Altes Handwerk
Die Arbeit der Schindelmacher, die somit bis zu den Kelten zurückreicht, hat sich im Laufe der Jahrhunderte nur wenig verändert und lebt auch heute noch vom tradierten, lokalen Erfahrungswissen. Doch die Kunst liegt nicht nur im ausgeübten Handwerk, sondern auch in der richtigen Auswahl des Baumstamms, der Holzart, und der Bestimmung des idealen Fällzeitpunktes. „Während vor 30 Jahren die Holzschindelerzeugung und -anwendung bei Dächern und Fassaden beinahe in Vergessenheit geraten ist, entdecken nun wieder mehr und mehr Architekten, Baumeister und Bauherren die Faszination dieses natürlichen, handwerklich erzeugten Baustoffs“, erzählt Siegfried Ellmauer, ein Meister auf dem Gebiet der Holzschindelherstellung. Er ist nur mehr einer von wenigen in Österreich: „Von gewerblichen Schindelmachern (mind. 300 m² Dachschindeln im Jahr) gibt es im Land schätzungsweise ein Dutzend, hinzu kommen ca. zehnmal soviele bäuerliche und forstliche Erzeuger, die das Urprodukt in Heimarbeit überwiegend für den Eigenbedarf erzeugen.“
Beeindruckende Beispiele
Große Holzschindel-Handelsfirmen, wie Beyer in OÖ oder Astner in Tirol, zeigen, wie zeitgemäß und beeindruckend der Einsatz in neuer Architektur sein kann – bei Bergstationen, Restaurants und Chalets bis hin zu ganzen Gebäudekomplexen), aber auch, wie wertvoll Holzschindeln für traditionelle Bauweisen und Renovierungsprojekte (Almhütten, Kirchen, Bauernhöfe, Schlösser) sind.
In waldreichen Gegenden mit langer Holzbautradition finden sich die meisten sehenswerten Holzschindel-Projekte, so insbesondere im Salzkammergut, in Pyhrn-Priel, Lungau, Pinzgau, im Bregenzerwald, Appenzeller-Berchtesgadener Land und Allgäu sowie in Ost- und Süd-Tirol.
Landschaftsangepasstes Bauen
Siegfried Ellmauer selbst war gerade mal 15 Jahre jung, als er vor 40 Jahren in Traunkirchen von seinem Nachbarn Rupert Moser, einem Holzfäller und „Rottmeister“, in dessen Werkstätte in das uralte Waldwissen des Holzschindelkliebens (Spaltens) eingeführt wurde. Später, als studierter Forstwirt und Alminspektor in Oberösterreich, konnte sich Ellmauer mit seinem Wissen bei Neubauprojekten für Almhütten, Weideställe und Forsthütten in Theorie und Praxis einbringen. „Holzschindeldächer leisten einen hohen ökologischen Beitrag zum landschaftsangepassten Bauen mit dem universellen und nachhaltigen Baustoff Holz“, sagt der 55-Jährige.
Mathias Astner vom gleichnamigen Unternehmen in Tirol bestätigt, wie vielfältig und umweltfreundlich einsetzbar die Holzschindel heute noch sind: „Sie verbinden Funktion und Ästhetik gleichermaßen und sind ein über Jahrzehnte ausdauernder und beständiger Wetterschutz fürs Dach oder als Fassadenverkleidung – immer regendicht und atmungsaktiv.“ Und in der Tat: Holzschindeln sind ein höchst umweltfreundliches Deckungsmaterial mit geringem ökologischen Fußabdruck. „Sie sind ein langlebiges, pflegeleichtes und reparaturfreundliches Naturprodukt für Dächer und Wände, die auch in der Entsorgung keine Umweltbelastung darstellen, können sie doch am Ende der Lebensdauer abgenommen, getrocknet und verheizt werden“, erklärt Ellmauer.
Umweltfreundliches Deckmaterial
Wegen ihrer Umweltfreundlichkeit – Holzschindeln brauchen weder Imprägnierung, noch Lack oder Farbe – werden sie heute gerne in Naturschutzgebieten als Baustoff verwendet. Dank ihrer Nachhaltigkeit und Ästhetik gelingt es zunehmend auch in der modernen Baukultur, die architektonische Zukunft mit dem Schindelholz-Kulturerbe harmonisch zu verbinden, wie viele Neubauten zeigen.
Freilich findet mit zunehmendem Interesse der Bauwelt auch die Industrie wieder Gefallen an der Holzschindelerzeugung. Schließlich ist damit ein gutes Geschäft zu machen. „Seit dem Verbot der Einfuhr von sibirischen Lärchenschindeln 2022 ist der Quadratmeterpreis fürs Material von 70 auf bis zu 100 Euro gestiegen“, weiß Ellmauer, hinzu kommen noch die Kosten fürs Decken. „Ebenso aus Kostengründen werden heute in der Produktion zunehmend hydraulische Spaltmaschinen eingesetzt und das alte Handwerk mit dem Schindeleisen aus Zeitgründen in den Schatten gestellt“, bedauert der Experte. „Auch wurden die traditionellen Alpenschindel aus Lärchenholz durch Importe von hochmechanisiert erzeugten Holzschindeln aus Nordamerika (Red Cedar) und Osteuropa verdrängt.“
Wissen weitergeben
Doch der engagierte Schindelmacher hat bereits konkrete Pläne, um das traditionelle Handwerk auch für die nächsten Generationen zu bewahren. Seit Kurzem lehrt er am Waldcampus Traunkirchen, dem größten forstwirtschaftlichen Ausbildungszentrum Mitteleuropas, das Fach Holzschindel-Handwerk in Praxiskursen – „als Vermächtnis an die nicht mehr lebenden alten Schindelmeister und damit dieses Kulturerbe der Waldleute nicht verloren geht“.