Im Vorarlberger Pfändergebiet ist die Gefahr für Hangrutschungen besonders groß. Trotzdem wird dort nach wie vor gebaut. Michaela und ihrer Familie ist ihr neues Haus am Rücken des Pfänders davongerutscht.
Es regnet schon seit Wochen. Aber heute Nacht knistern auch die Bäume in der Dunkelheit. Tsk tsk tsk machen sie. Ein eigenartiges Geräusch − wenn Bäume umfallen, weil der Boden unter ihnen wegrutscht. Ein Geräusch, das aber nicht alle hören. Viele schlafen. Es ist der 28. April 2023, kurz vor Mitternacht. In diesem Monat war die Niederschlagsmenge doppelt so hoch wie der langjährige Durchschnitt.
Michaela Fink, ihr Mann und ihre zwei Kinder sind in ihren Betten im neuen Haus in der Parzelle Hochreute in Hörbranz. Erst ein halbes Jahr wohnen sie hier. Plötzlich klingelt es. Michaela schreckt hoch, tappt im Halbschlaf zur Tür. Draußen, im strömenden Regen, stehen Feuerwehrmänner: „Sie müssen sofort raus. Der Hang über Ihrem Haus rutscht.“
Der Albtraum wird wahr
Was wie ein surrealer Albtraum klingt, wird für Michaela und 39 weitere Bewohner:innen der kleinen Gemeinde am Bodensee Realität. Der Hang am Pfänderrücken, der steil über der Ortschaft aufragt, beginnt auf einer Breite von 150 Metern abzugleiten. Noch in derselben Nacht müssen die Betroffenen ihre Häuser verlassen. Für einige wird es ein Abschied für immer sein.
„Wir haben im Garten meiner Eltern gebaut, die haben hier 47 Jahre gelebt,“ sagt Michaela im Gespräch mit der WZ. Besagte Nacht liegt nun bereits mehr als ein Jahr zurück. Die ersten Monate nach dem Rutsch bestand noch Hoffnung für Michaela, zurück in ihr liebevoll geplantes Eigenheim ziehen zu können. Doch das Haus ist nicht mehr zu retten. Es steht so schief, dass einem schwindlig wird, wenn man es betritt. Auch das Haus der Eltern ist weg.
Sechs Häuser hat der Erdrutsch bereits komplett zerstört. Das Gebiet, auf dem sie standen, wurde jetzt zur sogenannten „Rutschung Intensiv“-Zone erklärt. Das bedeutet: Die Grundstücke dürfen nicht mehr bebaut werden. In den unzerstörten Häusern dieser Zone dürfen die Menschen zwar weiterhin wohnen, aber keine baulichen Veränderungen mehr vornehmen. Ob der Hang mit dem Rutschen fertig ist, kann niemand sagen. Anfangs kamen immer noch ein paar Zentimeter dazu, jetzt ist schon länger Ruhe. Wenn es stark regnet, wird man aber wieder nervös.
Wird der Hang jemals aufhören zu rutschen?
„Die ersten vier Monate habe ich öfter überlegt, 100 Umzugskartons zu bestellen, aber jetzt habe ich keine Angst mehr“, sagt eine Nachbarin diesen Sommer zur WZ. Die Katastrophe ist schließlich schon lang her. Die Hoffnung und der Pragmatismus überwiegen wieder. Die Menschen auf dieser Seite des Pfänderbergs sind alt, viele sind Eigentümer:innen. „Die meisten hier können nicht so einfach ihre Sachen packen“, meint die Nachbarin. Sie ist aber auch optimistisch, dass der Hangrutsch durch die Arbeiten gestoppt werden kann.
„Irgendwann hört jeder Hang auf zu rutschen“, sagt Walter Bauer. Der ehemalige Landesgeologe von Vorarlberg steht in Gummistiefeln im klebrigen Schlamm und blickt den steilen Abhang hinunter. Dort, wo früher Häuser standen, klaffen nun leere Stellen. Der Boden ist von tiefen Furchen durchzogen, wie Wunden in der Landschaft.
Irgendwann hört jeder Hang auf zu rutschen.
Walter Bauer, Geologe
An manchen Stellen hätte der Geologe selbst nicht gebaut, sagt er offen. Etwa dort, wo Michaelas Haus steht. „Aber die Ingenieure haben sich durchgesetzt. Das Haus wurde möglichst rutschfest gebaut, weshalb es auch eine Rutschung von 17 Metern unbeschadet geschafft hat“, sagt Bauer. Der Hang ist seit jener Nacht im April aber bereits über 60 Meter abgeglitten. So etwas war tatsächlich nicht zu erwarten, auch nicht für den Geologen.
