Ist das europäische Kultur? Dann kann das weg.
Zumindest scheint es immer mehr so: Eine für die Kulturwelt überaus schwierige Mischung aus postpandemisch klammen Staatskassen, dem Aufschwung der Populisten und der Aufheizung der öffentlichen Debatte geht derzeit in vielen Ländern an die Substanz der Kulturbranche, so wichtig diese auch eigentlich für den Kontinent in jeder Hinsicht ist. In Nachbarländern Österreichs werden unliebsame Kulturschaffende aus hohen Positionen gefeuert. 130 Millionen Euro weniger: Diese Sparpläne in Berlin bedrohen sogar die Existenz der renommierten Schaubühne und der Komischen Oper. Und im Kulturland Österreich spielt die Kultur weder im Wahlkampf noch bei der Regierungsbildung auch nur irgendeine Rolle.
Offene Rechnungen mit den Populisten
Die Ausgangslage ist aus Kultursicht ungünstig, nicht zuletzt politisch. Dass die Rechtspopulisten aller Länder mit der Kultur eine Rechnung offen haben, das ist kein Geheimnis: Die als links eingebuchten Kulturschaffenden, in Österreich despektierlich als Staatskünstler diffamiert, sind ein gerne benütztes Feindbild jener, die mit Feindbildern Politik machen. Kein Wunder, dass dort, wo diese Populisten an die Macht kommen, diese Rechnungen dann beglichen werden. So hat etwa die slowakische Kulturministerin Martina Simkovicova unter anderem den Generaldirektor des dortigen Nationaltheaters, Matej Drlička, seines Amtes enthoben – und damit Proteste ausgelöst.
Die Begründungen kennt man auch hierzulande aus der öffentlichen Debatte: Die Ministerin hat sich seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr der Durchsetzung einer „nationalen slowakischen Kultur“ gewidmet. Für „Gender-Wahn“ und die „LGBT-Agenda“ werde es keine staatlichen Förderungen mehr geben, hatte sie angekündigt. An diesem Ziel hatte sie auch ihre Personalpolitik orientiert und der Reihe nach die Führung staatlicher Kultureinrichtungen ausgewechselt.
Auch in Ungarn sind die Kulturschaffenden, die nicht dem Orban-Regime treu sind, unter Druck. In Italien hat die Meloni-Regierung zahlreiche wichtige Positionen mit Getreuen besetzt. Nicht zuletzt – das ist immer das erste Ziel – im Staatssender RAI. Internationale Chefs wichtiger Institutionen – wie Dominique Meyer an der Scala – wurden durch Italiener ersetzt.
Wie immer lohnt es sich, in der Politik hinzuhören: Wer von derartigen Kündigungen unliebsamer Kulturschaffender nach der Machtergreifung der Populisten in unseren Nachbarländern überrascht ist, hat vorher die Ohren zugemacht. Auch die FPÖ hierzulande lässt ganz genau wissen, wie gern sie die Kritik der Kulturschaffenden an ihren Parolen hat.
Gegenentwurf zum Populismus
Die Zerrüttung geht aber tiefer als die öffentliche politische Positionierung einzelner Kulturschaffender: Denn die Kulturschaffenden betreiben ein Geschäft, das den Mechanismen des Populismus diametral widerspricht – und von diesem daher abgelehnt werden muss. Hier geht es um Komplexität statt Vereinfachung, um Empathie statt Polarisierung, um das wesentlich Gleiche im Menschen und nicht um jene Unterschiede, zwischen denen sich politisches Kleingeld wechseln lässt.
Dazu kommt: Kultur ist auf so gut wie allen Ebenen international. Das fügt sich schlecht in die Nationalisierungserzählungen der Populisten ein. Wobei eine Reduzierung auf eine spezifische Landeskultur, wie etwa in der Slowakei oder Ungarn, natürlich absurd ist – das ist so, als ließe man das österreichische Nationalteam immer nur gegen sich selbst spielen.
