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Warum es immer weniger Organspenden gibt

von Max

Die Anzahl der Organspenden nimmt ab. Im Vorjahr gab es den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren. Rund 60 Menschen auf der Warteliste sterben jedes Jahr.

Benjamin war fünf Jahre alt, als er 2019 an den Folgen einer Mandeloperation starb. Eine Woche nach dem Eingriff kam es zu Nachblutungen, an denen der Bub erstickte. Weil das operierende Spital keine Kinderintensivstation hatte, wurde er in ein größeres Krankenhaus geflogen, doch bei der Ankunft war er bereits klinisch tot. Drei Tage lang wurde aber noch sein Kreislauf aufrechterhalten. Warum? Weil es so lang dauerte, die Entnahme und Spende seiner Organe zu organisieren. „Wir wurden gefragt, ob wir damit einverstanden sind“, erzählt Benjamins Vater heute. „Sie hätten es zwar auch einfach so tun können, aber bei Kindern werden die Eltern nicht übergangen, hat man uns erklärt.“ Die Entscheidungsfindung dauerte keine fünf Sekunden. „Es war der einzige schwache Trost im Hier und Jetzt, zu wissen, dass mit seinen Organen mindestens fünf oder sechs andere Kinder ein besseres Leben bekommen oder sogar vor dem Tod bewahrt werden können.“

Dass Menschen durch Organspenden gerettet werden, ist immer weniger selbstverständlich, denn deren Anzahl nimmt ab. „Im Vorjahr hatten wir den niedrigsten Stand an Organspenden seit mehr als 30 Jahren“, sagt Stephan Eschertzhuber vom Landeskrankenhaus Hall in Tirol und Vorsitzender des österreichischen Transplantationsbeirats. Pro Jahr sterben zwischen 50 und 60 der aktuell mehr als 800 Menschen auf der Warteliste, weil es kein geeignetes Organ für sie gibt. „Wir sind im totalen Alarmmodus.“

Opt-Out-Lösung in Österreich

Vergleicht man die Zahlen der Transplant-Jahresberichte, die das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) jährlich herausgibt, so bestätigen diese den Trend deutlich. Gab es etwa 2018 noch 22,6 Organspenden pro eine Million Einwohner:innen in Österreich, so waren es im Vorjahr nur noch 17,6. Parallel dazu ging die Anzahl der Organtransplantationen zurück: von 795 im Jahr 2018 auf 648 im Vorjahr. Bei rund 88 Prozent kamen die Organe von Verstorbenen: Hat man nicht zu Lebzeiten widersprochen – durch einen im Ausweis mitgeführten Zettel, einen Eintrag in der Patientenverfügung oder im Widerspruchsregister –, dürfen Organe nach dem Tod entnommen werden, so die Regelung laut Transplantationsgesetz in Österreich.

Einer der Hauptgründe für den Rückgang bei den Spenden und Transplantationen seien Engpässe beim Gesundheitspersonal, sagt Eschertzhuber. „Landauf und landab werden Intensivbetten aufgrund des Personalmangels gesperrt.“ Auch in Tirol könnten aufgrund dieses Mangels in vielen Spitälern nicht alle verfügbaren Betten und Operationssäle genutzt werden. In anderen Bundesländern fehle es ebenfalls an Ärzt:innen und Pflegekräften für Operationen und Anästhesie. Vor allem die Pensionierungswelle unter den Ärzt:innen trifft aktuell den gesamten medizinischen Bereich hart. Dazu kommen vermehrt bürokratische Aufgaben wie Dokumentation und Verwaltung, die zu leisten sind.

Der Arzt muss das Organ nicht als Spende melden

Was haben die Engpässe beim Gesundheitspersonal mit dem Mangel an Organspenden zu tun? „Ob ein Arzt oder eine Ärztin die potenziellen Organspenderinnen und -spender meldet, ist deren persönliche Entscheidung“, sagt dazu Michael Zink, Transplantationsreferent der Region Süd (Steiermark und Kärnten). „Er oder sie ist dazu nicht gesetzlich verpflichtet.“ Angesichts des Arbeitsaufwands, den das Bereitstellen einer Organspende mit sich bringt, würden Ärzt:innen ein potenzielles Spenderorgan mitunter nicht melden, sagt Zink.

