Die Schau „Biedermeier – eine Epoche im Aufbruch“ ist also am rechten Ort, und wenngleich das Thema auch anderswo in Wien studiert werden kann (siehe Infobox unten), hilft die Zusammenballung von hochrangigen Werken, die Kruste von einem Begriff abzuschlagen, der von Beginn an mit Hohn behaftet war.
Ja, die Epoche zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Revolution von 1848 war in Österreich von Überwachung und Zensur gezeichnet, die ausgeprägte Untertänigkeit des homo austriacus wurzelt hier. Aber eben nicht nur: Große Wohnbauten und idyllische Villen, technische Innovationen von der Schiffsschraube bis zum Bugholzsessel, Bahnreisen, Alpintourismus und ein Interesse an exakter Naturbeobachtung haben allesamt ihren Ankerpunkt in dieser Zeit.
Repräsentation
Der Mann, der dieses Argument in einer dichten und gleichzeitig höchst präzisen und ansprechenden Form als Ausstellung umsetzte, heißt Johann Kräftner. Als vormaliger Leiter der Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein besitzt er nicht nur hohe Kenntnis, sondern auch Zugriff auf viele der besten Werke der Biedermeierzeit.
Kennzeichnend an Kräftners Ansatz, der neben Malerei und Zeichnung auch Angewandte Kunst einbindet, ist die Entscheidung, „Biedermeier“ als überregionales Phänomen zu begreifen. Besonders die Achse zwischen dem heutigen Österreich und der Adria brachte, im Gefolge ausgebauter Handelsrouten, neuen Wohlstand, Repräsentationsbedürfnisse und damit Kunst hervor.
Der Maler Jožef (Giuseppe) Tominz, aus der diesjährigen Kulturhauptstadt Gorizia/Görz/Nova Gorica gebürtig, bekommt vor diesem Hintergrund eine große Bühne: Er avancierte um 1830 zum gefragtesten Porträtisten in Triest, die neue Elite ließ sich von ihm – gern vor Parklandschaften und umgeben von Attributen des Wohlstands – ins Bild setzen. Doch Tominz malte seine Auftraggeber exakt, erfasste Spuren des Alters, manchmal auch entstellende Merkmale: Ein Realismus, den er mit seinem Zeitgenossen Ferdinand Georg Waldmüller in Wien teilte.
Reportage
Während die letzte große Biedermeier-Schau im Belvedere (2021/’22) stark auf das soziale Ungleichgewicht und den Reportage-Aspekt der Malerei fokussierte, steht im Leopold Museum eher der Bildhunger der Zeit im Vordergrund: Zusätzlich zur Selbstdarstellung holte man sich gern die Welt ins Haus, gab „Guckkastenbilder“ in Auftrag oder besuchte Schaustellungen wie das „Kosmorama“ des Salzburgers Hubert Sattler. Dessen Stadtansichten sind in der Schau prominent platziert.
Obwohl ein großer Teil der Bilderproduktion im Bereich der Gebrauchskunst verblieb, argumentiert Kräftner überzeugend, dass die Biedermeierzeit jede Menge Kunst hervorbrachte, die auf Augenhöhe mit Spitzenwerken anderer Epochen stehen kann. Herausragend ist hier das Gemälde „Das Souvenir“ („l’assopita“) von Friedrich von Amerling (1838), das Adolf Hitler einst für sein geplantes „Führermuseum“ in Linz erstehen wollte und das nach einer Restitution in die Uffizien von Florenz gelangte: Das Bild mit dem exquisiten farbigen Schattenwurf kann sich zweifellos mit den dort beheimateten Renaissance-Gemälden messen.
Vom braven, verhaltenen Biedermeier hat man sich an diesem Punkt der Schau schon recht weit entfernt. Tatsächlich verlief der Übergang zu späteren Strömungen fließend, und während einige Künstler bis weit ins späte 19. Jahrhundert den einst etablierten Formen treu blieben, suchten andere nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und nach Anschluss an die nächste Generation: Etwa der für seine minutiös gemalten Stadtansichten und Interieurs bekannte Rudolf von Alt, der 1897, bereits 84-jährig, den Ehrenvorsitz der Wiener Secession übernahm.
Revolution
Dass sich auch moderne Designer ein Beispiel an den betont schlichten Kreationen der Biedermeierzeit nahmen, belegt Kräftner mit einigen pointiert gewählten Exponaten – etwa einem Holzschrank, in dem die Holzmaserung die Rolle des Dekors übernimmt und der genauso gut von Adolf Loos stammen könnte. Zwei silberne Kerzenleuchter, zu sehen in einer Vitrine, galten lange als Kreationen des Wiener-Werkstätte-Innovators Josef Hoffmann – bis man erkannte, dass sie bereits 1820 angefertigt worden waren.