Neu ist die Forderung nicht, die politischen Argumente sind bekannt. Der KURIER hat mit Daniel Schmitzberger, Vorsitzender der Fachgruppe Jugendstrafrecht in der Richtervereinigung und Jugendrichter am Straflandesgericht in Wien, die fünf häufigsten abgeklärt.
1.Kinder sollen „die Härte des Gesetzes“ spüren, um „auf den rechten Weg gebracht“ zu werden.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich laut Innenministerium die Zahl der Tatverdächtigen, die jünger waren als 14 Jahre, verdoppelt. 9.730 waren es 2023. „Ja, es ist durchaus ein Problem, wenn Zwölf- oder Dreizehnjährige Straftaten begehen und man das Gefühl hat, man muss machtlos zuschauen“, sagt Schmitzberger.
Aber: Die Idee der Bestrafung greife zu kurz. „Die machen das ja nicht von heute auf morgen. Es geht um Kinder, die eine schlechte Herkunftsgeschichte, teils psychiatrische Diagnosen und in ihrem Leben keine echten, verlässlichen Bindungen haben. Gefängnis würde einen weiteren Bindungsabbruch bedeuten.“
In Wien wurde jüngst ein Modell überlegt, das ähnlich funktioniert wie die Bewährungshilfe: Jugendliche sollen (auch ohne vorheriger Straftat) eine Betreuung bekommen, die über den einzelnen Einrichtungen steht – eine Bezugsperson, zu der sie dauerhaft eine Vertrauensbasis aufbauen können.
2. „Täter kennen das System und nutzen es aus.“
Die Aussage zielt auf „Dauerstraftäter“ ab, die lange straflos davonkommen. Als Beispiel hält etwa ein Oberösterreicher her, der im Sommer mit 14 Jahren erstmals verurteilt werden konnte, nachdem er einen Bademeister verprügelt hatte. 13 frühere Verfahren – u. a. wegen Raubes – wurden eingestellt, weil er nicht strafmündig war.
Schmitzberger entgegnet: „Gerade das ist ein Zeichen, dass sich Kinder von Strafen nicht abschrecken lassen. Sonst würden sie nach ihrem 14. Geburtstag ja aufhören.“
3. „Kinder sind heute schon früher reif.“
„Es kann schon sein, dass die biologische Reife früher einsetzt, aber daraus den Schluss zu ziehen, dass das auch für die geistige Reife gilt, ist falsch“, sagt Schmitzberger.
Richtig sei: „Kinder sind viel früher und mit viel mehr bedenklichen Inhalten konfrontiert, schon durch die sozialen Medien. Sie müssen dadurch auch früher mit mehr Problemen fertig werden.“
4. Die Jugend „verroht“, es gibt mehr Sex und Gewalt.
Tatsächlich ist das Alter, in dem Jugendliche zum ersten Mal Sex haben, gesunken: 2007 lag es in Österreich bei rund 17 Jahren, 2024 bei 16,3 Jahren. In der Verurteilungsstatistik rangieren Delikte gegen die „sexuelle Integrität“ mit 101 Fällen aber eher weiter hinten.
Die häufigsten Delikte gab es gegen „fremdes Vermögen“ (1.285). An zweiter Stelle stehen Delikte gegen „Leib und Leben“ (672).
5. Die Gegenseite sagt: ÖVP und FPÖ haben es auf Migrantenkinder abgesehen.
Die Ausländerquote ist bei den 14- bis 17-Jährigen mit 42,6 Prozent etwas geringer als bei den Erwachsenen mit 46 Prozent.
Mit einer Absenkung der Strafmündigkeit würde die Politik gleichermaßen In- und Ausländer treffen, vor allem aber jene, die schon jetzt kaum soziale Anbindung haben: Heimkinder. Zu dieser Gruppe zählen laut Schmitzberger die meisten unter 14-jährigen Täter.
Die Kinder- und Jugendfürsorge brauche mehr Handhabe, um Grenzen zu setzen, sagt er. Derzeit dürfe man die Kinder nicht einmal daran hindern, nachts die Einrichtung zu verlassen. Und auch hier gilt: „Das Gefängnis wäre für sie der schlimmste Ort.“