In der Steiermark stehen die Landtagswahlen bevor. Die FPÖ könnte der ÖVP den Landeshauptmann abjagen. Was geht in jungen Wähler:innen vor, was denkt die Generation TikTok? Ein Stimmungsbild.
Vom Wahlplakat an der Bundesstraße lacht das Team um den noch amtierenden Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP). Ein paar Meter weiter pilgern Berufsschüler:innen aus grauen Gebäuden über den Zebrastreifen zum Spar – Mittagspause. Vor dem Eingang der Berufsschule stehen drei junge Männer in Hoodie, Shirt und College-Jacke und rauchen. Ob sie was vom Wahlkampf um die steirische Landtagswahl mitbekommen haben? „Nur die Plakate.“ Zwei der Burschen sind 18 Jahre alt, der dritte 21. Sie lernen Maschinenbau und möchten anonym bleiben. Wen sie am 24. November wählen? „ÖVP oder FPÖ“, sagt einer zuerst zögernd. „Aber eigentlich geht eh nur das eine“, sind sich dann alle drei einig. Die FPÖ sei das geringste Übel, die anderen Parteien „noch schlimmer“. Den Burschen sind Themen wie gute Löhne für Landwirt:innen und die Teuerung wichtig, da fühlen sie sich von den Blauen abgeholt, wenn die „faire Preise“ verlangen.
Bei den jungen Wähler:innen ist die FPÖ klar auf Platz 1– zumindest bei der diesjährigen Nationalratswahl. 27 Prozent erreichte die Partei bei den unter 34-Jährigen, bei der sogenannten Generation TikTok. 2019 waren es bei der Nationalratswahl noch Grüne und ÖVP, die vorn lagen. Auch bei der steirischen Landtagswahl. Nun steht die nächste bevor und die Freiheitlichen könnten der ÖVP den Landeshauptmann abjagen. Warum ist die Partei gerade bei jungen Menschen, bei der Generation TikTok, so erfolgreich?
„ÖVP wählt gefühlt nur ein Opa“
Teuerung, Migration und Sicherheit – die Themen der FPÖ würden junge Menschen beschäftigen, weiß Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik von der Uni Graz. „Bei der Teuerung hat es die FPÖ etwa geschafft, die glaubhaftesten Konzepte zu vermitteln.“ Andererseits herrsche unter vielen jungen Menschen „politische Unzufriedenheit“ nach von Krisen geprägten Jahren, da unterscheiden sich die Jungen nicht vom Rest der Bevölkerung. Und das spiele Oppositionsparteien wie der FPÖ in die Karten. Dazu kommt: Die anderen Parteien würden sich eher auf den Stimmenfang der Älteren konzentrieren. „Einfach weil es mehr ältere Wähler:innen gibt als junge.“ Die Folge: Besonders SPÖ und ÖVP „haben ein Problem mit Nachwuchswähler:innen“.
„ÖVP wählt gefühlt nur irgendein alter Opa“, kommentiert eine Lehramtsstudentin. Sie steht mit einer Freundin vor dem Eingang der Grazer Unibibliothek. Es komme ihr so vor, als ginge die ÖVP davon aus, dass die älteren Stammwähler:innen „eh immer da sind“. Den Aufstieg der FPÖ findet die 20-Jährige schlimm. „Ich bekomm Ohrwaschel-Weh bei Kickl.“ FPÖ steht für sie für Rassismus und Frauenhass. Bei der Landtagswahl werde sie SPÖ wählen, „strategisch“, um den FPÖ-Sieg zu verhindern. Für die Studierenden Luc (21), Hristo (24) und Ivana (20) wäre es ein „Scheißgefühl“, wenn die Blauen bei der Landtagswahl siegen würden. Als junge Menschen mit Migrationshintergrund haben sie Angst, dass sich dann mehr Leute trauen, „ungehemmter rassistisch“ zu sein. Die Psychologiestudierenden Lena (23), Elisa (23), Gina (24) und Wilhelm (22) erklären sich den Erfolg der steirischen Blauen damit, dass es die Partei beherrsche, Inhalte einfach zu vermitteln und Ängste zu schüren – vor allem in der „TikTok-Bubble“.
Die Freiheitlichen sind den anderen Parteien in den sozialen Medien weit voraus, sagt Politikwissenschaftlerin Praprotnik. Eine Analyse des Marktforschungsinstituts BuzzValue bestätigt: Die FPÖ und Spitzenkandidat Mario Kunasek mobilisieren im steirischen Wahlkampf am stärksten – mit 213.900 Interaktionen. Betrachtet man alle steirischen Parteien, also FPÖ, ÖVP, SPÖ, Grüne, Neos und KPÖ, spielt Facebook im Social-Media-Wahlkampf die größte Rolle. Aber TikTok gewinnt im Vergleich zu früheren Wahlen immer mehr an Bedeutung, sagt Markus Zimmer von BuzzValue. „Ganz speziell auch hinsichtlich Reichweiten liegt TikTok mittlerweile deutlich vor Plattformen wie YouTube und X (vormals Twitter).“ Fast ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen und 19 Prozent der 25- bis 34-Jährigen nutzen TikTok, so steht es im aktuellen Digital News Report Austria.
