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Warum Wien New York werden könnte

von Max

Der Eingang ist jetzt etwas leichter zu finden, und das Logo wurde auch erneuert. Doch Michelle Cotton, seit Juni künstlerische Leiterin der Kunsthalle Wien, bemüht sich gar nicht erst, so zu tun, als sei mit ihr eine Revolution in der Institution für Gegenwartskunst eingezogen.

„Es sieht immer so aus, als gäbe es unter einer neuen Leitung eine Tabula rasa, doch es gibt auch Kontinuität“, sagt die gebürtige Britin. „Wir sind in der Kunsthalle. Das sind drei Ausstellungsräume ohne eigene Sammlung, was bedeutet, dass wir in erster Linie Ausstellungen produzieren – oft von Künstlerinnen und Künstlern, die das Publikum hier noch nicht gesehen hat.“

Kontinuität und Veränderung

Dass sich das Umfeld für die vor 32 Jahren gegründete Institution massiv verändert hat, ist Cotton aber bewusst: Albertina, Belvedere und mumok haben die Kapazitäten für neue Kunst ausgebaut, die Stadt Wien baute selbst Schauflächen wie das demnächst eröffnende Foto Arsenal auf, im Umkreis privater Initiativen, Galerien und Unis sind weitere Orte für Kunst entstanden.

Unter dem 2019 bestellten Leitungstrio WHW verfestigte sich dabei das Image der Kunsthalle als einer engagierten, aber publikumsfernen Institution. Mit 74.549 Besuchen – zählt man Events ab, kamen 61.185 in Ausstellungen – lag man 2023 zwar auf Vor-Pandemie-Niveau, aber doch weit unter dem Zustrom der Nullerjahre.

Engagement mit Qualität

Cotton ist mit der Ansage angetreten, mehr Menschen in die Kunsthalle bringen zu wollen, fordert aber eine Abkehr von der Zahlenzentrierung. „Ja, wir haben unter der Woche manchmal wenige Besucher. Aber manche bleiben drei Stunden und schauen sich etwa Filme von Aleksandra Domanović an“, sagt Cotton mit Hinweis auf die aktuelle Schau der in Wien ausgebildeten Künstlerin, die noch bis 26. 1. läuft. „Diese Qualität des Engagements sollte man wertschätzen.“

Eine Erhebung der Kunsthalle ergab zuletzt überraschende Ergebnisse: Dass 62 Prozent der befragten Besucherinnen und Besucher außerhalb Österreichs leben, habe sie nicht erwartet, sagt Cotton, die zuvor in Luxemburg arbeitete. 78 % der überwiegend jungen Kunsthallen-Besucher hätten eine universitäre Ausbildung und suchten „intellektuelle Herausforderung“ und „Inspiration“, ergab die Umfrage.

Mission: Kontakt

Dennoch hat sich Cotton zur Aufgabe gestellt, jene abzuholen, die bisher nichts mit der Kunsthalle anfangen konnten. Für Projekte zur Einbindung von Menschen in ökonomisch schwierigen Situationen, für die Arbeit mit Kindern und Personen, die ins neurodiverse Spektrum (z. B. ADHS, Autismus) fallen, suche sie derzeit Unterstützer, sagt Cotton: „Ich glaube, das ist Teil unserer Mission.“

Konkret benennt die Kuratorin die Aufgabe der Kunsthalle darin, „Verbindungen zwischen Menschen und zeitgenössischer Kunst, zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern herzustellen.“ Wie intensiv und nachhaltig so eine Verbindung ist, lasse sich eben nicht in der Zahl der Kontakte allein messen.

Cotton selbst hat die Begeisterung für Kunst nicht in die Wiege gelegt bekommen. Erst als sie in der Bibliothek ihrer nordenglischen Heimatstadt Preston für den Schulabschluss lernte, weckte ein Plakat zu einer Ausstellung der Künstlerin Cindy Sherman ihre Aufmerksamkeit, erzählt sie. „Nach diesem Erlebnis war ich angefixt und wollte mehr sehen.“ Cotton ging zum Studium nach London – und da die Uni-Zeitung keine Kunstkritikerin hatte, begann sie über Kunst zu schreiben und fand so Anschluss an die Szene. Als der Sammler und Werbezar Charles Saatchi 1997 mit der Gruppenschau „Sensation“ einen Kunstskandal auslöste, war sie Mitarbeiterin des Ausstellungshauses, der Royal Academy.

Die Zeit solcher Aufreger sei allerdings vorbei, findet Cotton. „In den 90ern hatte alles ein anderes Tempo. Heute explodieren und vergehen die Dinge in den sozialen Medien so schnell, dass man sich aufreiben würde, wenn man versuchen würde, auf diese Art Aufmerksamkeit zu erregen. Und die Qualität des Engagements ist eine andere. Ich bin daran interessiert, Künstlerinnen und Künstler zu zeigen, bei denen ich überzeugt bin, dass wir in 20, 30 Jahren noch über sie sprechen werden.“

„Lebt und arbeitet …“

Nach Domanovićs Solo-Schau und der schräg-gruseligen Filminstallation „La Gola“ des Italieners Diego Marcon steht ab Februar 2025 „Radical Software“ auf dem Programm – eine Ausstellung über Avantgardistinnen der Prä-Internet-Ära. 2026 soll es dann eine Überblicksschau über die Kunstproduktion in Wien geben – ein Format, an dem sich die Kunsthalle, aber auch das Belvedere schon mehrfach versuchte. „Ich stelle aber derzeit die Tendenz fest, Künstlerinnen und Künstler zu übersehen“, sagt Cotton. „Man sieht viele Retrospektiven von Personen, die am Ende ihrer Karriere stehen und lange ignoriert wurden – oder Ausstellungen ganz junger Leute. In der Mitte klafft da eine Lücke.“

Die Kunsthalle wolle quer durch die Generationen blicken, sagt Cotton. Das Format „Lebt und arbeitet in Wien“, mit dem die Kunsthalle mehrmals Blicke auf die lokale Szene warf, sei aber nicht ihr Referenzpunkt – eher orientiere sie sich an der Whitney-Biennale in New York. „Das ist eine Veranstaltung, die immer etwas über das erzählt, was in der Kunst gerade passiert“, sagt Cotton. „Ich denke, dass so etwas auch in Wien möglich ist. Hier leben hochinteressante Künstlerinnen und Künstler – und man kann auf hohem Niveau eine Konversation über gegenwärtige Kunstpraxis führen, indem man einfach auf die Protagonisten schaut, die in der Stadt sind.“

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