Kein Geld dort, wo man gerne spart
Das sind zwar alles in Bezug auf die Kultur Banalitäten; im Politischen aber ist das Banale oft entscheidend. Ein weiterer derartiger Aspekt: Die Pandemie hat vermeintlich gelehrt, dass es auch ohne Kultur geht. „Viele Menschen finden seither, das brauchen wir doch alles gar nicht, sparen wir doch bei der Kultur“, sagte Schauspielstar Caroline Peters jüngst im KURIER-Interview. „Wie bekommen wir diesen Gedanken wieder aus der Welt?“
Derzeit scheint sich dieser Gedanke eher noch zu verfestigen – siehe Berlin. Dort hat der Stadt-Senat umfangreiche Kürzungen bei den Kultureinrichtungen beschlossen. Betroffen sind nicht nur die Schaubühne, sondern auch die Berlinale und viele weitere Einrichtungen. Schaubühnenchef Thomas Ostermeier sieht in der Zeit durchaus auch eine politische Komponente: „Man lässt uns strampeln und freut sich, wenn wir außer Atem geraten – weil es Milieus sind, die der CDU nicht passen“, sagt er zu den größten Leidtragenden der Sparpläne, Kultur und die innovativen Verkehrplanungen. Er avisiert, dass – sollte es bei den Kürzungen und beim Nichtausgleich von Tariferhöhungen bleiben – das renommierte Theater sogar Insolvenz anmelden werden müsse.
Auch die viele hundert Millionen Euro teure Sanierung der Komischen Oper ist schwerst gefährdet – sollte auch diese Sanierung gestrichen werden, müsste die Oper zusperren, warnte der ehemalige Intendant Barrie Kosky eindringlich. Der Budgetanteil der Sanierung für kommendes Jahr – 10 Millionen Euro – soll unter den gestrichenen Geldern sein. Und es ist kein breites, allgemeines Sparpaket: Die Kultur insgesamt und die Komische Oper Berlin insbesondere müssen „überproportional massive Einsparungen hinnehmen“, sagen die derzeitigen Chefs, Susanne Moser und Philip Bröking.
Noch aber würde den Institutionen in Aussicht gestellt, dass das Sparprogramm abgemildert werden könnte.
Politisches Kleingeld
Diese politische Komponente der Spar- und Nationalisierungsbestrebungen hat einen gemeinsamen Ausgangspunkt: Mit Kultur lässt sich im derzeitigem politischen Gefüge nichts gewinnen, aber mit Kulturbashing schon. Die Menschen auch in Österreich lieben ihre Kulturschaffenden; noch mehr aber lieben sie vielleicht, sich an diesen zu reiben. Nackte Menschen in Bad Ischl („Pudertanz“), vermeintlich blasphemische Opern („Sancta“), rechtliche Probleme des Großkünstlers André Heller, politische Regungen auf den Bühnen – all das sind bereitwillige Gelegenheiten, sich zu empören, die von großen Teilen der Bevölkerung gerne wahrgenommen werden. Und ja, im Gegensatz zur Kultur lässt sich mit Empörung politisch sehr viel gewinnen.
Das führt zur fast absurden Situation, dass am Kulturkontinent Europa, auch im Kulturland Österreich die Kulturpolitik wie eine heiße Kartoffel herumgreicht wird. Hierzulande war die Kultur der erste Regierungsposten, der vakant wurde: Andrea Mayer verließ bei allererster Gelegenheit das Kunststaatssekretariat. Und die Kultur wird, wie schon bei den letzten Regierungsbildungen, der letzte Posten sein, der vergeben wird. Das Kuturstaatssekretariat – von einem Ministerposten ist schon lange keine Rede mehr – ist Verschub- und Verhandlungsmasse, wird also am Schluss der Koalitionsbildung dem Regierungspartner zugeschoben, der noch einen Posten gut hat, egal welchen.
Das Erstaunliche an dem Ganzen: Eigentlich ist Europa in einer Lage, in der es nicht weniger, sondern vermehrt auf Kultur setzen sollte. Alleine aus wirtschaftlichen Gründen: Deindustrialisierung, Innovations- und Regelungsstau und Überalterung setzen dem Wirtschaftsraum zu. Kaum wo ist man international so hervorragend positioniert wie in der Kultur. Allein aus touristischen Überlegungen – Stichwort: Museum Europa als Destination für reiche Asiaten und Amerikaner – sollte man diese Sonderstellung wohl mit allen Mitteln fördern.
Apropos: Im Vergleich mit unseren östlichen und dem nördlichen Nachbarn geht es der heimischen Kultur hervorragend, sie hat zuletzt mehr Subvention bekommen und alle Freiheiten. Wie schnell so ein System aber kippen kann – finanziell und politisch -, dafür braucht man nicht mehr weit schauen, es passiert nur eine Schengengrenze entfernt.