Die Eingangsfrage rührt daher, dass Bildungsexperten und Think Tanks seit Jahren dazu raten, neben der Organisation des Schulsystems auch die Inhalte zu überdenken. Finanzbildung, Demokratieverständnis und neue Medien kommen reichlich kurz, dafür müssen 12-Jährige lernen, was Vakuolen sind.
Da bin ich absolut bei Ihnen. Wir müssen einen grundsätzlichen Kulturwandel schaffen. Schulen sind nicht nur für die Vermittlung von Wissen verantwortlich, sondern vor allem zum Beibringen von Kompetenzen. Da gehört für mich dazu, die Kritikfähigkeit zu schärfen, wahr von falsch zu unterscheiden. Und auch Kommunikationsfähigkeit und Kreativität sind essenziell und müssen mehr gefördert werden.
Leistet das die Schule im Jahr 2025?
Viele Lehrkräfte und Schulen tun und leben das. Aber ja, es ist noch nicht flächendeckend verankert.
Was sagen Sie Eltern, die am Lehrplan verzweifeln, weil sie abends ihren Kindern das Spiegeln von Ellipsen beibringen sollen?
Ich finde es gut und wichtig, dass Inhalte infrage gestellt werden – von Jugendlichen wie von Erwachsenen. Bildung und Schule müssen immer erklären können, warum man etwas lernt. Und weil Sie die Mathematik angesprochen haben: Hier geht’s vor allem um Grundkompetenzen. Es ist wichtig für junge Menschen, eigenständig rechnen zu können und die Geometrie in Grundsätzen zu verstehen. Abgesehen davon teile ich das Ansinnen, den Lehrplan zu entrümpeln. Wir brauchen Platz für Themen, die heute besonders wichtig sind – wie die angesprochene Finanzbildung.
Eines der großen gesellschaftlichen Themen ist die Frage der Deutschkenntnisse. In Wien, wo Sie Bildungsstadtrat waren, können vier von zehn Sechsjährigen nicht gut genug Deutsch, um wirklich mit der Volksschule zu beginnen. Und das, obwohl viele Schulanfänger mehrere Jahre im Kindergarten waren. Was bringt da das von Ihnen angekündigte verpflichtende zweite Kindergartenjahr?
Wir wissen, dass manche Bevölkerungsgruppen, die den Kindergarten besonders brauchen würden, ihn aus kulturellen Gründen oft nur ein Jahr besuchen. Da gibt’s die Meinung, die Kinder sollen nicht in den Kindergarten, Deutsch wird dort oft wenig bis gar nicht gesprochen. Mit dem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr erreichen wir diese Familien. Gleichzeitig müssen wir an anderen Schrauben drehen. Die Besuchspflicht zum Beispiel: Wer nicht ausreichend Deutsch spricht, muss tagsüber länger im Kindergarten bleiben. Und auch die Sommerferien sind kein Tabu: Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, sollen im Sommer zwei Wochen in ein Sprachtraining.
Mit Verlaub: Was soll in gerade einmal zwei Wochen gelingen?
Wir müssen auf die Balance achten. Auch Kinder haben ein Recht auf Freizeit und Ferien. Deshalb ist es ein guter Schritt, die eher langen Sommerferien für alle Kinder mit Sprachförderbedarf um zwei Wochen zu verkürzen, um eine verbindliche Deutschförderung zu machen. Das löst das Problem nicht zur Gänze. Aber es ist ein weiterer Mosaikstein.
Sie sprechen von Verbindlichkeit. Wie wollen Sie diese herstellen? Oft sträuben sich genau jene Familien gegen Fördermaßnahmen, die sie am dringendsten nötig hätten.
Deutsch ist die Eintrittskarte in unsere Gesellschaft, wer nicht Deutsch kann, hat weniger Chancen. Das müssen alle Eltern wissen. Und wir müssen stärkere Sanktionsmechanismen einführen. Ich habe das selbst in Wien erlebt. Wenn Eltern beispielsweise das Gespräch mit einer Lehrerin verweigern, obwohl ihr Kind suspendiert worden ist, müssen wir bis zu Verwaltungsstrafen gehen. Das ist das letzte Mittel. Aber es muss klar sein, dass Eltern mit der Schule einfach reden müssen.
Sie haben am Mittwoch im Ministerrat beschlossen, die Zahl der Planstellen für die Deutschförderung im nächsten Schuljahr auf 1.324 zu verdoppeln. Schon jetzt fehlt Ihnen an allen Ecken und Enden Personal. Woher sollen all die Lehrkräfte kommen?
