Startseite TOP Was macht eigentlich der Oberste Gerichtshof (OGH)?

Was macht eigentlich der Oberste Gerichtshof (OGH)?

von Max

Ab nächster Woche entscheidet der OGH in der Causa Buwog über die Rechtsmittel von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Co – mehr als 16 Jahre nach Beginn der Ermittlungen, mehr als vier Jahre nach dem Urteil. Wie läuft so eine Prüfung ab?

Mit dem Finale am 25. März sind vier Tage für die öffentliche Verhandlung der Causa Buwog am OGH angesetzt (Details zur Causa siehe Infos & Quellen). Die Anwälte von Grasser, den Lobbyisten Walter Meischberger und Peter Hochegger, Ex-Immofinanzchef Karl Petrikovics, einem Ex-Raiffeisen-Manager und zweier weiterer Angeklagter haben gegen die 2020 vom Straflandesgericht Wien gefällten Schuldsprüche Rechtsmittel eingebracht. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, für alle Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Über den konkreten Fall und seine rechtliche Prüfung kann der OGH keine Auskunft geben – sehr wohl aber über die grundsätzliche Vorgangsweise der 60 Richter:innen, die als letzte Instanz die oberste Kontrolle über Österreichs Rechtssystem haben. Wie das funktioniert, darüber hat die WZ mit Frederick Lendl, Senatspräsident und Mediensprecher für Strafsachen am OGH, gesprochen.

Wie funktioniert ein Gang zum OGH?

Grob gesagt ist der OGH in Österreichs Rechtsprechung die letzte Anlaufstelle, wenn sich Bürger:innen unfair behandelt fühlen. Die Möglichkeiten, wann ein Gang zum Höchstgericht tatsächlich in Frage kommt, sind aber beschränkt. Und es gibt Unterschiede, je nachdem, ob es sich um Entscheidungen von Zivil- oder Strafgerichten handelt. Beginnen wir mit letzteren: Strafsachen, wie auch die Causa Buwog, werden vor Schöffen- oder Geschworenengerichten verhandelt, hier ist der OGH zweite und letzte Instanz. Ist ein Urteil gefällt, können sowohl Ankläger:in wie Verurteilte:r dagegen Rechtsmittel einbringen. Das kann entweder eine Berufung etwa gegen die Strafhöhe oder eine Nichtigkeitsbeschwerde sein. „Die drei häufigsten vorgebrachten Nichtigkeitsgründe sind behauptete Mängel in der Beweiswürdigung, Beweisanträge, die in erster Instanz abgelehnt wurden, und die Rechtsfrage an sich.“ Das eröffnet großen Spielraum: „Irgendetwas, das man einbringen kann, findet ein:e Verteidiger:in immer“, sagt Lendl. „Die Frage ist, ob er oder sie damit auch durchdringt.“

In Straf- wie in Zivilrechtssachen, wo als Rechtsmittel Revision oder Revisionsrekurs in Frage kommen, muss die Beschwerde zunächst beim Erstgericht eingebracht werden. „Das prüft, ob das Rechtsmittel rechtzeitig und von einer berechtigten Person eingebracht wurde, dann wird es an den OGH weitergeleitet“, erklärt Lendl. Dort wird per „Zufallsgenerator“ entschieden, wer den Fall als Berichterstatter:in übernimmt. In Strafsachen leitet diese:r die Sache zunächst an die Generalprokuratur weiter, die ein Rechtsgutachten, das sogenannte Croquis erstellt (siehe Was macht eigentlich die Generalprokuraturin). Diese Stellungnahme wird den Verfahrensparteien zugestellt, danach befasst sich der oder die OGH-Richter:in mit dem Fall. Bedeutet das, dass man den gesamten Akt – im Fall Buwog etliche Terabyte an Daten – nochmals durcharbeiten und überprüfen muss? „Das ist abhängig davon, was im Rechtsmittel vorgebracht wird. Im Strafverfahren etwa müssen wir nicht nur das, was vorgebracht wird, prüfen, sondern von Amtswegen auch, ob andere Rechtsfehler drin sind, selbst wenn der oder die Verteidiger:in sie gar nicht geltend macht. Bei nicht-rechtlichen Fragen – das kann eine fehlende Belehrung über das Aussageverweigerungsrecht oder ein zu Unrecht abgewiesener Beweisantrag sein, schauen wir uns nur an, was vorgebracht wird“, erklärt Lendl. Unterstützung gibt es in Strafsachen für die OGH-Richter:innen bei dieser Prüfung nicht: „In der Regel arbeiten wir Richter:innen den Akt allein durch, weil es neben Rechtsfragen im Strafrecht auch um Fragen der Beweiswürdigung geht, und das ist Aktenarbeit.“

