„Herbert Kickl findet keinen Koalitionspartner, der ihn zum Bundeskanzler macht.“ Das ist er, der zentrale Satz von Alexander Van der Bellen an diesem Dienstag.
Nach zehn Tagen, in denen die Parteichefs von FPÖ, ÖVP und SPÖ direkt und unter vier Augen miteinander gesprochen haben, hat der Bundespräsident nun ÖVP-Chef Karl Nehammer beauftragt, eine mehrheitsfähige Bundesregierung auf die Beine zu stellen und mit der SPÖ zu verhandeln.
„Mehrheitsfähig“ gehört zu den Wörtern, die das Staatsoberhaupt in diesen Tagen besonders gerne strapaziert. Denn in seiner rund zehnminütigen Ansprache wies der Bundespräsident noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass eine Nationalratswahl kein Wettrennen sei, bei dem der Erste automatisch den Kanzler stellt.
Volksvertreter
Vielmehr sage die Verfassung, das Recht gehe vom Volk aus. Und das wiederum bedeute, dass die Stimmen der 1,4 Millionen FPÖ-Wähler gleich viel gelten würden bzw. wert seien wie jene der 1,3 Millionen ÖVP-Wähler, jene der knappen Million, die SPÖ gewählt haben und so weiter und so fort. „Niemand kann alleine das ganze Volk für sich beanspruchen“, sagte Van der Bellen zum Prozedere.
Dass der Bundespräsident so oft und derart explizit darauf hinweist, dass eine funktionierende Bundesregierung eine Mehrheit im Parlament hinter sich versammeln muss, hat einen simplen Grund: Mit seiner Ansage, nicht den Stimmenstärksten, sondern den Zweitplatzierten mit einem Arbeitsauftrag auszustatten, bricht das Staatsoberhaupt mit den bisherigen Usancen.
ÖVP und SPÖ – Kompromisse?
Relativierend muss man einwenden: Bislang gab es in der Zweiten Republik auch noch nie die Situation, dass sämtliche Parlamentsparteien vor wie auch nach dem Wahlsonntag explizit ausgeschlossen haben, mit einer Partei und deren Chef eine Koalition einzugehen.
„Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen“, so lautet das Motto des Staatsoberhauptes. Und in der nun vorliegenden, politisch sensiblen Lage will Van der Bellen von Nehammer zwei Fragen beantwortet wissen.
Erstens: Wo können ÖVP und SPÖ bei ihren im Wahlkampf gemachten Forderungen aufeinander zugehen, um Kompromisse zu schließen?
Und zweitens: Kann mit der knappen Mehrheit, die die beiden Parteien im Nationalrat haben, eine stabile Mehrheit garantiert werden?
Nehammer bekommt Auftrag, Kickl schäumt
Für Karl Nehammer, der Van der Bellens Auftrag bemerkenswerterweise diesmal nicht in der ÖVP-Zentrale, sondern gleich im Bundeskanzleramt kommentierte, ist die Sache klar: Es wird wohl einen dritten Partner geben, ja geben müssen. Und was die Gespräche mit der SPÖ angeht, stellte Nehammer fest, dass die Bereiche Wirtschaft, Migration und Gesundheit die zentralen Themen sein werden.
Für ein „Weiter wie bisher“ stünden er und die Volkspartei nicht zur Verfügung. „Wir brauchen eine neue Form des Regierens und des Miteinanders.“
„Unverantwortlich“
Während sich SPÖ und Neos bereits am Dienstag offen für konstruktive Gespräche mit Nehammer zeigen, wird der Regierungsauftrag an den ÖVP-Chef ausgerechnet von Parteifreund Christopher Drexler kritisiert. Drexler ist steirischer Landeshauptmann und muss sich Ende November erstmals einer Landtagswahl stellen. Wohl mit dem Blick auf den schwierigen Wahltag zog Drexler auffallend scharf gegen die Hofburg vom Leder. „Ich halte es für völlig falsch, dass der Bundespräsident nicht den Vertreter der stimmenstärksten Partei mit einem Regierungsbildungsauftrag ausstattet“, so Drexler. Es sei „unverantwortlich“, Kickl so schnell aus der Verantwortung und in die Märtyrer-Rolle bzw. ins Schmollwinkerl zu entlassen.
Schmollte Kickl?
Wenn, dann nur ein wenig. Der FPÖ-Chef reagierte via Facebook auf Van der Bellen und schrieb an seine Wählerschaft: „Das mag für ganz viele von Euch wie ein Schlag ins Gesicht wirken“. Er, Kickl, halte die Hand dennoch ausgestreckt. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Heute ist nicht aller Tage Abend.“