Startseite Wirtschaft Wer braucht sie und wer nimmt sie wirklich?

Wer braucht sie und wer nimmt sie wirklich?

von Max

Das Wundermittel

Das hinterfragte auch das Job-Portal „Xing“ und bat 150 heimische Recruiter um ihre Einschätzung. Das Ergebnis: „41 Prozent sind überzeugt, dass Quereinsteiger helfen können, den Fachkräftemangel zu lösen“, so Sandra Bascha von Xing. Mehr als die Hälfte zweifelt aber daran. Warum?

Ende September verzeichnete der Stellenmonitor des Wirtschaftsbunds 161.434 offene Stellen in Österreich. Parallel dazu waren 279.730 Personen arbeitslos gemeldet. Der naive Lösungsansatz: Diese Personen zu Quereinsteigern machen. Umschulen und in jenen Branchen einsetzen, die aktuell Bedarf haben. Klingt ideal, funktioniert aber in dieser Form nicht oder nur selten. Trotzdem wäre ein Potenzial da, den Mangel etwas zu lindern, sagt Bascha. Für Unternehmen wäre es sinnvoll, Quereinsteiger für Neubesetzungen zumindest auf dem Radar zu haben. Denn ausgebildete Qualifikationen sind nicht mehr nur das einzige ausschlaggebende Kriterium für eine Anstellung.

Neue Ansprüche

„Soziale Fähigkeiten rücken vermehrt in den Vordergrund“, erklärt der Wiener Unternehmensberater Arthur Zoglauer. „Man sucht Teamplayer, Personen mit starkem Auftreten und neuen Perspektiven.“ Das fehlende Fachwissen könne man vergleichsweise schnell anlernen. „Das nennt man Hire of Attitude, also Persönlichkeitsanstellung“, so der Experte.

Bettina Hauser, HR-Leiterin von Hofer, bestätigt das aus ihrem Recruiting-Alltag: „In unserem Bewerbungsprozess im Handel geht es vielmehr um persönliche Fähigkeiten und Eigenschaften, als um Fachwissen“, sagt sie. Motivierte Quereinsteiger, unabhängig von ihrem bisherigen beruflichen Werdegang, würden Erfahrungen, neue Kenntnisse und Motivation bringen. „Sie sind bei uns gern gesehen“, sagt die Hofer-Personalchefin.

Laut der Xing-Studie werden Quereinsteiger sogar von acht Prozent der Recruiter bei der Neubesetzung von Stellen bevorzugt. In manchen Berufen würde man sogar fast ausschließlich auf Quereinsteiger setzen. Etwa in der Bestattungsbranche. Warum? „Weil es hier keine richtige Ausbildung gibt“, sagt Alexander Hovorka Geschäftsführer von Bestattung Himmelblau. Deswegen freut er sich über jeden Elektriker, Koch, Malermeister oder Schauspieler, der in seinen Bestattungsbetrieb quereinsteigt. Ausgebildet werden sie dann vom Unternehmen.

Fehlendes Fachwissen

Generell zeigt sich: Wie offen Unternehmen gegenüber Quereinsteigern sind, ist eine Branchenfrage. Das belegt auch die Studie. Besonders offen ist, wenig überraschend, das Gastgewerbe. Gefolgt von Transport und Logistik sowie Handel. Dass andere Branchen weniger aufgeschlossen sind, ergibt sich aus dem Aufgabenfeld, sagt Arthur Zoglauer: „Gewisse Tätigkeiten gibt man nicht aus der Hand, weil es Wissen braucht. Als Quereinsteiger wird man zum Beispiel selten ein Pilot.“ Und: 21 Prozent der befragten Recruiter hätten aufgrund des mangelnden Fachwissens negative Erfahrungen gesammelt. Ob man dann vor weiteren Versuchen zurückschreckt?

Personalberaterin Manuela Lindlbauer könnte das jedenfalls nachvollziehen. „Es sind angespannte Zeiten. Firmen haben Angst vor Fehlentscheidungen. Sie suchen nach Mitarbeitern, die Sicherheit geben und Fachwissen haben, auf das sie sich verlassen können.“ Für einen Branchenwechsel müsse man bereit sein, die Extrameile zu gehen, sich doppelt anstrengen. Eigenschaften, die nicht unbedingt zur aktuellen Arbeitsmoral mit Vier-Tage-Woche und Homeoffice passen würden. Hinzu komme, dass viele Quereinsteiger ein falsches Bild vom Wunschberuf hätten, sagt Lindlbauer. Sie ziehen dann kurzerhand enttäuscht weiter.

Job-Erfüllung

Davon kann Matthias Dvoracek, Bestattung Himmelblau, ein Lied singen: „Manche kommen erst nach der Bewerbung drauf, dass man mit Verstorbenen zu tun hat.“ Transparenz im Bewerbungsprozess ist also wichtig, von beiden Seiten, meint er. Dvoracek ist auch ein Quereinsteiger. Seit knapp vier Jahren ist er als Bestattungsfachkraft tätig. „Davor war ich 14 Jahre lang in der Gastro, habe mich aber immer nach etwas anderem gesehnt.“ Den Bestatterberuf hatte er dabei schon länger im Visier und konnte es selbst kaum glauben, als sich sein Job-Traum erfüllte: „Jeder Mensch hat einen Auftrag und für mich war es, anderen zu helfen. Das kann ich mit dem Beruf“, erzählt er.

Ein weiteres Erfolgsbeispiel für den Quereinstieg ist die ehemalige „Miss Earth Austria“ Nadine Pfaffeneder. Nach der Matura startete die heute 23-Jährige ihr Lehramtstudium – und modelte nebenbei. „Das hat aber nicht gepasst. Ich wollte einen Zukunftsjob, in dem ich einen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann.“ Gesucht, gefunden: Zwei Jahre lang war sie für eine Betreuungsfirma tätig und absolvierte ihre Heimhilfeausbildung. Heute ist sie selbstständig und hat ihre eigene Betreuungsfirma. Leitet ein elfköpfiges Team mit einigen Quereinsteigern. Ein klarer Bonus: „Je größer die Palette an Betreuern, desto diverser ist das Angebot für unsere Klienten“, sagt sie.

Finanzielle Abschläge

Die Vorteile der Quereinsteiger gibt es also. Sandra Bascha legt noch einen Vorteil drauf und sagt, dass diverse Teams innovativer und schlussendlich erfolgreicher sind. Ob sich das auch in der Bezahlung widerspiegelt? Manuela Lindlbauer hat eine klare Antwort: „Quereinsteiger müssen kaum mit Abschlägen rechnen. Besonders, wenn sie einen guten Job machen.“ Oft entscheiden sich Arbeitnehmer für den Job-Umstieg, weil die Bezahlung dort sogar besser ist, erklärt Bascha. Konkret betrifft das laut Xing-Befragung 50 Prozent der Quereinsteiger.

„Es gibt genug Jobs, für die es Profis braucht“, fasst Arthur Zoglauer zusammen. „Aber Quereinsteiger können auch Profis werden.“ Immerhin würden sich Jobprofile mit der Digitalisierung ändern und neue Möglichkeiten eröffnen.

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