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Ukrainische Militärärzte an der Front

von Max

Das Piepsen der Geräte wird vom Klatschen der Herzdruckmassage unterbrochen. Draußen sitzen die noch immer keuchenden Männer, die Soldaten von der Front ins Spital gebracht haben. Das muss rasch gehen, ist aber nicht selten unmöglich. Zu transparent ist das Schlachtfeld, zu zielsicher sind die Drohnenpiloten, die ihre todbringenden FPV-Drohnen auf alles steuern, was sich bewegt.

Gefährliche Drohnen

Diese von speziellen Brillen aus gesteuerten Drohnen finden ihre Wege selbst in Schützengräben, Bunker – und auch Panzer. Ein Sanitäter zeigt auf seinem Handy ein Video, in dem er am Fahrersitz seines Rettungswagens sitzt. „Eine Evakuierungsfahrt“, sagt er, während am Bildschirm eine Straße bei Nacht auftaucht, gefilmt aus der Fahrerperspektive.

Plötzlich fliegt eine FPV-Drohne ins Bild, explodiert knapp vor dem Fahrzeug. „Sie hätten mich fast getötet“, sagt der Sanitäter. Die meisten Verwundetentransporte finden nach wie vor in der Nacht statt. „Es ist zumindest ein bisschen sicherer.“

Die Erstversorgung müsse in der Regel innerhalb von 60 Minuten erfolgen – die sogenannte „goldene Stunde“ der Notfallmedizin. „Wenn wir es in dieser Zeit schaffen, den Blutverlust zu stoppen und die Vitalfunktionen zu stabilisieren, steigen die Überlebenschancen drastisch.“ In der Regel kommen die Verwundeten daher zuerst an einen sogenannten „stabilisation point“, wo erste Daten aufgenommen, heikle Fälle so gut es geht behandelt werden, sodass die Verwundeten höhere Chancen haben, einen Transport zu überstehen.

Spitäler als Ziele

Dann geht es weiter in improvisierte Spitäler wie dieses, in dem die Ärzte nach wie vor um das Leben des Soldaten kämpfen. Befehle dringen nach außen, noch immer ertönt das Klatschen der Hände auf dem Brustkorb. Noch immer piepsen die Geräte. Und während die Ärzte gegen den Tod ringen, ist auch ihr Leben in Gefahr. Denn auch Militärhospitäler sind offenkundig Ziele im Krieg. Im einige Kilometer entfernten Pawlohrad bombardierten die russischen Streitkräfte vor wenigen Tagen eine Basis des ukrainischen Sanitätsbataillons „Hospitaliter“.

Keller als Zufluchtsort

Auch Wolodimir und seine Kameraden mussten bereits die Position wechseln: „Vor einigen Wochen schlugen immer mehr FAB-Bomben (konventionelle Bomben, die mit Navigationssystemen und zusätzlichen Flügeln ausgestattet sind) in unserer Nähe ein. Kurz nachdem wir evakuiert sind, traf eine das Gebäude und machte es dem Erdboden gleich“, sagt einer der Ärzte.

Wie kann man sich vor feindlichen Raketen und Granaten schützen? „Wir haben Alarme auf unseren Handys. Wird es ernst, gehen wir in den Keller“, fährt er fort. An diese ständige Gefahr gewöhne man sich.

Das Piepsen aus dem Operationssaal wird langgezogener. Und schließlich zu einem einzigen Ton. Das Klatschen der Hände auf die Brust verstummt. Frauen und Männer mit leeren Blicken kommen schweigsam hinaus, einer spricht leise mit den Kameraden des Soldaten. Schluchzen.

Hirnblutung

Wenig später nimmt Wolodimir einen Schluck Kaffee. „Wir konnten das Herz für zehn Minuten am Leben erhalten, aber das Gehirn war schon tot. Hirnblutung“, sagt er mit traurigem, aber nüchternem Blick. Dieser Soldat sei zu spät gekommen. Wie geht es ihm, wenn er einen Patienten verliert? „Ich habe mehr als 25 Jahre Erfahrung, habe früher in einer großen Klinik als Arzt für neugeborene Kinder gearbeitet. Da geschehen schlimme Dinge.“

Freiwillig gemeldet

Als die russische Invasion am 24. Februar 2022 begann, war er mit seiner Familie in Charkiw. „Wir sind in den Westen geflohen, weil wir nicht dachten, dass sich die Stadt tatsächlich halten würde. Ich habe mich freiwillig als Armeearzt gemeldet“, sagt Wolodimir. 

Nun kämpft er nicht mehr um das Leben Neugeborener, sondern um jenes einer Soldaten. Nicht nur: „Ich habe auch schon russische Soldaten behandelt“, sagt er. Der Hippokratische Eid hält auch bei Feinden. Derzeit hilft er beim „Team Ulf“ aus, ist eigentlich einer anderen Brigade zugeordnet: „Ich will betonen, dass die medizinische Versorgung hier wirklich auf einem hohen Stand ist, was wir unter anderem unserer Leiterin Alina verdanken“, setzt er nach.

Seine Familie ist nach Deutschland geflohen, seinen Sohn hat er seit drei Jahren nicht mehr gesehen. „Aber wir telefonieren jeden Abend miteinander. Ich bin extrem stolz auf ihn. Und ich möchte, dass er stolz auf mich ist“, beantwortet Wolodimir die Frage, warum er hiergeblieben ist und seinen Krieg gegen den Tod führt.

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