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Verschuldete Republik | Wiener Zeitung

von Max

Nach der Nationalratswahl Ende September gestand das Finanzministerium ein, dass unsere Republik doch deutlich mehr Schulden macht als erwartet. Welche Faktoren sind an diesem Defizit schuld?

Warst du die vergangenen Tage über auch im USA-Fieber? Fein.

Und jetzt willkommen zurück am harten Boden der österreichischen Realität – hier gibt es einiges zu tun, rote Zahlen statt weißes Haus quasi. Während die Bundespolitik noch nicht einmal in echte Regierungsverhandlungen eingetreten ist – ÖVP und SPÖ sondieren lieber noch weiter, bevor sie sich in einen strukturierten Prozess begeben – machen Expert:innen ziemlich Druck, damit sich bald etwas bewegt.

Prognose für die Staatsfinanzen

Am Dienstag, ein wenig überschattet vom Urnengang in Übersee, hat der Fiskalrat – das unabhängige Gremium, das die Regierung in Sachen Budget- und Wirtschaftspolitik berät – eine neue Prognose vorgelegt, wie es mit den Staatsfinanzen weitergehen dürfte. „Einfach Politik“-Stammleser:innen erinnern sich: Schon vor einem halben Jahr hatte der Fiskalrat das erste Mal Alarm geschlagen, dass das heurige Budget die EU-Regel sprengen würde, nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts an neuen Schulden zu machen.

Das Finanzministerium unter Magnus Brunner (ÖVP) hatte das damals noch von sich gewiesen, erst nach der Nationalratswahl Ende September gestand es ein, dass unsere Republik doch deutlich mehr Schulden macht als erwartet. Aber während das BMF noch von einem Defizit von 3,3 Prozent des BIP ausgeht, sieht der Fiskalrat die Lage jetzt noch schlechter als vor dem Sommer – er geht mittlerweile für 2024 von einer Verschuldung von 3,9 Prozent aus, für 2025 sogar von 4,1 Prozent des BIP.

Schauen wir uns an, wie das im langfristigen Vergleich aussieht:

Wir sehen: Wenn man die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 einmal beiseite lässt, muss man bis in die Weltfinanzkrise Ende der Nullerjahre zurückgehen, um ähnlich hohe Verschuldungsraten zu finden. Das ist deswegen ein bisschen dramatisch, weil es bisher ausschließlich akute Krisenjahre waren, in denen Österreich gegen die EU-Konvergenzregeln verstoßen hat – etwa, um die Kurzarbeit und andere Hilfen zu finanzieren, dank derer die heimische Wirtschaft einigermaßen passabel durch diese Phasen gekommen ist.

Gewaltiges Defizit

Nur: Jetzt ist an sich keine Krise mehr besonders akut – und trotzdem steht uns ein gewaltiges Defizit ins Haus. Wie das zustande kommt, ist kein großes Rätsel, der Fiskalrat hat mit seiner neuen Prognose diese hilfreiche Aufschlüsselung mitgeliefert:


© Screenshot

Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig kompliziert, aber schauen wir uns die Grafik gemeinsam an: Oben, nach rechts orientiert, sehen wir fünf Faktoren, in denen sich die Staatsfinanzen gegenüber den Vor-Corona-Jahren verbessert haben bzw. mit Blick auf 2025 noch bessern werden: Weil die Beschäftigung in Österreich noch immer relativ hoch ist, nimmt die Republik im Verhältnis zum BIP etwa mehr an Sozialabgaben oder Körperschaftsteuer ein als im Schnitt der Jahre 2015 bis 2019.

Auf der anderen Seite – die nach links orientierten Balken – sind die Einnahmen aus der Mineralölsteuer relativ gesunken (weil u. a. durch hohe Spritpreise weniger gefahren wird, auch E-Autos spielen zunehmend eine Rolle). Und die Ausgaben für staatliche Investitionen – etwa in neues Gerät fürs Bundesheer –, für Förderungen und ganz besonders für Pensionen steigen deutlich. Ein guter Teil der Steigerung bei den Pensionen ist demografisch bedingt, aber auch die außertourlich hohen Pensionserhöhungen vergangener Jahre spielen da hinein.

Über der Drei-Prozent-Marke

Mit anderen Worten: Ein ziemlich großer Teil dieser zu großen Defizite geht nicht darauf zurück, dass unser Wohlstand schrumpft und damit die Staatsausgaben im Verhältnis zum BIP – hoffentlich nur vorübergehend – größeres Gewicht bekommen. Nein, es sind primär strukturelle, politisch entschiedene Mehrausgaben, die uns über die Drei-Prozent-Marke bringen.

Renner

© Screenshot

Die grünen Balken hier sind jener Anteil am BIP, den der Fiskalrat zum „strukturellen“ Defizit zählt – gegenüber dem kleinen, grau dargestellten „zyklischen“ Anteil, der sich aus der Wirtschaftslage ergibt.

Auf dieser Basis rechnet der Fiskalrat mit einem Sparbedarf von mindestens 4,4 Milliarden Euro 2025 – als Untergrenze, denn es könnte in den kommenden Monaten durchaus noch schlimmer kommen. (Als Maßstab: Das Budget des Bundes heuer macht rund 120 Milliarden Euro aus.) Bis Dezember will der Fiskalrat Empfehlungen abgeben, wo gespart werden könnte.

Die Regierungsverhandlungen werden durch solche Vorgaben naturgemäß kaum einfacher – vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig die Wirtschaft schrumpft und größere Herausforderungen, etwa in Klima-, Sicherheits- und Gesundheitspolitik, anstehen.

Interessante Zeiten.


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Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.

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