Startseite Politik Von Bürokratie, DNA-Tests und langem Warten

Von Bürokratie, DNA-Tests und langem Warten

von Max

Laut Gesetz können Asylwerber, die einen positiven Asylbescheid erhalten und somit als schutzberechtigt anerkannt werden, ihre unmittelbaren Familienangehörigen nachholen. Das bedeutet, dass Männer oder Frauen ihre Ehepartner und asylberechtigte Minderjährige ihre Eltern nach Österreich bringen können. 

Der Prozess der Familienzusammenführung ist langwierig und garantiert nicht immer Erfolg, davon kann Samiya Abdi aus Somalia ein Klagelied singen.

Im August 2021 kam die damals 15-jähirge Abdi, die aus Angst vor negativen Reaktionen seitens der Behörden ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, nach Österreich. Um einer Zwangsheirat in ihrer Heimat zu entkommen, nahm Abidi die Flucht auf sich.

Familie harrt in Flüchtlingslager aus

„Ich fühle mich in Österreich wohl und sicher“, sagt Abdi. Im November 2022 bekam sie subsidiären Schutz (damit ist der Familiennachzug erst nach drei Jahren möglich), dagegen legte sie Beschwerde ein, da sie auf einen Asylstatus aus war. Den bekam sie im Mai 2023, damit ist sie Österreichern gleichgestellt und hat das Recht auf Arbeit – und eben auf Familiennachzug

Am Anfang lief noch alles gut: Abdis Mutter und ihre vier Geschwister besorgten Geburtsurkunden und Reisepässe, reisten nach Kenia, da es in Somalia keine österreichische Botschaft gibt, um die Anträge zu stellen. Seit Juni 2024 lebt die Familie unter prekären Bedingungen in einem Flüchtlingslager in Nairobi und wartet auf die Aufforderung der Botschaft, DNA-Tests durchführen zu lassen. Bisher hat die Mutter den Prozess allein finanziert – nun sind sie und ihre vier Kinder finanziell von der ältesten Tochter Samiya Abdi abhängig.

Psychischer und finanzieller Druck

Rund 300 Euro braucht Abdis Familie im Monat, um zu überleben, darin sind Essen, Unterkunft und auch die Übersetzung von Dokumenten inkludiert. Abdi erhält monatlich 520,13 Euro Sozialhilfe. „Meine Freunde helfen mir finanziell, bei bürokratischen Fragen wende ich mich an das Rote Kreuz“, antwortet die junge Frau auf die Frage, wie sie es schafft, ihre Familie zu unterstützen. Wie hoch sie verschuldet ist, möchte sie nicht verraten. 

Am 6. Mai 2024 ist Samiya Abdi 18 Jahre alt geworden – ein entscheidender Tag, denn mit der Volljährigkeit gelten für sie alle Rechte wie für Erwachsene. Abdi fällt damit unter das Niederlassungs-und Aufenthaltsgesetz, das bedeutet, dass sie zwar das Recht hat, ihre Familienangehörigen nachzuholen, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Abdi muss laut Bundesministerium für Inneres unter anderem über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen und eine eigene Wohnung mit genügend Platz für sechs Personen verfügen. 

Abdis größte Angst ist, dass sich das Verfahren in die Länge ziehen wird und sie dem Druck, für die Familie zu sorgen, nicht standhalten kann. Die 18-Jähirge hat neben ihrem Freundeskreis Anschluss an die somalische Community in Wien gefunden und auch eine österreichische Patin, die ihr nicht mit Geld aushilft, sondern ihr die heimischen Traditionen sowie die Sprache näherbringt – quasi ein minimales Auffangnetz. 

Familienzusammenführung: Oft über mehrere Jahre

Die Bürokratie hinter der Familienzusammenführung gleicht einer Sisyphusarbeit – und nicht nur die 15-seitigen Anträge, die pro Person in der Muttersprache und auf Deutsch ausgefüllt werden müssen, sind Stolpersteine. „Die Kosten des Verfahrens sind für die Familien enorm. Rund 200 Euro pro Person sind für einen Antrag zu zahlen, hinzu kommen die DNA-Tests und die Reisekosten zu den Botschaften“, erklärt Stefanie Maczijewski vom Verein Tralalobe, der unter anderem Minderjährige und Frauen unterstützt. Auch Samiya Abdi zählt zu den Betreuten des Vereins.

