„One size fits most“ – „Eine Größe passt fast allen“, lautet der berühmte Verkaufsslogan der Modemarke Brandy Melville. Gemeint ist Größe XS/S. Wer da nicht hineinpasst, hat Pech gehabt. Er, oder besser gesagt: Sie ist leider nicht fit für die „Brandy-Community“.
Denn wer bei dem Gen-Z-Kult-Label Brandy Melville shoppt, ist idealerweise ein weißes, dünnes Teenagergirl mit langen, blonden Haaren. Rothaarig ist auch okay, denn der Label-Gründer, ein Italiener namens Stephan Marsan, ist selbst rothaarig und hat ein Faible für Frauen seiner Haarfarbe.
Auch wer bei Brandy Melville arbeitet, ist idealerweise jung, blond und dünn. Das ist insofern kein Zufall, als viele Mädchen, die bei Brandy Melville einkaufen, umgehend als Verkäuferinnen angeheuert werden. Und das sehr cool finden.
Oder doch nicht?
In ihrer aufsehenerregenden Doku „Brandy Hellville & The Cult of Fast Fashion“ – deutscher Titel: „Brandy Melville: Der Kult um die Fast-Fashion-Hölle“ (abrufbar auf Sky) – wirft Regisseurin und Produzentin Eva Orner, deren Doku „Taxi zur Hölle“ mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, einen kritischen Blick hinter die Kulissen des Fast-Fashion-Labels.
Was sie sieht, ist unschön. Die Marke Brandy Melville eröffnete ihr erstes Geschäft 2009 in Kalifornien. Die Anfänge des Unternehmens liegen in Italien, der Firmensitz befindet sich in der Schweiz. Doch erst mit dem Schritt in die USA kreierte Brandy Melville seinen prägnanten Look für den Typus des weißen, blonden, strahlenden Surfer-Girls, gekleidet in Mini-Röckchen und T-Shirts, gefertigt aus weichen Materialien.
Der Aufstieg des Labels fiel zusammen mit dem Aufstieg der sozialen Medien in den Zehnerjahren, in denen Teenage-Girls auf Instagram und TikTok ihre Outfits als „Brandy Girls“ global verbreiteten. Die Firmenverantwortlichen begannen daraufhin gezielt, junge Mädchen sowohl als Models als auch als Verkäuferinnen für ihre Boutiquen zu rekrutieren: Wer in einem Brandy-Melville-Geschäft arbeitete, fühlte sich auserwählt, als Teil einer elitären Community (und litt nicht selten an Essstörungen).
Selfies für den Chef
Dass die Mädchen an jedem neuen Arbeitstag ein Selfie von sich an den Firmenchef schicken mussten, um ihren guten Stil zu beweisen (der dann, wenn er gefiel, flugs kopiert wurde), gehörte dazu. Wessen Outfits oder Körpermaße nicht gefielen, erhielt ebenso so schnell eine Kündigung. Schwarze Mädchen wurden kaum engagiert, und wenn doch, blieben sie im Lagerraum versteckt. Stephan Marsan selbst bezeichnet sich als Libertärer und hasst es, Steuern zu zahlen. In seiner hausinternen Chat-Gruppe zirkulieren Hitler-Witze, Auschwitz-Verunglimpfungen und obszöne, pornografische Darstellungen.
All diese unerfreulichen Einsichten fördert Eva Orner durch zahlreiche, flott montierte Interviews mit ehemaligen Angestellten zutage, die – manchmal anonym – aus dem Nähkästchen plaudern. Dazu befragte sie Branchen-Insiderinnen, deren Recherchen die undurchsichtigen Firmenstrukturen von Brandy Melville durchleuchten. Und schließlich folgt sie dem Weg der Fast-Fashion bis nach Ghana: Dort verdrecken Tonnen von westlicher Wegwerfkleidung die Strände.