In der Praxis sieht es nämlich so aus, dass das Spender:innen-Krankenhaus die Intensivmediziner:innen und das Personal für die Pflege und Anästhesie bereitstellt. Nur die Entnahme und den Transport des Organs zum Krankenhaus des Empfängers oder der Empfängerin führt ein externes transplantationschirurgisches Team durch – und das muss schnell gehen: Ein Herz muss innerhalb von vier Stunden, eine Lunge innerhalb von zehn und eine Leber innerhalb von 16 Stunden transplantiert werden. Nieren können bis zu 36 Stunden lang auf Eis liegen.

Insgesamt gibt es vier Transplantationszentren in Österreich, die auf gewisse Organe spezialisiert sind. Wird ein:e potenzielle:r Spender:in in einem Krankenhaus für hirntot erklärt, liegt es also an den Ärzt:innen, es dem Transplantationszentrum zu melden – oder eben nicht.

Geringe Entschädigung für das Spital

Dazu komme, dass das Spender:innen-Krankenhaus für die Hirntod-Diagnostik und den Prozess der Organspende zwar eine Entschädigung erhalte, „die tatsächlichen Kosten aber höher sind“, sagt Zink.

Genau hier setzt eine der Maßnahmen gegen den Mangel an Organen an, heißt es von der GÖG zur WZ: Die Entschädigung soll von aktuell 2.800 Euro auf 4.000 Euro pro Organspende erhöht werden. Diese Summe kommt aus einem Fördertopf des Bundes, der dafür von 3,4 auf 5 Millionen Euro pro Jahr aufgefüllt werden soll. So sieht es laut GÖG ein Aktionsplan vor, der im Herbst veröffentlicht werden soll.

Eine wesentliche weitere Maßnahme wäre aber auch, die Motivation für die Erkennung und Meldung potenzieller Organspender:innen zu stärken. „In den Krankenhäusern, in denen die Empfänger:innen liegen, gibt es nach der gelungenen Transplantation Geschenkkörbe, Fotos und Freudentränen. In den Spender:innen-Krankenhäusern fließen die Tränen der Trauer, und das ist eine emotionale Belastung“, sagt Eschertzhuber. Die GÖG bietet daher regelmäßig Weiterbildungsseminare für das medizinische Personal an. Zu diesen zählen auch Schulungen, wie Ärzt:innen und Pfleger:innen mit den Angehörigen des/der Toten in diesen Ausnahmesituationen über eine potenzielle Organspende sprechen.

Eine Leber (das Organ auf dem Bild) muss innerhalb von 16 Stunden transplantiert werden.

© Stephan Eschertzhuber

Vorreiterland Spanien

Im Vorreiterland Spanien, wo es europaweit die meisten Organspenden gibt, gehöre es zum Stadtbild, dass auf Plakatwänden für Organtransplantationen geworben wird, ergänzt Hubert Hetz, Transplantationsreferent der Region Ost (Wien). „Dort gibt es auch in fast jedem Krankenhaus eigene Ärzte und Ärztinnen für die Transplantationen, und diese werden gut bezahlt“, sagt er.

Gibt es in Österreich kein geeignetes Organ, könnte dieses auch aus dem Ausland kommen. Denn Österreich ist Mitglied bei Eurotransplant, einer gemeinnützigen Vereinigung mit Sitz in den Niederlanden, die die Organe vermittelt. Die Länder helfen einander grenzüberschreitend aus. Hat Österreich ein Organ aus dem Ausland erhalten, sollte das nächste geeignete Organ dieser Art allerdings zurück in das jeweilige Land gehen – Blutgruppe, Gewebe und Alter sind einige der entscheidenden Faktoren.

Organe sind weltweit Mangelware

Organe sind jedoch weltweit Mangelware. Denn die Rettungskette bei Unfällen funktioniert generell besser, wodurch es weniger Verkehrstote und damit potenzielle Organspender:innen gibt. Zudem sterben die Menschen mit einem höheren Lebensalter, sodass die Organe bei deren Tod oft nicht mehr geeignet für eine Transplantation sind.