Ein Gang zum OGH in Zivilrechtsverfahren ist, mittels ordentlicher Revision, nur dann möglich, „wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhängt“, betont Lendl; der OGH prüft etwaige Rechtsfehler. Andernfalls bleibt aber eine sogenannte außerordentliche Revision als Mittel der Wahl.

Die Vorgangsweise bei Revisionen unterscheidet sich vom Vorgehen in Strafrechtsangelegenheiten insofern, als die Generalprokuratur hier nicht befasst wird, sondern der oder die Richter:in ohne weiteres Rechtsgutachten die Entscheidung vorbereitet. Statt der Generalprokuratur als externe Behörde hat der OGH für Rechtsfragen in Zivilsachen aber einen eigenen wissenschaftlichen Dienst, den die Richter:innen zu Rate ziehen können, um etwa frühere Entscheidungen in ähnlichen Fällen oder bestimmte Rechtsgrundlagen zu prüfen.

Entscheidungen fallen in Gremien, nicht durch einzelne Richter:innen

Entschieden wird in Straf- wie in Zivilrechtssachen nicht von den Berichterstatter:innen allein, sondern in Senaten (zu fünft oder zu dritt). Ob diese in öffentlicher oder nicht-öffentlicher Verhandlung den Fall abschließen, ist teils gesetzlich vorgeschrieben, teils ist das Ermessenssache der Richter:innen.

Eine Verhandlung im Sinn des vor den ordentlichen Gerichten stattfindenden Prozesses mit Zeug:innenbefragungen und Beweisführung ist so ein OGH-Gerichtstag nicht: „Da gibt es nur noch die Stellungnahmen von Juristen und dann wird entschieden.“ Warum in der Causa Buwog dafür vier Tage nötig sind? Das liegt vor allem an der hohen Zahl der Beschwerdeführer und ihrer Verteidiger:innen.

Für gewöhnlich ist es mit einem öffentlichen Gerichtstag getan, manchmal gibt es zwei. Für gewöhnlich dauert es auch nicht zwei Jahre vom Einbringen einer Beschwerde beim OGH bis zur Entscheidung wie in der Causa Buwog – die durchschnittliche Verfahrensdauer lag 2023 bei 3,7 Monaten. Der Fall Buwog ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich – die überlange Verfahrensdauer könnte ein Grund für den OGH sein, die Urteile abzumildern.

Statistisch überschaubare Erfolgschancen

Rein statistisch stehen die Chancen für Rechtsmittel nicht nur in der Causa Buwog schlecht: In der überwiegenden Zahl der Fälle folgt der OGH der Stellungnahme der Generalprokuratur, und die sieht die Urteile im Wesentlichen bestätigt, nur Teilaufhebungen schlägt sie vor. Lediglich in elf Prozent der Fälle führen beim OGH eingebrachte Rechtsmittel überhaupt zum Erfolg. Eine letzte Hoffnung bleibt für alle, die am OGH scheitern: Er ist zwar in Österreich letzte Instanz, der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) steht aber danach allen offen, die sich durch einen Schuldspruch in den von der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Rechten verletzt fühlen. Somit könnte selbst die Causa Buwog nach dem 25. März eine Fortsetzung finden.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns – sag uns deine Meinung unter [email protected]. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Gesprächspartner

Frederick Lendl, OGH-Mediensprecher Strafsachen und Senatspräsident

Daten und Fakten

  • Zum OGH: Der OGH ist die oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen und damit an der Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit. OGH-Präsident ist seit März 2024 Georg Kodek. 60 Richter:innen prüfen gegen in Verfahren vor Zivil- und Strafgerichten vorgebrachte Rechtsmittel. 42 Richter:innen sind für Zivilsachen zuständig, 18 für Strafsachen. Entscheidungen fallen in Senaten, für einige Bereiche wie Amtsdelikte gibt es spezialisierte Senate.

