„Keine besonders schlaue Idee“, „das kommt ja aus heiterem Himmel“: So und ähnlich hören sich die Reaktionen europäischer Diplomaten an, wenn man sie – abseits der Kameras – auf den jüngsten Vorstoß von Josep Borrell anspricht. Als Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik gibt der Spanier grundsätzlich die Leitlinien für die EU-Außenpolitik vor. Und gerade, was den Nahen Osten betrifft, behagen diese Leitlinien Staaten wie Österreich oder Tschechien nur selten.
Jetzt hat Borrell mit dem Vorschlag aufhorchen lassen, den regelmäßigen politischen Dialog mit Israel auszusetzen. Der Grund: Die mutmaßlich anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte durch Israels Streitkräfte im Gaza-Streifen und im Libanon.
Im Vertrag festgehalten
Doch was sich für viele wie eine diplomatische Hau-Ruck-Aktion des bekannt Israel-kritischen Spaniers anhört, hat zumindest auf dem Papier Hand und Fuß. Der diplomatische Austausch zwischen der EU und Israel ist durch ein Assoziierungsabkommen festgelegt. Und in diesem Assoziierungsabkommen gibt es eine Klausel, die auf die Einhaltung der Menschenrechte durch beide Partner verweist.
Schon im Frühjahr haben Spanien und Irland, jene beiden EU-Mitgliedsländer, die am offensten Kritik an Israels Vorgehen im Gaza-Streifen üben, auf diese Klausel verwiesen und eine eingehende Untersuchung dieser Vorwürfe eingemahnt. Währenddessen soll der Dialog mit Israel auf Eis gelegt werden.
Wie ernst diese Vorwürfe zu nehmen sind, beweisen öffentliche Stellungnahmen hochrangiger UNO-Vertreter, wie etwa von Scott Anderson, Direktor von UNRWA, also des UN-Hilfswerks im Gaza-Streifen. „Es ist nirgendwo mehr sicher in Gaza, auch nicht in den offiziellen ,sicheren Zonen’, meinte der gegenüber Euronews. „Leider respektieren beide Kriegsparteien nicht, dass diese sicheren Zonen eigentlich unantastbar sind, also etwa Krankenhäuser und Schulen.“
Auf Verhandlungstisch
Borrell aber will den Vorschlag am Montag beim Treffen der EU-Außenminister einbringen. Der Widerstand dagegen ist aber schon im Vorfeld massiv. Zumindest acht EU-Mitgliedsländer, darunter auch Österreich, haben sich bereits klar dagegen ausgesprochen. Da aber in dieser Frage Einstimmigkeit aller EU-Mitglieder erforderlich ist, wird der Vorstoß wohl nicht weit kommen.
Doch Borrell, der in wenigen Wochen ohnehin sein Amt als EU-„Außenminister“ beendet, will sich da nicht beirren lassen. Der Spanier, so ist aus seinem Umfeld zu hören, halte einfach an seinen Prinzipien fest. Doch so richtig ernst nehmen, wollen viele EU-Diplomaten den Vorschlag ohnehin nicht: Die EU könne nicht mit dem Iran reden und zugleich Israel die Tür vor der Nase zuschlagen. Außerdem, so wird am Rande gescherzt, sei man inzwischen eher damit beschäftigt, ein Abschiedsgeschenk für Borrell auszuwählen.
Hilfstransporte
Die Bevölkerung von Gaza ist zur Gänze auf die vom UN-Hilfswerk UNRWA organisierte Hilfe angewiesen. Die läuft über Israel, das aber droht, die Zusammenarbeit mit der UNRWA auszusetzen. Es geht um rund 300 Lkw-Lieferungen täglich.
Hungersnot
Rund 350.000 Menschen in Gaza sind laut UN-Angaben unmittelbar von Hunger bedroht.
43.000
Palästinenser sind nach Angaben aus Gaza seit Beginn der Kämpfe ums Leben gekommen, darunter 13.000 Kinder. Israel hat seit dem Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 rund 1700 Todesopfer zu beklagen.
Borrells diplomatischer Vorstoß folgt also den Regeln des Assoziierungsabkommens. Trotzdem versucht die Spitze der EU-Kommission, also bis hinauf zu Ursula von der Leyen, der heiklen Frage, ob man tatsächlich offiziell eine Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen durch Israel einleiten soll, großräumig auszuweichen.