Der Grund für die hohe Rutschgefahr in der Hochreute ist das Gestein. Ein Lokalaugenschein zeigt wieso: Die hellbraunen Brocken sind seifig und zerbrechen in der Hand, als wären sie Erde. Ein Sediment, auf das kein Verlass ist. Nicht nur in der Hochreute in Hörbranz, auch am Pfänderhang in Lochau und Bregenz ist dieses Gestein vorzufinden. Am gesamten Pfänder gibt es daher viele Orte, an denen es für den Geologen Bauer zu riskant gewesen wäre.
Zum Rutschen verurteilter Pfänder
„Aufgrund der Rutschgefahr werden nur mehr wenige Flächen am Pfänder zu Bauland umgewidmet, aber wo bereits eine Bewilligung besteht, wird weiterhin gebaut“, heißt es von der Vorarlberger Landesstelle für Geologie. Viele Gebiete am Pfänder sind in der braunen Zone, also als für Rutschungen gefährdet eingestuft.
Dennoch wird am Pfänder weiterhin gebaggert: In Lochau werden derzeit drei Seesuiten errichtet. 5,5 Millionen Euro soll eine davon kosten. Die rund 1.900 Quadratmeter Bauland sind vor fünf Jahren für 2,7 Millionen Euro verkauft worden. Der Pfänder ist ein Luxusgebiet im ohnehin bereits teuren Vorarlberg, wo der Quadratmeterpreis für Bauland sechsmal so hoch ist wie jener im österreichischen Durchschnitt. Der Blick auf den Bodensee und die Nähe zum Pfänder − das ist schon was wert. Gestein hin oder her.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Trainee Markus Hagspiel ist in Hörbranz aufgewachsen. WZ-Redakteurin Konstanze Walther wohnt in Vorarlberg. Gemeinsam haben sie sich den Hangrutsch in Hörbranz angesehen. In Gesprächen mit Geologen wurde schnell klar: Nicht nur in Hörbranz am Pfänderrücken, sondern um den gesamten Pfänder besteht die Gefahr von Hangrutschungen.
Gesprächspartner:innen
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Michaela Fink, Betroffene
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Nachbarin in der Hochreute
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Walter Bauer, ehemaliger Landesgeologe Vorarlberg
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Landesstelle für Geologie Vorarlberg
Daten und Fakten
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In der Nacht von 28. auf 29. April 2023 begann der Hang in Hörbranz auf einer Breite von 150 Metern zu rutschen. Damals mussten 39 Menschen ihre Häuser verlassen. Viele von ihnen konnten wieder zurück, aber sechs Häuser wurden durch den Hangrutsch und die Rutschungen der nächsten Monate zerstört.
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Ein Hangrutsch wird meist durch starken oder langandauernden Regen verursacht. Dabei dringt Wasser in verbundene Bodenschichten ein und löst sie voneinander. Bei entsprechender Neigung des Hangs entsteht so eine Rutschung.
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Die Gründe, auf denen die zerstörten Häuser standen, wurden als „Rutschung Intensiv“-Zone eingeordnet. Das bedeutet: nicht mehr bebaubar und dadurch nur mehr einen Bruchteil wert. Die Menschen in den unzerstörten Häusern dürfen aber weiterhin darin wohnen.
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Der Katastrophenfond übernimmt für Betroffene 50 bis 75 Prozent beim Kauf eines neuen Grundstücks. Das neue Grundstück darf dabei aber nicht teurer sein als das alte. Wie viel der Katastrophenfond bezahlt, hängt von der finanziellen Situation der Betroffenen ab. Michaela und andere Betroffene warten noch auf eine Entscheidung mit ihren Ansuchen beim Katastrophenfond.
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Mit dem Klimawandel häufen sich Extremwetterereignisse und dadurch auch Hangrutschungen. Klimaschutz ist daher also auch zur Prävention von Hangrutschungen wichtig.
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Es gibt keine genaue Zahl zu Hangrutschungen in Österreich, weil es kein flächendeckendes Monitoring gibt. Das wird von vielen Expert:innen kritisch gesehen.
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In Vorarlberg kostet der Quadratmeter Bauland im Durchschnitt 612 Euro. Im österreichischen Durchschnitt liegt er bei 105 Euro. Am Pfänder wurden bereits mehr als 1.500 Euro pro Quadratmeter ausgegeben. Aufgrund der Rutschgefahr werden nur mehr wenige Flächen am Pfänder zu Bauland umgewidmet, heißt es von der Vorarlberger Landesstelle für Geologie.
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Im April 2023 fiel die Gesamt-Niederschlagssumme in Vorarlberg extrem hoch aus: 192 Liter pro Quadratmeter. Das ist mehr als doppelt so viel wie im langjährigen Durchschnitt. Am 28. April allein fielen 47 Liter pro Quadratmeter, so viel Niederschlag gab es in den 30 Jahren zuvor an keinem einzigen Tag im April.
Quellen
Das Thema in der WZ
Der rutschende Weinhang des Starwinzers