  • Darüber hinaus hat der OGH eine juristische Leitfunktion, weil seine Entscheidungen unanfechtbar und rechtlich bindend sind und damit maßgeblich für Folgeentscheidungen. Somit ist der OGH auch Rechtswahrer. Zur Unterstützung dieser Rolle gibt es den wissenschaftlichen Dienst am OGH, der nicht nur Kurzgutachten zu Rechtsfragen im Auftrag von OGH-Richter:innen erstellt, sondern auch laufende Judikatur dokumentiert. So waren mit Ende 2023 rund 137.400 Rechtssätze und rund 148.000 Volltextentscheidungen digital erfasst.

  • Zu den Aufgaben im Rahmen der Rechtsprüfung gehört auch die Verantwortung für Disziplinarverfahren von Richter:innen und Staatsanwält:innen. Außerdem gibt der OGH Stellungnahmen zu die Justiz betreffenden Gesetzesentwürfen ab.

  • 718 reguläre Strafsachen und 415 sonstige Fälle aus Strafverfahren sind 2023 beim OGH gelandet – die Zahlen aus dem Jahr 2024 werden erst im April veröffentlicht. Fast zwei Drittel der Arbeit am OGH kommen aus Beschwerden in Zivilrechtssachen (2023: 2654 Fälle). Hier ist der OGH dritte Instanz – Prozesse an Bezirksgerichten wandern zunächst zum Landesgericht, über Prozesse von Einzelrichter:innen an Landesgerichten entscheiden in zweiter Instanz die Oberlandesgerichte.

  • Zur Causa Buwog: Im Kern geht es um den Vorwurf, dass bei der Privatisierung der Bundeswohnungen im Jahr 2004 durch illegale Absprachen 9,6 Millionen Euro an Provisionen geflossen sind und der Republik dadurch sowie durch einen zu niedrigen Verkaufspreis ein Millionen-, wenn nicht Milliardenschaden entstanden ist, weil durch den Verkauf der Wohnungen im einzelnen statt als Gesamtpaket ein höherer Verkaufspreis hätte erzielt werden können. Nutznießer der Provisionen sollen der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser und die Lobbyisten Walter Meischberger und Peter Hochegger sein. Hochegger legte vor Gericht ein Teilgeständnis ab, für alle anderen Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Grasser wurde im Dezember 2020 wegen Untreue, Beweismittelfälschung und illegaler Geschenkannahme zu acht Jahren Haft verurteilt, Meischberger wegen der Beihilfe zu Grassers Taten sowie der Beweismittelfälschung zu sieben Jahren, Hochegger ebenfalls als Beitragstäter und wegen Bestechung zu sechs Jahren. Schon bei der Auswahl der den Verkauf begleitenden Investmentbank Lehman Brothers soll es Absprachen gegeben haben, damit der Zuschlag letztlich um ein Bieterkonsortium rund um die Immofinanz ging, dessen Ex-Chef Karl Petrikovics ebenfalls verurteilt wurde.

  • Aufgeflogen war die Korruptionsaffäre erst 2009 im Zug der Ermittlungen zu einem ganz anderen Fall. Die Buwog-Ermittlungen zogen sich hin, 2016 wurde Anklage erhoben, 2017 begann der Prozess, der am 4. Dezember 2020 mit den genannten Schuldsprüchen endete.

  • Im Februar 2023 reichte Grassers Anwalt Manfred Ainedter Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde ein, diese sieht inhaltliche wie rechtliche Fehler, unter anderem bestreitet Grasser den Schaden an der Republik und auch die Strafhöhe. Die Generalprokuratur empfahl in ihrer Stellungnahme im Wesentlichen eine Bestätigung der Urteile, eine Aufhebung etwa bei den Schuldsprüchen zur Bestechung bzw. Beteiligung daran (Meischberger, Hochegger, Petrikovics und der Raiffeisen-Banker). Bei Grasser soll nur der Schuldspruch für Beteiligung an einer Beweismittelfälschung aufgehoben werden.

Quellen

Das Thema in anderen Medien

Das Thema in der WZ

über uns

Wp logo2

Damit wir Ihnen möglichst schnell weiterhelfen können, bitten wir Sie, je nach Anliegen über die hier genannten Wege mit uns in Kontakt zu treten.

Aktuelle Nachrichten

Newsletter

2020-2022 – Wiener Presse. Alle Rechte vorbehalten