, um 100 Prozent der Macht zu beanspruchen. Trumps Wirken ist stark personalistisch getrieben.
Gefährlich ist allerdings, dass er mit seinen Getreuen die Justiz kolonisiert und die Gewaltenteilung missachtet. Und da die USA das mächtigste Land der Welt sind, wissen wir, dass das weltweite Nachahmungseffekte produzieren wird. Trump wird also keine singuläre Episode bleiben.
Also haben die USA auch auf Autokraten eine Vorbildwirkung?
Die USA sind nicht nur die führende militärische und wirtschaftliche Supermacht, sondern verfügen auch über sogenannte Soft Power: Die ganze Welt schaut auf die US-Kultur, den Massenkonsum und versucht, die USA nachzuahmen.
Das politische System in den USA ist heute selbst eine hochgradig defekte Demokratie – mit einem aus der Zeit gefallenen Wahlsystem, plutokratischen Tech-Oligarchen und einer übergriffigen Exekutive.
Außenpolitisch pochten die USA oft auf Demokratisierung in der Welt, das ist jetzt vorbei. Bestärkt das Autokraten in der Welt?
Ich glaube nicht, dass sie immer darauf pochten. Das war immer ein Beschönigungsnarrativ. Schon 1973 sagte Ex-US-Außenminister Henry Kissinger über den von der CIA gestützten Militärputschisten Augusto Pinochet in Chile: „Es kommt nicht darauf an, ob er ein Bastard ist – es kommt darauf an, dass er unser Bastard ist.“
Die USA agieren als imperiale Macht. Und je nachdem, ob es in ihr Machtkonzept passt, haben sie schon immer Diktaturen gestürzt oder gestützt. Früher versuchten sie meist, das zu verschleiern. Trump teilt seine Absichten dagegen offen, er dehnt das ins Demonstrative und signalisiert der Welt im Grunde: „I don’t care.“
Autokratische Politiker wie Chinas Machthaber Xi Jinping loben immer wieder die Effizienz ihres politischen Systems im Vergleich zur „trägen“ westlichen Demokratie. Gibt es diese Vorteile einer Autokratie wirklich?
Selbst wenn wir die Nachteile für das Volk wie Repression, Verhaftungswellen und fehlende Rechtsstaatlichkeit außen vorlassen: Es gibt keine wissenschaftlichen Nachweise dafür, dass autoritäre Systeme besser dazu geeignet sind, Probleme zu lösen.
Das waren sie nicht beim Umgang mit der Corona-Pandemie, sie sind es nicht beim Kampf gegen die Klima-Krise, noch nicht einmal beim Versuch, das eigene Wirtschaftswachstum zu treiben. Ja, Diktaturen können in Krisensituationen schneller entscheiden. Aber sie haben kaum institutionelle Mechanismen, um aus ihren Fehlern zu lernen.
Chinas Machthaber Xi Jinping (unten) wird beim Nationalen Volkskongress von den Abgeordneten beklatscht. Die fehlende Debattenkultur in Autokratien führe dazu, dass die Herrschenden langsamer aus ihren Fehlern lernen, meint Wolfgang Merkel.
In Demokratien gibt es einen zentralen Lernmechanismus: Man kann Wahlen verlieren. Dann kommt es häufig zur kritischen Selbstreflexion: Warum haben wir die Wahl verloren? Müssen wir vielleicht etwas an unserer Strategie ändern? Demokratien sind schwerfälliger, aber sie haben bessere Korrekturmechanismen als Autokratien.
Wie kann es gelingen, dass sich undemokratische Staaten wieder demokratischer entwickeln? Ist das über Druck von außen überhaupt möglich?
Eine Demokratisierung „von außen“ halte ich für illusionär, wenn sie nicht das Ergebnis gewaltiger Kriege wie 1918 oder 1945 ist. Ein solcher demokratischer Systemwandel ist primär eine interne Angelegenheit. Es muss intern starke Kräfte geben, die sich organisieren können, gesellschaftlich verankert sind und auf Demokratie drängen.
Das sind meist politische Parteien, aber auch gesellschaftliche Institutionen oder Organisationen. Auch die Medien spielen eine Rolle – oder, abstrakt formuliert, die Öffentlichkeit. Wenn dort ein demokratisches, tolerantes, inklusives Denken vorherrscht, dann können auch diktatorische Regime ins Rutschen geraten.
Wenn Regierende aber erst einmal die Justiz besetzt und die Medien in die eigene Spur gebracht haben, dann ist es sehr schwer, diesen Autokratisierungsprozess mit rechtsstaatlichen Mitteln wieder umzubiegen.
Selbst, wenn es bei Wahlen zu einem Machtwechsel kommt, kann man ja nicht sofort alle Richter entlassen, die zuvor ernannt worden sind; das wäre nicht rechtsstaatlich. Es ist also schwer, einmal verlorenes demokratisches Terrain zurückzugewinnen.
Das werden wir auch in den USA sehen, wenn Trump über die Zwischenwahlen 2026 hinaus mit willfährigen Abgeordneten im Kongress weiter Schaden an der Demokratie anrichten wird.