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Wie Barbra Streisand nach Wien-Leopoldstadt kam

von Max

Von Barbra Beer

„Ich bin ein Streisand-Freak und mache kein Hehl daraus.“ Der Satz stammt von dem kanadischen Pianisten Glenn Gould. Er könnte genauso gut vom Wiener Verleger Jürgen Lagger stammen.

Jürgen Lagger, 57, liebt die Streisand schon sein ganzes Leben. Genauer: Seit er als Kind den Film „Is’ was Doc?“ gesehen hat. Noch bevor er Barbra Streisand als Sängerin entdeckte, wusste er: Diese Frau ist wahrscheinlich die begnadetste Komödiantin der Welt. Dass ausgerechnet er ihre Autobiografie auf Deutsch herausbringen würde, hätte er noch vor einem Jahr für unmöglich gehalten.

David gegen Goliath

Barbra Streisand ist ein Superstar, ihre auf Englisch 970 Seiten starke Lebensgeschichte ist im Original bei Viking Press erschienen, einem Verlagsriesen unter dem Dach von Penguin Random House. Laggers Verlag Luftschacht ist ein Ein-Mann-Unternehmen, das außergewöhnliche Bücher macht. Graphic Novels, Kinderbücher, Literatur abseits des Mainstreams. Alles, außer Blockbuster. Angesiedelt ist sein Verlag in den weitläufigen, charismatisch-patinierten Räumen einer ehemaligen Reprografieanstalt in der Wiener Leopoldstadt.

Lagger arbeitet seit den 90ern hier, damals noch als Architekt. Das mit den Büchern war nur ein Hobby. Offiziell gegründet hat er den Verlag 2001 mit zwei Kollegen. Heute ist Luftschacht eine One-Man-Show. Die Räumlichkeiten in dem alten Haus teilt er sich nun mit einer Tango-Schule. Die einen hören Piazzolla, die anderen Streisand. Beim KURIER-Besuch tönt „Happy Days Are Here Again“, gesungen von Streisand im Duett mit Judy Garland, aus dem Büro. Als Lagger den Streisand-Vertrag in der Tasche hatte, hörte er den Song in Dauerschleife.

Verleger Lagger kommen keine dicken Wälzer ins Haus. Für Barbra Streisand machte er eine Ausnahme

Ein Weihnachtsmärchen

Im Grunde genommen ist das mit ihm und der Streisand eine Weihnachtsgeschichte. Lagger war 2023 Weihnachtswichtel seiner Schwägerin, also zuständig für deren Geschenk. Sie wünschte sich die eben erschienene Streisand-Biografie – die es nur auf Englisch gab. „Ich dachte, das gibt’s gar nicht, dass das Buch nicht übersetzt worden ist. Trotzdem hab ich es gekauft und meiner Schwägerin geschenkt. Doch die Sache hat mir keine Ruhe gelassen. Ich hab recherchiert, wer für die Rechte zuständig ist, und bin dann auf eine Schweizer Agentur gekommen. Die hab ich mitten in der Nacht angeschrieben, weil da die Hemmschwelle immer niedriger ist. Ich hab einfach gefragt, ob es sein kann, dass die deutschen Rechte noch zu haben sind. Als ich am nächsten Tag ins Büro gekommen bin, war die Antwort schon da. Ja, die deutschen Rechte waren noch zu haben.“

Wie konnte das sein? Die Streisand hatte ihr Manuskript zu spät zum Übersetzen abgegeben. Der Verlag musste es ihr aus den Händen reißen, so lange werkelte sie noch daran herum. „Die internationalen Verlage wollten ein so dickes Buch aber nur zeitgleich mit der Originalausgabe publizieren, weil sie Angst hatten, die Fans würden sonst nur das englische Buch kaufen. Deshalb haben sie die Rechte nicht mehr gekauft. Und plötzlich fand ich, ein kleiner Verleger, der normalerweise eher schräge Literatur macht, mich in der Verlegenheit, Barbra Streisand ein Angebot zu machen.“

Es folgten Tage des gebannten Wartens. Streisands Anwälte akzeptieren Laggers Angebot, ohne irgendeinen Punkt nachzuverhandeln.