Viele Familien kämen aus Krisen- und Kriegsgebieten, daher sei auch die Sicherheit bei der Anreise zu den verschiedenen Botschaften eine Herausforderung. Die Dauer des Verfahrens sei unterschiedlich, so Maczijewski. „Die Minderjährigen, mit denen ich gearbeitet habe, mussten manchmal eineinhalb Jahre oder länger warten. Bei Erwachsenen sind es mindestens acht Monate, aber das hängt auch stark vom Herkunftsland ab.“ 

Flüchtlinge aus Syrien benötigen häufig keine DNA-Tests, da sie Familienbücher und Heiratsurkunden aus ihrem Heimatland mitbringen. Wenn diese jedoch von den Behörden angezweifelt werden, müssen auch sie Tests zum Nachweis der Verwandtschaft vorweisen. 

„Bei Personen aus Afghanistan und Somalia werden die DNA-Tests aber ausnahmslos verlangt“, erklärt Maczijewski. Viele seien in hoffnungslosen Situationen und müssten einiges aufgeben, um sich auf den Weg nach Österreich zu machen.

Praktisch unmöglich

Im Fall von Samiya Abdi ist offen, ob ihre Familie nach Österreich kommen kann. Denn das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verlangt von den Antragstellern unter anderem die bereits erwähnten Finanzmittel. Ein Beispiel: ein Ehepaar muss nach Abzug der Miete rund 2.000 Euro nachweisen – mit zwei Kindern erhöht sich der Betrag auf 2.200 Euro – um in der Kategorie „ausreichende Mittel“ zu fallen. In Relation zum österreichischen Medianeinkommen, das bei 2.500 Euro liegt, sei die Summe hoch, so Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der NGO asylkoordination. Wendet man diese Einkommensgrenzen auch auf Menschen mit Asylstatus an, wäre es in der Praxis fast unmöglich, mit ihren Familien in Österreich zusammenzuleben. „Das liegt daran, dass während des Asylverfahrens de facto keine Integrationsmaßnahmen gesetzt werden und die Personen daher trotz Asylstatus‘ und unbeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt nicht in der Lage sind, derartig hochqualifizierte Jobs zu erledigen, die das geforderte Einkommen bringen würde“, so Gahleitner-Gertz. 

Unter Integrationsmaßnahmen sind Sprachkurse, Qualifizierungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt, Orientierungskurse für den Wohnungsmarkt oder Unterstützung bei der Nostrifikation von Bildungsabschlüssen zu verstehen. Diese Maßnahmen entfallen während des Asylverfahrens, da sie erst nach Anerkennung des Aufenthaltsstatus wirksam werden. Somit können sich die Menschen beispielsweise nicht auf die Erwerbsaufnahme ausreichend vorbereiten. 

„Man muss sich vor Augen führen, dass die Personen ja während der Grundversorgung grundsätzlich nicht arbeiten dürfen, im Regelfall auch in niedrig qualifizierten Jobs einsteigen müssen“, so Gahleitner-Gertz.  

  • Asylwerber: Menschen, die um Aufnahme und Schutz vor Verfolgung ansuchen und deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Nach positivem Abschluss des Verfahrens sind sie Asylberechtigte oder anerkannte Flüchtlinge.

  • Asylberechtigte: Nach einem positiven Asylbescheid müssen im Ausland lebende Familienangehörige innerhalb von drei Monaten bei einer österreichischen Botschaft einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Wer diese Frist versäumt, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

  • Subsidiär Schutzberechtigte: Familiennachzug erst nach drei Jahren möglich. Voraussetzungen u.a.: Ausreichendes Einkommen, eigene Wohnung.

Samiya Abdi, die derzeit einen Deutschkurs macht und auf der Warteliste für einen Pflichtschulabschlusskurs ist, müsste daher mehrere Tausend Euro Einkommen und zumindest eine Vier-Zimmer-Wohnung aufweisen, um ihre Mutter und ihre Geschwister nachholen zu können. 

Für eine 18-Jährige – ebenso wie für viele erwachsene Österreicher – wohl ein Ding der Unmöglichkeit.

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