Der ATX steigt, obwohl Österreich sich seit zwei Jahren in einer Rezession befindet. Was sagt die Börse über die Entwicklungen in der realen Welt aus?
Es wirkt unlogisch: Österreich befindet sich seit Jahren in einer Wirtschaftskrise, unser Schuldenproblem belastet den Staat und vielleicht auch bald unsere Privathaushalte, wir erholen uns von einer hohen Inflationsphase – doch die Börsenkurse steigen. Der Aktienindex ATX erreichte Mitte Februar das Niveau, das er zuletzt vor Beginn des Ukrainekriegs hatte. Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Die Börsenwerte bilden nicht immer die Realität ab. Das hat mehrere Gründe.
Was ist ein Leitwert?
Ein Aktienindex bildet die Aktienkurse ausgewählter Unternehmen aus Regionen und Branchen ab. Das bedeutet, dass sich sein Wert aus dem aktuellen Wert der darin enthaltenen Unternehmen ergibt. Der NASDAQ-100 bildet beispielsweise die 100 größten Unternehmen ab, die an der New Yorker Börse NASDAQ notiert sind. An diesem Handelsplatz sind vor allem Technologiekonzerne vertreten, weshalb dieser Index vor allem den Technologiesektor abbildet. Der deutsche DAX umfasst die 40 größten Unternehmen, die an der Frankfurter Börse notiert sind. Dieser Index zeigt also, wie es den großen deutschen Konzernen insgesamt geht. Ähnlich funktioniert der ATX, der Austrian Traded Index. Er besteht aus den 20 größten Unternehmen, die an der Wiener Börse gelistet sind. Und wie der DAX zeigt er, wie es diesen Konzernen gerade geht.
Aktienboom trotz Wirtschaftskrise
Allerdings stecken beide Länder seit zwei Jahren in einer Rezession. Der DAX befindet sich seit einigen Monaten auf Rekordkurs und erreichte Mitte Februar ein neues Allzeithoch. Ein wesentlicher Grund dafür, dass der Leitindex trotz Rezession steigt, ist die Tatsache, dass viele Konzerne große Teile ihres Umsatzes außerhalb Deutschlands erwirtschaften. Kurz gesagt: Den Investor:innen ist es egal, wie es dem deutschen Wirtschaftsstandort geht. Ähnlich verhält es sich in Österreich: Auch hier sind die börsennotierten Unternehmen stark im Ausland vertreten. Der Maschinenbaukonzern Andritz zum Beispiel erzielte im Jahr 2023 72 Prozent seines Umsatzes außerhalb Europas. Läuft das internationale Geschäft stabil oder wächst es sogar, bleiben auch die Aktienkurse und damit der Index stabil.
Das Verhalten der institutionellen Investor:innen, also jener Marktteilnehmer:innen, die tatsächlich mit großen Volumina die Börse bewegen, basiert vor allem auf Zukunftsprognosen. Der ATX und viele andere Marktwerte brachen im Februar 2022 nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ein. Die Investor:innen rechneten aufgrund der geopolitischen Entwicklungen mit einer Rezession, die erst in den Monaten und Jahren danach Realität wurde. Ähnlich verhält es sich heute: Noch schwächelt die Wirtschaft, aber sowohl in Deutschland als auch in Österreich rechnen die Ökonom:innen zumindest nicht mit einem weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die relativ positiven Aussichten lassen die Kurse wieder steigen. Außerdem könnten Investor:innen aufgrund der Verhandlungen zwischen Russland, den USA und der Ukraine auf eine baldige Lösung hoffen.
Einzelne Ereignisse sorgen für kurzfristige Abstürze
Unser persönlicher Alltag, das Tagesgeschäft der Unternehmen oder auch die andauernde Regierungsbildung betreffen den ATX also insgesamt wenig. Dennoch können wir aus der positiven Entwicklung an der Börse etwas mitnehmen: Es geht wieder bergauf – vielleicht, oder hoffentlich, denn eine Garantie gibt es dafür nicht. In den vergangenen fünf Jahren wurden die globalen Aktienmärkte von einer Pandemie, Kriegen und Konflikten maßgeblich beeinflusst. Die gute Stimmung an den Börsen kann also schnell wieder vorbei sein.
Wie stark sich einzelne Ereignisse auf die Aktienkurse auswirken können, zeigte zuletzt die Einführung des chinesischen KI-Tools DeepSeek. Die Entwickler:innen behaupten, die Anwendung verbrauche weniger Ressourcen als ChatGPT und andere KI-Konkurrenten. Daraufhin brachen die Aktienkurse des Chipherstellers Nvidia und anderer Technologiekonzerne ein. Inzwischen hat sich der Kurs der Nvidia-Aktie wieder auf das Niveau vor dem DeepSeek-Schock erholt.
Elisabeth Oberndorfer schreibt jede Woche eine Kolumne zum Thema Ökonomie. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
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Der österreichische Aktienindex ATX ist seit Beginn des Jahres um knapp zehn Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr sogar um mehr als 20 Prozent.
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Der ATX wurde im Jänner 1991 eingeführt, sein Allzeithoch erreichte er im Juli 2007 mit 4.971,37 Punkten.
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Der deutsche Aktienindex hat seit Jahresbeginn elf Prozent zugelegt und erreichte im Februar erstmals die 22.000-Punkte-Marke.