Startseite Kultur Tucholsky „war ein schmunzelnder Zweifler“

Tucholsky „war ein schmunzelnder Zweifler“

von Max

KURIER: Kurt Tucholskys Bücher wurden von den Nationalsozialisten verbrannt. War er eines der ersten Opfer von Goebbels Propaganda?

Robert Stadlober: Ja, Tucholsky ist quasi von dem Mann und seinen Ideologien in den Selbstmord getrieben worden, den ich in dem Film spiele. Tucholsky hat lange Zeit auf die schönste Art und Weise gegen diesen Irrsinn angeschrieben, obwohl er von Goebbels Propagandaministerium von Anfang an verfolgt wurde. Mit der Musik und dem Buch kann ich ihm vielleicht auch jenen Sieg zukommen zu lassen, den er nicht mehr erleben durfte: Die Nazis haben verloren und die Welt, die sie wollten, ist nicht gekommen. Die Opfer waren zwar sehr groß, aber wir haben es geschafft und dürfen so in Europa seit vielen Jahren in einer freien Welt aufwachsen.

Was zeichnen die Texte von Kurt Tucholsky für Sie aus?

Was mich an den Texten fasziniert, ist dieser offene und spontane Zugang zu schweren Themen, denen er gerne mit einem Augenzwinkern begegnet ist. Egal, wie groß die Verwerfungen in der damaligen Zeit waren, er hat allen immer eine lange Nase gezeigt. Seine Texte haben dem Leben gegenüber eine gewisse defätistische und gleichzeitig optimistische Grundhaltung. Auch wenn’s schlecht läuft, kann man wenigstens versuchen, dem Ganzen einen Schmäh abzuringen. Er war ein schmunzelnder Zweifler, der mit einem Likör in der Hand in einer Bar gestanden ist und sich angeschaut hat, wie die Leute über den Kurfürstendamm flanieren. Seine Beobachtungen hat er dann zu Papier gebracht. Im Text „Berlin! Berlin!“ aus dem Jahr 1923 schreibt er zum Beispiel davon, dass es keine Freundschaften mehr gibt, sondern nur noch Bekanntschaften, dass jeder von einem Termin zum nächsten hetzt. Jeder redet andauernd nur von sich und davon, wie gestresst er nicht ist.

Die Texte von Tucholsky sind also brandaktuell

Durchaus. Das Schreckliche ist ja, dass sich in gewissen Bereichen nicht viel verändert hat und wahrscheinlich auch erst einmal nicht ändern wird. Das heißt, viele gesellschaftliche Verwerfungen, die Tucholsky in seinen Texten anspricht, gibt es heutzutage immer noch, sie heißen jetzt nur anders. Die Probleme sind aber die gleichen. Wenn man sich die Texte so durchliest, ist das auch irgendwie beruhigend, weil man sagen kann: Die Welt ist nicht schlechter, sondern in bestimmten Punkten sogar besser geworden.

Wollen Sie mit dem Album und dem Buch etwas bezwecken?

Ich verfolge damit keine große politische Mission, aber es ist eine Erinnerung daran, dass sich Zeiten schnell ändern können und dass man schauen muss, wo man bei der Wahl sein Kreuzerl macht. Denn davon hängt auch seine persönliche Freiheit ab.

Wie legen Sie ihre Tucholsky-Abende an?

Meine Auftritte sind eine Mischung aus Konzert und Lesung. Zwischen den Liedern halte ich keine persönlichen Ansprachen, sondern lese etwas vor, ordne die Texte ein bisschen historisch ein. Dabei ist es mir aber auch sehr wichtig, auf das jeweilige Publikum einzugehen: Es macht einen Unterschied, ob ich in einem Staatstheater oder in einem Jugendzentrum spiele. Ich will das so barrierefrei wie möglich halten.

Und in der Umsetzung so minimalistisch wie möglich

Dass die Lieder hauptsächlich von der Gitarre getragen werden, ist einfach der Tatsache geschuldet, dass es das einzige Instrument ist, was ich wirklich beherrsche, mit dem ich einen ganzen Abend bestreiten kann. Es gibt neben der Gitarre noch Geigenparts, die von meiner großen Tochter und Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon eingespielt wurden. Produziert hat das Album Wolfgang Möstl.

Sie drehen gerade eine neue sechsteilige Serie namens „Hundertdreizehn“. Welche Rolle spielen Sie? 

Ich spiele einen Kommissar, den Chefermittler, der herausfinden muss, wie es zu diesem Busunglück gekommen ist. Dabei gibt es diese Grundannahme, dass bei jedem Unglück 113 Personen pro Opfer betroffen sind, also von den Erstversorgern über Angehörige, Zeugen und so weiter. Es ist eine Serie, die versucht, über diese Beteiligten an diesem Unglück herauszubekommen, was da genau passiert ist. Dabei wird mir als Kommissar eine recht unkonventionelle Spezialistin zur Seite gestellt.

Stehen heuer noch weitere Drehtage im Kalender?

Ja, ich fange im Herbst mit Adrian Goiginger zu drehen an. Der Film heißt „4 minus 3“ und ist eine wahre Geschichte nach dem Bestselleroman von Barbara Pachl-Eberhart. Ich spiele dabei den Clown „Heli“, den Mann der Protagonistin. Dafür bereite ich mich gerade vor, versuche mir das Jonglieren und diverse Tricks beizubringen. Bis jetzt schaffe ich es leider nur mit drei Bällen. Aber ich über fleißig. 

Wie haben Sie sich auf die Rolle als Joseph Goebbels vorbereitet?

Ich habe wahnsinnig viel Zeug gelesen. Es gibt von Goebbels Tagebücher mit über 35.000 Seiten. Die waren für mich aber eine Sackgasse, weil es darin nur um seine Sicht der Dinge geht, darum, wie er gerne gesehen werden wollte. Ich habe dann „Die Bana­lität des Bösen“ von Hannah Arendt und „Männerphantasien“ von Klaus Theweleit gelesen. Das waren Augenöffner für mich. Ich habe dadurch zumindest verstanden, was seine Sehnsucht war: Goebbels wollte eine bestimmte Form von einer körperlicher Perfektion darstellen, die er selbst nicht verkörpert hat. Er ist ja schon bei der Sprache gescheitert, beim Versuch, ein klares Hochdeutsch zu sprechen. Er schaffte es nicht, weil er eben diesen ganz starken niederrheinischen Dialekt hatte. Auch körperlich ist er gescheitert: Obwohl er  einen Klumpfuß  hatte, versuchte er trotzdem, dem körperlichen Ideal der NS-Ideologie gerecht zu werden, einem Ideal, dem übrigens aus der Führungsriege kaum einer gerecht wurde. Diese Leute haben das Schrecklichste getan, was man sich vorstellen kann. Und selbst waren sie ziemliche Würstchen. Die hatten alle unglaublich viele Schwächen und Defizite. Möglicherweise strebten sie auch deswegen einem Ideal nach, was für sie unerreichbar war, und knechteten damit die ganze Welt.

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