Für Benjamins Vater ist jedenfalls klar: „Sollte mich morgen ein Lkw überfahren oder der Blitz treffen, wäre ich dafür, auch mich komplett auszuräumen und meine gesunden und fitten Organe weiterzugeben“, sagt er. „Allerdings hoffe ich für mich selbst auf ein möglichst langes Leben, weil ich zu viel Angst vor dem Sterben habe.“


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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Petra Tempfer hatte während der Covid-19-Pandemie 2021 einen Text zu Organspenden, konkret Lungen, verfasst. Damals gab es einen massiven Rückgang. Deshalb ging sie der Frage nach, ob sich die Lage mittlerweile wieder entspannt hat – das ist nicht der Fall.

Gesprächspartner

  • Benjamins Vater hat seinen Sohn im Jahr 2019 im Zug einer Nachblutung nach einer Mandeloperation verloren. Nachblutungen seien die häufigsten und gefährlichsten Komplikationen bei Mandeloperationen, ist in „Die Österreichische Tonsillenstudie 2010 – Teil 2: Postoperative Blutungen“ nachzulesen.

  • Stephan Eschertzhuber ist ärztlicher Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Landeskrankenhaus Hall in Tirol und Vorsitzender des österreichischen Transplantationsbeirats und Transplantationsreferent der Region West (Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Provinz Bozen).

  • Michael Zink ist Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in St. Veit/Glan und des Krankenhauses der Elisabethinen Klagenfurt, Incoming-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (Ögari) und Transplantationsreferent der Region Süd (Steiermark und Kärnten).

Daten und Fakten

  • Die österreichische Rechtslage zur Organspende folgt der sogenannten Widerspruchslösung. Diese besagt, dass eine Organentnahme bei einer potenziellen Spenderin oder einem potenziellen Spender nach Feststellung des Todes grundsätzlich zulässig ist, sofern die/der Verstorbene nicht schon zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat. Die Organe stammen zum großen Teil von Personen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, bestimmte Körperfunktionen (zum Beispiel Atmung, Kreislauf) aber noch künstlich aufrecht erhalten werden konnten. Vor allem bei Nierentransplantationen bietet sich die Lebendspende als zusätzliche Möglichkeit an und wird immer häufiger genutzt.
    Organe dürfen nur freiwillig und unentgeltlich gespendet werden und dürfen nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein, die auf Gewinn gerichtet sind. Lebendspender:innen oder dritten Personen eine Spende, einen finanziellen Gewinn oder vergleichbare Vorteile zukommen zu lassen, ist ebenso verboten, wie es sämtliche Formen des Organhandels sind.
    Die gesetzlichen Regelungen zur Organtransplantation in Österreich wurden am 14. Dezember 2012 in einem einheitlichen Bundesgesetz, dem Organtransplantationsgesetz, zusammengefasst (oesterreich.gv.at).

  • Im Widerspruchsregister sind laut Stephan Eschertzhuber, Vorsitzender des österreichischen Transplantationsbeirats, 0,5 Prozent der Bevölkerung eingetragen. In der Praxis gebe es in rund zehn Prozent der Fälle, in denen eine Organspende im Raum steht, irgendeine Form des Widerspruchs, sagt er. Die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Organ benötigt, sei viermal höher als jene, dass man Spender:in wird. Das Widerspruchsregister wird vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen gemeinsam mit der Vergiftungsinformationszentrale geführt. Anders als in Österreich gibt es zum Beispiel in Deutschland, Großbritannien oder den Niederlanden eine Zustimmungsregelung.

  • Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Ungarn, und Slowenien sind Mitglieder von Eurotransplant. In diesem Einzugsgebiet leben zirka 137 Millionen Menschen. Die Vorteile der internationalen Zusammenarbeit sind das gemeinsame Spender-Meldesystem und die zentrale Warteliste. Auf Letzterer stehen aktuell rund 14.000 Patient:innen.

  • Am häufigsten werden dem Transplantationsbericht zufolge Nieren transplantiert. Auf eine neue Niere wartet man durchschnittlich drei Jahre, auf ein neues Herz oder eine neue Lunge bis zu vier Monate. Zurzeit leben rund 10.000 Menschen mit einem transplantierten Organ in Österreich. Mehr als 90 Prozent der Personen, die ein Organ transplantiert bekommen haben, überleben mindestens ein Jahr, sagt Hubert Hetz, Anästhesist und Intensivmediziner am Auva Unfallkrankenhaus Meidling und Transplantationsreferent der Region Ost (Wien).

Quellen

Das Thema in der WZ

Organspenden massiv von Pandemie betroffen

Das Thema in anderen Medien

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