Wir verdoppeln nicht nur die Anzahl der Lehrkräfte, die für die Deutsch-Vermittlung verantwortlich sein werden, wir intensivieren auch massiv die Aus- und Fortbildung in diesem Bereich. Dazu zählen beispielsweise Quereinsteiger, die davor Germanistik studiert und eine gute Sprachkompetenz haben. Oder solche, die in der Erwachsenenbildung Deutsch als Fremdsprache vermittelt haben. Viele sind keine klassischen Lehrkräfte. Aber sie haben wertvolle Erfahrungen bei der Sprachvermittlung.
Warum ist es eigentlich so kompliziert, die Zahl der nötigen Lehrkräfte zu antizipieren? Man weiß, dass ein Neugeborenes sechs Jahre später einen Volksschulplatz braucht. So lange Planungsvorläufe würden sich andere wünschen.
Es stimmt, dass in der Vergangenheit bei der Frage, ob wir genug Lehrer haben, politisch zu spät gegengesteuert wurde. Eines konnte allerdings niemand vorhersehen, nämlich: den massiven Trend zur Teilzeit – auch in pädagogischen Berufen. Das ist der Grund, warum wir letztes Jahr in Österreich 6.600 neue Lehrkräfte eingestellt haben. Das ist ein historischer Rekord, der an den Pensionierungen, aber auch sehr stark am Trend zur Teilzeit hängt.
Zur Bildungslandschaft: Halten Sie es für klug, dass Schüler in Österreich mit zehn Jahren die erste einschneidende Entscheidung ihrer Schulkarriere treffen müssen?
Wir haben in Österreich eine sehr, sehr frühe Trennung zwischen Mittelschule und Gymnasium. Das bringt Eltern, Kinder und Lehrkräfte ab der dritten Klasse Volksschule in eine Extremsituation, weil vor allem in der Stadt der Druck, einen Gymnasialplatz zu bekommen, sehr hoch ist.
Der Druck führt bei den Lehrer bisweilen dazu, dass keine „Notenwahrheit“ existiert, sprich: Die Kinder werden zu gut benotet, um Konflikte mit den Eltern und deren Anwälten zu vermeiden…
Bei der Notengebung gibt es große Unterschiede. Von Schule zu Schule, von Region zu Region. Darum sind mir zentrale Erhebungen so wichtig, beispielsweise am Ende der Schullaufbahn durch die Zentralmatura. Ich weiß, dass auf den Lehrkräften in der dritten und vierten Klasse enormer Druck liegt. Gleichzeitig kann ich sie nur ermuntern, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich Unterstützung zu holen.
In Österreich teilen sich Bund, Länder und Gemeinden die Verantwortung in der Bildung. Ist das zeitgemäß? Sie selbst haben diesbezüglich von einem „toxischen Bildungsmix“ gesprochen.
Ich bleibe dabei: Wir müssen den Bildungsföderalismus kritisch hinterfragen, die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinden, Land und Bund gehört vereinfacht. Damit wir das Steuergeld sparsamer einsetzen. Vor allem aber: Damit die Ergebnisse besser werden.
Aber was tun Sie dafür jetzt als Minister?
Schon viele vor mir sind daran gescheitert, den Föderalismus neu zu organisieren. Ich sehe die jetzige Budgetlage als Chance, über grundsätzliche Reformen nachzudenken.
Sie hoffen, dass der im Regierungsprogramm stehende „Konvent“ stattfindet und die Kompetenzen in der Republik neu geordnet werden?
Ich bin zuversichtlich, dass da einige Schritte gelingen. Im Gespräch mit Gemeinden, Städten und Ländern werden wir den Bildungsföderalismus verbessern, darauf vertraue ich.
Woran wird man 2030 ablesen können, dass Sie die notwendigen Reformen begonnen haben?
Kinder müssen wieder gern in die Schule gehen, das sollte man dann sehen. Und in den harten Daten sollte sich abzeichnen, dass die Zahl der außerordentlichen Schüler sinkt, und dass jede und jeder Pflichtschüler Lesen, Schreiben und Rechnen kann. 2030 darf es außerdem keinen Lehrermangel mehr geben. Im Idealfall gibt es mehr Interessenten als Planstellen. Dieser Job ist der wichtigste Beruf der Republik. Er hat sich die entsprechende Anerkennung verdient.