Der Leopoldstädter Streisand-Coup

„Wer hat hier das Sagen“, wollte Barbra Streisand einst in Wien wissen

Und ja, bestimmt hat Barbra sich auch persönlich eingemischt. Indirekt. „Sie gilt ja als Kontrollfreak, war gewiss eingebunden in die Frage, wer die deutschen Rechte bekommt.“

Jürgen Lagger macht an dieser Stelle eine Pause und schaut verträumt. „In dem Moment wäre ich gerne Mäuschen gewesen. Dabei zu sein, wie Barbra Streisand sich für mich und meinen Verlag entscheidet. Sie hat ja ein Faible für unkonventionelle Dinge.“

Der Leopoldstädter Streisand-Coup

Am Set von „Yentl“, 1983: Gleich danach kam Barbra Streisand nach Wien

Die Streisand-Biografie ist mit 1200 Seiten eine gewichtige, darüber hinaus aber  ausgesprochen unterhaltsame Lektüre. Streisand schreibt, wie sie redet, die Erinnerungen sprudeln aus ihr heraus – und sie   schreibt oft vom Essen. „Ich verstehe schon, dass man keine Brownies mehr mit Walnüssen macht, wegen der Nussallergien. Aber Brownies ohne Walnüsse? Was soll das bringen? Wenn man mir jemals gewöhnliche gibt, besorge ich Walnüsse und stecke ein paar davon in jeden Brownie.“ 
Brownies sind auch Thema bei  ihrer Hochzeit mit James Brolin: „Wir konnten keine Hochzeit abhalten ohne all unsere Lieblingsspeisen. (…) Ich hatte eine lange Liste mit Desserts und versuchte, sie einzugrenzen und zwischen Brownies mit Walnüssen (und einigen ohne), warmem Schoko-Lavakuchen, frischen Beeren-Tartes, mit Vanilleeis gefüllten Profiteroles und kleinen mit Kaffee-Eis gefüllten Tüten zu wählen. Jim wollte Zitronenbaiser-Tartes und Schokoladenbrotpudding. Und dann dachte ich, wir nehmen einfach alles … warum nicht?“

Ein bisschen schräg

Barbra Streisand hat darauf bestanden, dass das Originalcover, das sie selbst gestaltet hat, auch in der deutschen Ausgabe verwendet wird. Das las sich so: „New York lässt fragen, ob das Originalcover verwendet wird. Die gewünschte Antwort ist ja.“ Natürlich wollte Lagger, was Streisand wollte. „Laut Agentur war sie beim Cover wenig kompromissbereit. Aber was hätte man auch ändern sollen, es ist perfekt.“

Die Streisand und der kleine Wiener: Eigentlich passt das sehr gut zusammen, findet Lagger letztlich. „Obwohl sie im Mainstream extrem erfolgreich ist, ist sie doch immer noch ein bisschen schräg und nicht leicht ganz einordenbar. Sie ist authentisch und sich immer treu geblieben, auch bei den Flops, die sie produziert hat.“ Etwa ihrem Klassik-Album, für das sie 1976 harsch kritisiert wurde. Glenn Gould aber verteidigte sie damals, verglich sie mit der legendären Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf und sagte, er habe von niemandem so viel über Interpretation gelernt wie von ihr.

Der Leopoldstädter Streisand-Coup

Selbstbewusst und ein bisschen schräg: So ist Barbra Streisand wohl auch in ihrem Auftreten, glaubt man folgender Wien-Episode aus ihrem Buch. 1983 nahm sie in London die Musik für „Yentl“ auf und flog extra für zwei Tage nach Wien, weil sie die Bruegels im Kunsthistorischen Museum sehen wollte. Doch irgendwie übersah sie die Zeit und kam erst zehn Minuten vor dem Zusperren zum Museum. Wer österreichische Museumswärter kennt, weiß, dass Insistieren zwecklos ist. Streisand und ihr Team hatten keine Chance mehr, noch ins Museum zu kommen. Und der nächste Tag, ihr letzter in Wien, war Schließtag. Zurück im Hotel, fragte sie den Manager: „Wer hat in diesem Land das Sagen? Ich meine, haben Sie einen König hier oder so? Jemanden, mit dem ich reden könnte?“

Nun, mangels König ließ der Bürgermeister ausrichten „Wi will ahränsch!“. Wozu ist man schließlich Star.

Barbra Streisand, sagte Glenn Gould, macht aus jedem Song ein Theaterstück. Immer ist ein bisschen Drama dabei. Vielleicht gilt das auch für ihre Lebensgeschichte. Der man unter anderem entnehmen kann, dass sie es absolut unakzeptabel findet, wenn man ihr Brownies ohne Nüsse anbietet.

Eigentlich, wird Verleger Lagger am Ende sagen, findet er, dass die meisten Bücher zu dick sind. Gediegene, 800-Seiten starke Familienromane kommen ihm nicht mehr ins Haus. Für Barbra Streisand macht er eine Ausnahme. Sie schreibt in ihrer Biografie ausführlich von Freunden, Familie und Keksen. Auf Deutsch sind es 1200 Seiten geworden. Keine davon zu viel.

Der Leopoldstädter Streisand-Coup

Barbra Streisand:
„Mein Name ist Barbra“
Übersetzt von Raimund Varga. Luftschacht.
1200 Seiten.
46 Euro 

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