Österreichs BIP pro Kopf ist von 2019 bis 2024 um 1,7 Prozent geschrumpft. In diesem Zeitraum verzeichnete man das schwächste „Wachstum“ aller EU-Staaten, in der Eurozone war es von 2023 bis 2024 das drittschwächste. „Im EU-Vergleich stehen wir aktuell schlecht da“, sagt WIFO-Ökonom und Studienautor Marcus Scheiblecker zum KURIER. „Das liegt daran, dass wir ähnlich wie Deutschland und Tschechien einen besonders starken Industrieanteil haben. Im Falle eines Konjunkturaufschwungs geht es den Industrie-Staaten dann wieder umso besser.“
Was sind die Gründe für die aktuelle Rezession?
„Es könnte die längste Flaute seit dem Zweiten Weltkrieg werden“, sagt Scheiblecker. Während der Ölkrise in den 1970er-Jahren hätte es zwar auch zwei Energiepreisschocks gegeben, die Wirtschaft habe sich aber schneller erholt. „Diesmal belasten im Vergleich zu damals gleich drei Komponenten die Konjunktur besonders: hohe Energiepreise, hohe Zinsen und der Ukraine-Krieg“, so der Experte.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
Vor allem die Bauwirtschaft: In den vergangenen 27 Monaten haben die Österreicher um 18 Prozent weniger für den Wohnbau ausgegeben. Preisbereinigt investieren sie laut WIFO so wenig in den Hausbau wie 1995. „Auch in der Autobranche sind die Konsumenten sehr zurückhaltend. Das dürfte mit der Unsicherheit zusammenhängen, ob es klug ist, sich jetzt ein E-Auto zu kaufen. Und Unsicherheit dämpft die Nachfrage“, sagt Scheiblecker.
Wie bekommen die Haushalte die Krise zu spüren?
„Ein konkreter Effekt zeigt sich am Arbeitsmarkt. Vor allem in der Baubranche, der Sachgüterproduktion und der Arbeitskräfteüberlassung sehen wir derzeit, dass die Arbeitslosigkeit steigt“, sagt Scheiblecker. Bei höherer Arbeitslosigkeit entgehen dem Staat Steuereinnahmen. Heißt: „Dadurch steht für die kommenden Jahre weniger Geld zur Verfügung.“ Dem könne der Staat nur mit höheren Steuern oder geringeren Ausgaben entgegenwirken: „Und das blockiert wiederum wichtige Reformen für die Zukunft.“
Ist eine baldige Erholung in Sicht?
Noch nicht. „Eigentlich wären wir längst überfällig für einen Aufschwung, er zeichnet sich nur nicht ab. Die Lage in der Baubranche wird sich durch die anstehenden Zinssenkungen 2025 nur leicht verbessern, erst 2026 wird es zu einer stärkeren Aufwärtsbewegung kommen“, betont der Ökonom. Das türkis-grüne Wohnbaupaket werde die Rezession etwas lindern, aber frühestens 2025. Wäre ein teureres Wohnbaupaket sinnvoller gewesen? Vor dem Hintergrund der angespannten Budgetsituation nicht, betont Scheiblecker.
Die EU verlangt ein Sparpaket. Aber ist das in Krisenjahren überhaupt sinnvoll?
Laut den EU-Maastricht-Kriterien ist ein jährliches Defizit von drei Prozent des BIP erlaubt. Ob Österreich diesen Wert heuer einhält, ist fraglich. Will man die EU-Fiskalregeln künftig erfüllen, müssten ab 2025 mehr zwei Milliarden Euro pro Jahr eingespart werden. „Natürlich kann die Einhaltung der Maastricht-Kriterien in Krisenzeiten auch kontraproduktiv sein“, sagt Scheiblecker. Mag heißen: Neue Schulden gehören in Krisenjahren dazu. Doch gleichzeitig hätten sich die EU-Staaten auf die Obergrenze von drei Prozent des BIP verständigt – und diese sei eigentlich immer für Krisenjahre gedacht gewesen. „Auch Österreich hat die Jahre mit guter Konjunktur nicht genutzt, um Überschüsse zu erwirtschaften und Spielraum für Krisenjahre zu schaffen. Stattdessen wurden Defizite von zwei bis drei Prozent des BIP produziert“, so der Ökonom.
Welche Gegenmaßnahmen wären sinnvoll?
Es habe bereits viele Krisenmaßnahmen gegeben, die das Budget stark belasten würden, betont Scheiblecker. „Prinzipiell wäre es jetzt klüger, abzuwarten, bis die Konjunktur wieder anschiebt. Das wird auch passieren. Wir rechnen fest damit, dass es keine Struktur-, sondern eine Konjunkturkrise ist.“ Einen Vorschlag hat er dennoch: „Ergänzend wäre es sicher sinnvoll, wenn der Staat betroffenen Industriebetrieben wieder vermehrt das Instrument der Kurzarbeit zur Verfügung stellt. Wenn die Betriebe jetzt aufgrund der Krise Arbeitnehmer entlassen, fehlen diese beim nächsten Aufschwung.“