Auf TikTok ist die FPÖ stark vertreten. Die SPÖ gibt hingegen an, dass man bisher noch keine Präsenz auf TikTok aufgebaut habe und das nun auch für die steirische Wahl nicht machen würde. Der KPÖ fehle für eine Strategie das Personal. Bei den Grünen moderieren auf dem TikTok-Kanal immerhin junge Kandidat:innen, auch die ÖVP versucht es mit einem eigenen Kanal. Die Neos setzen eher auf Instagram, regional würden für TikTok die Kapazitäten fehlen. „Problematisch“, bewertet das Kommunikationswissenschaftler Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien. Denn Wahlkampf in den sozialen Medien sei nicht allein wahlentscheidend, aber großer Teil der Strategie und des Erfolgs der FPÖ.
Die 16-jährige Schülerin Miriam merkt in ihrem Umfeld, dass immer mehr Junge rechts wählen und Videos auf TikTok dazu schauen und kommentieren. „Es heißt dort, Ausländer sind an allem schuld. Sogar ich bekomm solche Videos eingespielt, obwohl ich gar nicht in die Richtung geh.“ Sie tendiere eher zu den Grünen, weil ihr Klimaschutz wichtig ist. Die Geschwister Karoline (18) und Leonhard (21) aus Judenburg würden es gut finden, wenn alle Parteien in den Sozialen Medien einfach ihre Inhalte kommunizieren. „In den Wahlprogrammen ist es für mich schwer zu navigieren, die konkreten Pläne sind oft vergraben“, findet Leonhard; er studiert Physik an der Technischen Uni Graz. Seine Schwester, die bald Matura macht, würde sich selbst und ihre Freund:innen als politikinteressiert beschreiben. „Man versucht sich, so gut es geht, zu informieren und sich eine Meinung zu bilden, aber oft fehlt einem als junger Mensch Hintergrundwissen.“ Man verliere leicht einmal den Überblick über das Geschehen rund um Politik und die Parteien, Wissen werde in Artikeln etwa oft vorausgesetzt, sagt Karoline.
Sind die Parteien unterschiedlich stark in den Sozialen Medien vertreten, bekommen junge Wähler:innen Informationen schwer oder nur von einer Seite, warnt Experte Eberl. „Es ist demokratiepolitisch fragwürdig, keine Strategie auf der Plattform zu haben, auf der sich junge Menschen ihre Informationen holen.“ Über die Sozialen Medien können vorhandene Meinungen und Zweifel gestärkt werden, weiß Eberl. Gerade bei Jungen funktioniere das gut, weil sie in ihren Einstellungen noch nicht verfestigt sind. Die Präsenz bestimmter Parteien auf TikTok könne „das Zünglein an der Waage sein“.
Skandale? „Hat ja jede Partei“
Die FPÖ hole ihn als jungen Menschen halt gut ab, meint etwa ein 21-jähriger Obersteirer. „Manch andere Parteien umwerben eher Pensionisten und Arbeiter.“ Der Maschinenbaustudent will anonym bleiben, weil er fürchtet, stigmatisiert zu werden. Er wählt die FPÖ, weil sie gegen ein Leitspital in Liezen ist und er Angst hat, dass seine Gegend mit nur einem Krankenhaus nicht mehr genügend versorgt ist. Die Ermittlungen im Finanzskandal rund um die steirische FPÖ im Zusammenhang mit angeblichen Veruntreuungen in Millionenhöhe (siehe „Infos & Quellen“) ändere für ihn nichts. „Jede Partei hat ihre speziellen Skandale.“ Ein 29-jähriger Steirer kann noch andere Gründe aufzählen, warum er sein Kreuzerl bei den Blauen setzt: Teils sei es für ihn ein Protest gegen die kommende Dreierkoalition auf Bundesebene. Außerdem habe sich die FPÖ gegen die Stigmatisierung von Ungeimpften eingesetzt und spreche aus, dass Migration nicht mehr so „ungeregelt“ weitergehen könne.
Kontroverse, emotionale und negative Themen, wie sie die FPÖ bedient, ziehen in den Sozialen Medien, weiß Experte Eberl. Rechtspopulistische Parteien hätten es auf Plattformen wie TikTok also leichter. Andere Parteien könnten laut Eberl aber ebenfalls erfolgreich sein, indem sie auf positive Emotionen wie Hoffnung oder Verbundenheit setzen. Die Parteien abseits der FPÖ seien teils bemüht, aber Eberl vermisst ein durchdachtes Konzept. „Vereinzelt witzige oder ‚cringe‘-Videos reichen nicht.“ Die Parteien müssten junge Menschen gezielt mit Themen ansprechen, die sie betreffen, sagt Politikwissenschaftlerin Praprotnik. Zum Beispiel Wohnen oder Bildung. Viel steht auf dem Spiel: „Die Gefahr ist, dass sich junge Menschen von der Politik abwenden.“
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
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Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik von der Universität Graz
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Kommunikationswissenschaftler Fabian-Moritz Eberl von der Universität Wien
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Junge Menschen: Studierende, (Berufs-)Schüler:innen; viele wollen hier nicht mit ihrem vollen Namen und mit Foto aufscheinen, weil sie sich Sorgen machen, für ihre politische Meinung negative Kommentare zu ernten
Daten und Fakten
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